Hiwi und Assi

26. Februar 2010

Bis heute weiß ich nicht, inwieweit Theo da seine Finger mit im Spiel hatte, aber im vierten Semester wurde ich Hiwi – wissenschaftliche Hilfskraft – an dem Lehrstuhl, dem auch Theo als Assi zugeteilt war.
Nun hatte ich oft mit ihm zu tun – und stellte fest, dass man mit ihm ganz hervorragend zusammenarbeiten konnte.
Er hasste Schlampigkeit, Zuspätkommen, Trödelei – aber insofern musste er bei mir nichts befürchten, und so kamen wir hervorragend miteinander aus. Teilweise verstanden wir uns bei der Arbeit auch ganz ohne Worte.

Apropos Worte – viele Worte sprachen wir ohnehin nicht miteinander, und private schon gar nicht. Doch gerade das gefiel mir – ich hatte ein wenig Angst. Nicht vor Theo, nicht im eigentlichen Sinn. Doch ich ahnte bereits, was dieser Mann möglicherweise in mir wecken könnte, und davor hatte ich Angst.
Vielleicht sollte ich Theo noch ein bisschen beschreiben. Wegen einer Krankheit hatte er keine Haare mehr auf dem Kopf. Die Glatze trug er allerdings mit einer Selbstverständlichkeit, dass ich noch nie gehört hatte, wie sich jemand darüber wagte lustig zu machen.
Von der Größe her überragte er mich nicht, war eher noch ein paar Zentimeter kleiner, aber recht stämmig und kräftig gebaut. Das waren nicht alles Muskeln; er war nur einfach nicht der Schlankste.
Manchmal, wenn ich mir seinen breiten Oberkörper so betrachtete, spürte ich ganz komische Dinge in meinem Bauch und in meiner Brust vorgehen … Aber es gelang mir, unsere Beziehung wirklich rein neutral zu halten. Ich verbarg diese merkwürdigen Gefühle, die ich so sehr fürchtete, tief genug in mir, sie mir nicht einmal selbst so richtig eingestehen zu müssen.
Obwohl ich feststellen musste, dass der Strom an meistens oberflächlichen kurzen Beziehungen, nicht immer, aber manchmal doch mit SM verbunden, der sich durch meine ersten drei Semester an der Uni hindurch gezogen hatte, im vierten Semester schlagartig versiegte.
Und das lag nicht daran, dass ich für die Männer auf einmal uninteressant geworden wäre – es lag daran, dass mich keiner mehr so recht interessierte. Ich lebte geradezu zölibatär in dieser Zeit.
Übrigens, was das anging, so war sich da bei Theo keiner ganz sicher. Einerseits sah man ihn oft mit Frauen, nicht nur Studentinnen, alle sehr hübsch, aber nur selten zweimal dieselbe, und er verstand es wirklich, charmant zu sein, wenn er das wollte. Ich hatte das ein paar Male beobachtet – nur war er es nie bei mir.
Nun wusste jedoch keiner ganz sicher, ob Theo nun tatsächlich der Frauenheld war, wie es den Anschein machte – oder ob er einfach nur sehr viele weibliche Freunde hatte, denn man sah ihn ebenso oft mit anderen Männern. Schwul allerdings war er bestimmt nicht, da waren wir uns alle einig.
Jedenfalls hatte ihn noch nie jemand dabei beobachten können, dass er eine dieser schönen Frauen umarmte, küsste oder gar mehr.
Das Semester spulte sich ab. 
Dann kam das chaotische Wochenende.
Unser Prof und Chef war gerade dabei, ein weiteres Buch zu veröffentlichen. In letzter Minute, da war sein Manuskript bereits beim Verlag abgegeben und der Drucktermin stand fest, erschien in einer Fachzeitschrift ein Artikel, der sich mit genau dem Thema seines neuen Buches befasste.
Den konnte er nicht ignorieren – er musste sich damit auseinandersetzen und Teile seines Manuskripts ändern; unter absolutem Zeitdruck.
Das hatte vorwiegend Theo auszubaden; er kam aus dem Seminar fast überhaupt nicht mehr heraus, schlief sogar manchmal dort auf einem Klappbett, weil die beiden bis tief in die Nacht gearbeitet hatten.
An einem Wochenende traf es jedoch auch mich. Das heißt, eigentlich traf es mich nicht; ich hatte nur bei meinen acht Stunden die Woche über mitbekommen, wie hart Theo schuften musste und spontan angeboten, dass ich am Wochenende ein paar einfache Dinge übernehmen konnte. Was Theo mit einer geradezu beleidigenden Selbstverständlichkeit akzeptierte.
Am Samstagmorgen tauchte ich auf – und Theo, der die ganze Nacht durchgearbeitet hatte und total übernächtigt aussah, verschwand in seinem Klappbett, nachdem er mir ein paar Anweisungen gegeben hatte.
Vom Professor war weit und breit nichts zu sehen. Der kam erst etwa drei Stunden später – und sah zumindest im Vergleich zu Theo sehr erholt aus. Mich begrüßte er gar nicht erst richtig, fragte nur knurrig, wo Theo sei. „Holen Sie mir den Kerl herbei!“, sagte er, bevor er in seinem Zimmer verschwand.
Es tat mir wahnsinnig leid, Theo nun so früh wieder wecken zu müssen – aber es blieb mir ja nichts anderes übrig.
Ich besorgte mir zuerst in der Caféteria unten am Automaten einen heißen Kaffee, dann ging ich in sein kleines Kabuff. Ich stellte den Kaffee auf den vollkommen mit Papieren überhäuften Schreibtisch und näherte mich dem Klappbett, auf dem Theo lang ausgestreckt, ohne Decke, auf dem Bauch lag.
Es war so niedrig, dass ich mich daneben auf den Boden knien musste, um ihm die Hand auf die Schulter zu legen.
„Sorry, Theo“, sagte ich dabei leise, „aber dein Chef will dich sehen.“
Er brummte etwas. Ich hätte nun meine Hand gleich wieder von seiner Schulter nehmen und aus dem Zimmer gehen könnte; geweckt hatte ich ihn ja schließlich, wie vom Professor befohlen.
Aber die Wärme seines Körpers war so verführerisch, und sein leises erschöpftes Stöhnen, als er sich nun mühsam umdrehte, schoss mir wie zuckende elektrische Ladungen durch meinen Bauch.
Deshalb nahm ich meine Hand erst fort, als er sich schon fast vollständig umgedreht hatte. Ich wollte mich wieder aufrichten, aber auf einmal griff seine rechte Hand mir fest in den Nacken, krallte sich in meine Haare, und schon hatte er meinen Kopf heruntergezogen, bis unsere Lippen sich berührten.
Seine Lippen waren heiß, und auch die Zunge, die sofort sehr fordernd meine Lippen teilte und eindrang, war heiß.
Heiß war es auch mir; ich muss noch heute sagen, ich war vorher noch nie so erregt gewesen wie in diesem Augenblick, obwohl es nur ein Kuss war, den Theo mir gab, und ich war auch nachher nie wieder so erregt – außer wenn es um Theo ging.
Ich war sofort schlagartig nass. Am Bauch und unter den Armen nass von Schweiß, weil es mir so heiß war, in meiner Jeans nass vor Erregung.


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