Wut auf die Männer

22. September 2012

Hastig verabschiede ich mich von Peter, Hans oder Martin oder wie auch immer, und eile den beiden nach zum Ausgang. Bis mich mitten im Schritt die Wut packt. Wer, verdammt noch mal, glaubt der Typ eigentlich, dass er ist? Er wird keiner von uns beiden Damen nachlaufen – natürlich nicht. Aber ich soll jetzt ihm hinterher hecheln wie ein Dackel ohne Gehirn? Nee, mein Lieber, nicht mit mir! Lieber verpasse ich die Chance meines Lebens, die ohnehin keine ist bei einem solchen Macho. Man soll sich immer gut überlegen, ob man etwas oder jemanden wirklich haben will; zumal wenn das etwas ein zweites „n“ hat. Nachher klappt es noch, und dann hat man den Salat – dann beginnt eben jener Mann vielleicht sogar damit, einen ständig in der Gegend herumzuscheuchen und in allem das Sagen zu haben.

Nein, ich hatte nicht vor, mit Rieseneinsatz auf der ganzen Linie zu verlieren. Dann doch lieber die Kündigung. Kein neuer Chef kann schlimmer sein als einer, der einmal einen Hauch Intimität gespürt und zurückgewiesen hat und das rücksichtslos ausnutzt.

Wunderbarerweise läuft mich schon wieder ein Bekannter beinahe um, Markus. Der wird sich auch wundern, was in mich gefahren ist, dass ich ihn so lange mit Belanglosigkeiten festnagele. Immerhin hat das Gespräch einen ganz nützlichen praktischen Nebeneffekt: Er wird mich samstags anrufen und mir berichten, wenn noch etwas Interessantes geschieht, damit ich mit meinem Artikel nicht voll danebenliege. Wobei der angesichts meiner Stimmung gewiss ohnehin bestimmt nicht gerade ein Glanzstück wird, überlege ich mir, als ich wieder verloren ohne Gesprächspartner dastehe. Vielleicht sollte ich von den Irrungen und Wirrungen einer verliebten Domina erzählen statt von der Feier – darauf würden die Leser sich stürzen, und die Kollegen erst recht.

Nach dieser kurzen Selbstbesinnung reicht es mir. So interessant kann nichts sein, mich noch länger in dieser verräucherten Bretterbude von einer alten Fabrikhalle zu halten. Die Gefahr, dass ich mich weiter lächerlich mache, ist gebannt; das Ziel meiner Wünsche ist an dem seinen angekommen und hat seine Ruhe vor mir. Endgültig. Am besten gehe ich mich jetzt besaufen, um zu vergessen, wie dämlich ich mich benommen habe. Auch Cindy gegenüber, bloß, das war ja nicht so schlimm. Erstens sehe ich die wahrscheinlich nie wieder, und zweitens hat sie es aus ihrer Sicht sichtlich genossen; Reue ist unangebracht. Aber was er jetzt von mir denkt, daran denke ich lieber nicht.

Mich besaufen – nein, das ist so unweiblich-männlich. Außerdem, ich habe nicht die geringste Lust, mich schon wieder in eine Menschenmenge hineinzustürzen, wo mir doch ein einziger Mensch dicke reichen würde. Nur ist der leider absolut unerreichbar.

Plötzlich ist mir zum Heulen zumute. Es geht doch nichts über ein bisschen Selbstmitleid – schon sieht die Welt wieder besser aus, wenn wenigstens einer dich bedauert.

Ungeduldig kämpfe ich mich zur Garderobe durch, zum Ausgang und auf die Straße. Und wer steht da? Er; ganz lässig gegen einen Laternenpfahl gelehnt, von dem er sich löst, als er mich sieht. „Können wir jetzt endlich?“ fragt er. „Cindy habe ich schon ein Taxi bestellt.“

***

Oh Gott, oh Gott – was mache ich nur? Ich werde gleich mit ihm allein sein, und von diesen Momenten, wie wenig oder wie viele das auch sein werden, hängt alles ab. Mein Wohlbefinden diesen Abend, über das Wochenende, meine berufliche Zukunft, meine Selbstachtung. Nicht zu vergessen mein Liebesleben natürlich.

Für ihn ist das alles nicht so schlimm; er muss den Korb nur verteilen, wenn es denn einen geben sollte. Ich werde damit leben müssen.

Verdammt, wieso zittern meine Hände bloß so? Im Augenblick kommt mir die Vorstellung, den selbstbewussten Herrn jemals ohne Klamotten, oder gar mit hingebungsvoll geschlossenen Augen zu sehen, derart lächerlich und unwahrscheinlich vor, dass ich mich beinahe schäme. Nein, nicht beinahe. Ich schäme mich. Und ich will weg hier.

Ist es nicht oft so, dass die größten Träume nichts als pures Erschrecken auslösen, wenn ihre Verwirklichung auf einmal nur noch eine Frage der Wahrscheinlichkeiten ist, mit einer Chance von mindestens 1:1? Wolkenkuckucksheime lassen sich prima und perfekt einrichten; in der Realität sind Fehler unvermeidbar. Also lasse ich meine Wünsche doch am besten im Kästchen und gehe nach Hause. Dann kann ich weiter träumen. Der mutige Versuch, sie wahr zu machen, kann immer auch zum Platzen führen. Und ob ein Traum nun eine Seifenblase ist oder ein handfester Basketball, der mich irgendwann dazu bringen wird, über ihn zu fluchen, weil er mich voll in den Arsch getroffen hat, das hängt nicht von mir ab.

Ich hasse es, keinen Einfluss zu haben auf das, was geschieht. Wobei ich mich auch frage, wie es kommt, dass ich mich immer wieder in so etwas hineinmanövriere. So, als existiere in mir ein innerer Kompass, der statt nach Norden konstant auf Veränderung ausgerichtet ist. Als ob die automatisch immer etwas Gutes wäre.

So versunken bin ich in meinen Gedanken, ich merke gar nicht, dass wir schon seit ein paar Minuten schweigend nebeneinander her laufen. Wieso sagt er denn eigentlich nichts, der Meister Großkotz, der immer alles im Griff hat?

„Wohin gehen wir eigentlich?“ frage ich abrupt. Er bleibt mitten im Schritt stehen, zwingt mich damit, es ihm nachzutun, atmet hörbar aus. „Gott sei Dank, Sie sprechen doch noch mit mir. Ich hatte schon befürchtet, ich habe mir alles versaut, mit meinem dummen Einfall, Cindy mitzunehmen.“

Die Unsicherheit im stockenden Tonfall ist Musik in meinen Ohren. Das ist immer gut, wenn die Herren einen schwachen Moment der Ehrlichkeit haben. Den muss man sofort ausnutzen, bevor der Unangreifbarkeitspanzer sich wieder schließt. Vorher sollte man allerdings sämtliche Hände wieder bei sich haben, sonst sind sie nachher ab.

„Nun, besonders intelligent war das sicher nicht. Was wollten Sie mir denn damit beweisen?“ Kleiner Rollentausch, diesmal bin ich diejenige, die streng befragt und kühl auf eingezogene Schultern und gesenkten Blick reagiert. Sonst macht er das immer mit den Redakteuren.

„Immerhin haben Sie sich mit ihr sogar noch besser amüsiert als ich,“ kontert er sofort. Ehrlichkeit gegen Ehrlichkeit; auch wenn seine nicht lange angehalten hat. „Das war als Rache gedacht. Normalerweise kann ich mit Frauen nicht sehr viel anfangen. Aber nachdem Cindy mir erklärt hatte, dass Sie beide eigentlich gar nicht zusammen sind …“ „Wollen wir uns eigentlich nicht endlich duzen?“ unterbricht er mich. Seine Höflichkeit scheint er mit dem Anzug zusammen abgelegt zu haben; so von wegen ausreden lassen und so. „Ach ja? Hier duzen, wo man in der Szene ist, und im Büro soll ich dann wieder Herr Chefredakteur sagen?“

„Gottverdammt, was ist eigentlich los? Du benimmst dich, als ob wir in einem Wettstreit liegen, wer von uns beiden der Bessere ist!“

Gut erfasst, lieber Philipp. Exakt. „Tun wir das denn nicht?“ wundere ich mich unschuldig.

Er verschränkt die Arme. Was für ein Glück, dass es schon Mai ist und abends nicht mehr kalt; sonst würde er sich bestimmt die lederumklemmten Eier abfrieren. „Also, wenn ich das einmal festhalten darf, bin in der Redaktion ich derjenige, der die Anweisungen gibt. Und was den Raum außerhalb betrifft, so machst du ja nicht gerade Anstalten, mir das Bestimmungsrecht streitig zu machen.“

Am liebsten würde ich ihm eine reinhauen.

Was heißt hier, am liebsten würde ich? Warum tue ich es eigentlich nicht? Wenn er mich hier eiskalt abtropfen lassen kann, dann kann ich die typisch männliche Überlegenheitsgeste in ihrer Schmerzhaftigkeit doch wohl auf die Art zurückgeben, die ihm am unangenehmsten ist – physisch. Was soll denn schon passieren? Kündigen wird er mir kaum deswegen. Dazu müsste er erstens erzählen, wo das Ganze passiert ist. Wonach, genauer gesagt. Außerdem kann er mich zwar rausschmeißen, aber lachen würden sie über ihn.

Doch der Impuls ist schon vorbei, noch bevor meine Überlegungen abgeschlossen sind. Dabei wäre es so angenehm, direkt unterhalb diese kalt funkelnden Augen eine heiße Ohrfeige zu setzen. Haut auf Haut, und zwar so, dass die Erinnerung anhält.

Aber grob kann ich trotzdem werden; gegen die seidenfeine Oberklassenarroganz kommt man damit manchmal erstaunlich gut an – und wenn nicht, hat man sich wenigstens erfolgreich distanziert vom höheres-Kind-Gehabe. „Du kannst mich mal,“ erwidere ich hitzig. „Wir sind hier nicht im Büro! Zu sagen hast du mir gar nichts! Erst ziehst du dieses blöde Theater ab, als ob du eine Freundin hättest. Wahrscheinlich ist es genau so ein Gerücht, dass du überhaupt dominant bist. Dann sitzt du den ganzen Abend rum wie ein Fisch auf dem Abwaschbrett – und statt mich wenigstens jetzt damit zu entschädigen, dass du dich ein bisschen anregender benimmst, hältst du mir Vorträge darüber, was ich falsch mache! Ich! Und das schimpft sich dann wahrscheinlich auch noch gute Erziehung. Zu der Tussi, die sich mit so einem dämlichen Gehabe beeindrucken lässt, kann ich dir jetzt schon gratulieren – die blöde Kuh hast du dir redlich verdient!“

Zack! Gut, die Formulierungen könnten besser sein, im Großen und Ganzen jedoch habe ich gesagt, was ich denke.

Fehlt nur, dass er jetzt anfängt zu lachen. Ich schwöre, dann hält mich nichts mehr.

Eine Urwut steigt in mir auf, gegen diese ganzen Männer, die nicht besser aussehen, nicht klüger sind, nicht gebildeter, nicht erfahrener als unsereiner, aber trotzdem immer die besseren Posten kriegen und das höhere Gehalt. Und sich dann noch einbilden, letzteres ließe Rückschlüsse zu auf ersteres und sich benehmen, als seien sie doch schöner, intelligenter, zertifizierter. Als ob der männliche Schwanz, der einem anderen den größeren Einfluss zuschiebt und der die Komplementärlöcher allenfalls sexuell als brauchbare Ergänzung sieht, eine unangetastete Autorität wäre. Klar – so lange all die mit dem schrumpeligen Würmchen das glauben und sich gegenseitig helfen, die besseren Positionen sichern, kann keine Möse ihnen das Scheinaxiom abhacken.

Nein, das muss ich ihm lassen, er lacht nicht. Er sagt gar nichts.

Doch meine Wut lässt nicht nach. Er ist nicht die wahre Ursache, er ist nur der Nutznießer von Dingen, die er ebenso wenig gemacht hat wie ich – bloß, er nutzt die Umstände sehr wohl aus; und stellt sich über mich. Ob das nun rein philosophisch eine Rechtfertigung dafür ist, ihm persönlich böse zu sein, interessiert mich, ehrlich gesagt, überhaupt nicht. Er ist nun einmal der einzig greifbare Vertreter der Überlegenheit kraft eines durch Überlieferung in Bronze gegossenen Nichts, den ich derzeit vor mir habe.


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