Cindy

14. September 2012

Wahrscheinlich wird sie es auf die allgemeine Stimmung schieben, die sich langsam mehr und mehr aufheizt. Inzwischen fällt man hier allenfalls dann auf, wenn man seine Hände schön brav bei sich behält. Das Pärchen uns gegenüber, zwei Männer, von denen einer aussieht wie eine Frau, oder eher so aussehen will, die sind auch feste dabei.

Im Büro würde ich so etwas auch nie tun; aber hier gehört es irgendwie dazu, dass man sich anfasst, wie man auf steiferen Festen kleine Konversation macht. Steif ist hier höchstens etwas anderes – aber soweit darf man nun auch wieder nicht gehen: das ist eine anständige SM-Party, hier wird nicht gespielt. Wenigstens nicht außerhalb der Performances.

Apropos – die nächste beginnt gerade; und jeder atmet erleichtert auf, als der zunehmend infernalische Krach der Elektronikband vorübergehend stoppt. Alles kriecht aus den eigenen oder fremden Kleiderfalten und richtet sich strammer auf, macht den Rücken gerade.

Nur Cindy kümmert sich nicht um die allgemeine Ordnung und schmiegt sich weiter an mich. Inzwischen liegt sie halb auf mir, und ich spiele mit ihrem Haar. Wahrscheinlich wartet sie auf etwas Energischeres als das – aber danach ist mir nun wirklich nicht. Jedenfalls nicht bei ihr.

Auf einmal beugt er sich über sie zu mir herüber. Sein unverschämtes Grinsen sprengt das rauchige Dämmerlicht. „Macht richtig Spaß, euch beiden zuzusehen,“ bemerkt er, und sein Tonfall ist fast derselbe, wie wenn er nonchalant einen Wetterbericht vorlesen würde. „Ich wusste gar nicht, dass Sie nur auf Frauen stehen.“

Na, das ging ja voll ins Auge statt per Eifersucht in seine Hose! Im ersten Moment bin ich sprachlos. Aber das hält bei mir nie lange an. Je besser mich jemand getroffen hat, desto giftiger werde ich unmittelbar danach. Und die verdammte Selbstsicherheit vom Herrn Chefredakteur geht mir langsam wirklich auf den Geist.

„Wer sagt denn das? Aber ich kann doch das nette Geschenk, das Sie mir mitgebracht haben, nicht einfach zurückweisen.“ Cindy in der Mitte, noch immer mit meinen Händen irgendwo an ihr, meistens allerdings auf Stoff und nicht auf Haut, kommt sich langsam wahrscheinlich wie ein Zankapfel vor, um den sich zwei Bestien streiten. Prompt richtet sie sich auf. „Ich möchte nach Hause.“ Etwas Unpassenderes hätte ihr kaum einfallen können. Ich bin gerade dabei, mir diesen arroganten Typen vorzuknöpfen, der mich erst verarscht, und mich dann noch ganz kühl aufzieht, wenn ich ihm das heimzahlen will, und da werde ich weder selbst hier verschwinden, noch ihn sich davonmachen lassen.

Noch vor ein paar Minuten hätte ich einen entsprechenden Wunsch nur herzhaftestens unterstützen können; da war allerdings nicht im geringsten daran zu denken, dass einer von den beiden mitzieht. Sie hing ja auch noch an der Kette, die jetzt scheinbar vergessen auf dem Tisch liegt. Ob er seinen Besitz nicht wieder beansprucht? Dann kann ich mir ja die Tussi greifen und mit ihr abziehen. Das wäre der zweitbeste Aus- und Abgang des Abends. Den besten, den mit dem Herrn statt der Dame, den habe ich mir ja gleich abgeschminkt, noch bevor wir überhaupt hier waren.

Fieberhaft überlege ich, was ich sagen kann, um Cindy vom geplanten Aufbruch abzuhalten. Hätte ich mehr Zeit, würde ich mir über meine wahren Beweggründe dafür klar werden – und dabei natürlich merken, dass ich die Hoffnung noch keineswegs aufgegeben habe, mir meinen beruflichen Chef zu greifen und mich rein privat, ganz erotisch, zu seiner Chefin zu machen. Zugegeben, im ersten Moment, als ich ihn da so als Dom verkleidet zu sehen bekam vor meiner Tür, da hat der Schock für einen kleinen Realitätsschub gesorgt. Aber seit ich weiß, dass die Sub nur vorgeschoben ist, hat sich irgendwo eine kleine Hoffnung dazwischengeklemmt, zwischen Enttäuschung und nüchterne, resignierte Unmöglichkeitseinsicht, die mir infolgedessen schon beinahe wieder zu voreilig vorkommt. Hoffnung ist ein hartnäckiges kleines Biest, das zäh überall dran klebt sich alles so zurechtdreht, wie es das gerne hätte.

Noch bevor mir etwas Intelligentes einfällt, hat er sich bereits zum Herrn der Situation erhoben. „Ich denke, wir sind alle drei nicht mehr so sonderlich daran interessiert, an diesem Ort zu bleiben.“ Etwas weniger gestelzt hätte er sich natürlich schon ausdrücken können. Und inhaltlich passt mir das, was er sagt, überhaupt nicht. Ich sehe es schon vor mir – er fährt erst mich nach Hause, dann Cindy. Bei ihr könnte es heißen, oder auch nicht – aber bei mir ist das völlig ausgeschlossen. Und am Montag wird dann alles oberpeinlich, wenn wir uns auf der Redaktionssitzung wiedertreffen. Na Klasse – unter den Umständen werde ich das Wochenende richtig genießen können.

„Wenn ich einen Bericht über die Fête machen soll, muss ich wenigstens noch das Programmende abwarten,“ ist mein pampiger Einwand. Er grinst nur. „Auf den anderen Partys, von denen Sie berichtet haben, sind Sie meistens auch nicht bis zum Schluss geblieben. Notfalls saugen Sie sich halt etwas aus den Fingern. Aber Sie können natürlich gerne noch bleiben, wenn Sie unbedingt wollen. Mir allerdings ist jetzt nach einem Spaziergang, nach all der Stickigkeit hier, und dann vielleicht noch irgendwo einem Kaffee. Die Damen sind eingeladen, mich zu begleiten – aber nachlaufen werde ich Ihnen beiden nicht.“

Arschloch!

„Da Cindy nach Hause will und ich bleiben muss, werden Sie Ihren Spaziergang wohl allein machen müssen,“ bemerke ich spitz. „Sie können sich ja einen echten kleinen Hund anschaffen für Ihre Leine.“

Er reagiert gar nicht auf meine Provokation, verbeugt sich stattdessen vor Cindy. Angesichts seiner Überheblichkeit wirkt es eher wie eine Parodie; und vielleicht ist es so auch gemeint. „Ich werde dich natürlich erst einmal sicher zu deiner Wohnung bringen.“

Oh, ganz der Gentleman! Immer bereit, die Notlage einer hilflosen Frau auszunutzen, um die eigene Großartigkeit herauszustellen. Halt, Moment – da klingelt etwas. Wenn er sie zurückbringt und danach spazieren geht, das wäre doch die Gelegenheit, endlich einmal mit ihm außerhalb des Büros allein zu sein! Nicht dass ich wüsste, was ich mit einer solchen Situation anfangen sollte – von einem echten Plan ganz zu schweigen -, aber das kann ich mir doch unmöglich entgehen lassen!

Wer weiß, womöglich hat er es auch genauso geplant. Oder nein, ich sollte nicht übermütig werden; ich kann es nicht erlauben, dass meine Einbildungskraft mit mir davon galoppiert, um mich dann fünf Meter weiter in einen stinkigen Graben zu schmeißen. Es reicht ja, dass sich eine Möglichkeit bietet, ob er das nun beabsichtigt oder nicht. Mein Zupacken ist da von seinen Wünschen völlig unabhängig.

Auf der anderen Seite – so einfach kann ich mich von ihm nicht schon wieder überrumpeln lassen. Wenn Cindy nach Hause will, gut; wenn er nach Hause will, auch gut, respektive schlecht. Nur, was hat das mit mir zu tun? Weshalb sollte ich brav hinterher traben, als hätte er die Kette im Laufe des Abends einfach am nächsten Hals festgemacht? Wenn er einmal glaubt, er hätte das Heft in der Hand, was irgendwelche privateren Potentialitäten betrifft, kriegt selbst der hingebungsvollste Devotling Starallüren – und bei ihm ist von hingebungsvoll nicht das Geringste zu erkennen.

Cindy steht bereits; ich muss mich entscheiden, sonst werden die Fakten ohne mich geschaffen.

Auf einmal liegt ganz leicht und ganz kurz eine Hand auf meiner Schulter. „Ich will Sie zu nichts überreden, was Sie nicht wollen. Allerdings, den Wunsch und die Bitte darf ich doch äußern, dass Sie mich begleiten?“

Na also – so ist das schon besser! Jetzt kann ich seinen Plänen nachgeben, ohne das Gesicht zu verlieren. Cindy tut mir ein bisschen Leid. Eigentlich ist sie ja völlig überflüssig; und wir haben sie beide benutzt, der Herr Chefredakteur und die Erotikmieze. Sie allerdings sieht gar nicht einmal so unglücklich aus. Was sie wohl für ein Leben führt, dass sie sich so widerspruchslos auf solche Spiele einlässt? Es fällt mir schwer, sie mir vorzustellen als Mittelpunkt von etwas. Wir sehen andere ja meistens nur in Bezug auf unser eigenes Leben – und bemerken nicht, dass wir für sie ebensolche Randfiguren sind wie sie für uns.

Ganz so schnell wie gehofft geht unser Abgang nun doch nicht vonstatten. Während ich die ganze Zeit vorher nicht ein einziges bekanntes Gesicht gesehen habe – und ich hätte ihm doch so gerne vorgeführt, dass ich zu Hause bin, wo er Neuling und Gast ist! -, quatschen mich jetzt alle möglichen Leute an, von denen ich mir zum Teil mühsam den Namen aus dem Gedächtnis kratzen muss. Und dann noch wissen, ob ich den echten Vornamen überhaupt benutzen darf, hier, in diesen geheimen, anonymen Kreisen der Fortschrittlichkeit auf Kettenrädern.

Die ersten zwei Gespräche macht er mit, mit Cindy auf seinen Arm gestützt, aber dann geht es ihm wohl nicht schnell genug – auf einmal entdecke ich, als ich hochschaue, weder ihn, noch Cindy.


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