Madame auf dem Kriegspfad

24. Mai 2013

Ja, ich weiß – privat dagegen kann ich nichts erreichen bei ihm.

Deinar will etwas, was er eigentlich gar nicht will – mich. Hormone und Herzklopfen fordern etwas von ihm, dem sein Verstand im Wege steht. Zugegeben – einfach ist es bestimmt nicht, mit mir auszukommen. Ob ich so schlimm und unmöglich bin, wie Deinar das ersichtlich befürchtet, weiß ich nicht – aber chaotisch und chaotisierend genug bin ich sicher. Ich würde sicherlich sein ganzes, gerade erst nach der Scheidung mühsam wieder geordnetes Leben durcheinanderwirbeln; ebenso wie er meines.

Ein Teil von ihm will das, und ein Teil von ihm denkt nur an Flucht.

Mit dem Zwiespalt muss er allerdings allein fertig werden. Ich kann ihm dabei nicht helfen, denn ich kann seine Vernunft nicht überzeugen. So früh, wie sein Weglaufinstinkt eingesetzt hat, steht es mir nicht einmal offen, über andere Kanäle an der Überzeugung zu arbeiten, es könnte doch klappen mit uns. Mit anderen Worten: Ich kann nichts tun. Und je länger er braucht, um mit sich selbst klarzukommen, desto weniger werde ich das wollen.

Mir muss niemand etwas davon erzählen, wie man sich fühlt, wenn man so zerrissen ist. Ich weiß es; nur zu gut. Ich denke, mir ist es einige Male gelungen, mich wie Münchhausen selbst aus diesem Sumpf wieder herauszuziehen. Zuletzt an diesem Abend, als ich ihn im Büro überrascht habe. Bloß – einer allein kann keine Beziehung aufbauen.

So sieht es aus.

Und bevor ich jetzt das heulende philosophische Elend kriege, knöpfe ich mir Siebert vor für die Implementierung des Layouts.

Siebert ist genauso störrisch, wie ich das befürchtet habe. Die kleinen Bitmaps, die die Grafikerin wunderschön ausgesucht hat, sind natürlich nicht einfach über den Contentbereich oben drüber geklatscht, sondern strategisch auf der Seite verteilt. Das könne er nicht programmieren, weigert sich Siebert. „Herr Siebert, Sie wollen mir doch nicht erklären, Sie können nur die einfachen Designs umsetzen?“ wundere ich mich. „Wenn Sie schon wissen, dass Ihr Layout kompliziert ist, Frau Senreis, dann sollten auch Sie als totaler Laie auf dem Gebiet sich denken können, dass es nichts als Probleme mit der Umsetzung gibt. Ich schlage vor, Sie überlegen sich einfach etwas anderes.“

Das Maultier kriege ich so schnell nicht auf Kurs. Da hilft nur der Holzhammer der mondheimlichen Macht – oder ein kleiner Trick.

„Ist gut, Herr Siebert. Sie können gehen.“ Erstaunt sieht er mich an. Mit einem so schnellen Aufgeben hat er nicht gerechnet. Es verhindert ja auch die Vollständigkeit seines Triumphes. „Ist noch etwas?“ koste nunmehr ich den meinen aus, den ich allerdings erst noch schaffen muss. Kopfschüttelnd verschwindet er.

Mondheims Sekretärin kann ihn angeblich die nächsten zwei Stunden nicht erreichen. Als ich ihr jedoch mein Problem schildere, lacht sie nur. „Bis 2.000 Euro haben Sie freie Hand, Frau Senreis,“ erklärt sie. „Das hat mir Mondheim noch ausdrücklich aufgetragen für den Fall, dass Sie irgendwelche Hilfe außer Haus benötigen. Sie können alles selbst in die Wege leiten. Nur wenn es teurer wird, sollten Sie sich vorher mit ihm abstimmen. Und informiert werden will er natürlich in jedem Fall.“

Na wunderbar. Ob er geahnt hat, wie schnell ich dieses Angebot annehmen muss? Wenn ja, hätte er mir das natürlich auch selbst sagen können – aber nun gut.

Ein wenig Recherche führt mich schnell zu der Firma, die unsere Software programmiert hat. Was für ein Zufall – sie sitzt direkt in unserer Stadt. Obwohl – ein Zufall ist das bestimmt nicht. Ich bin sicher, in dem Vorstand sitzt einer, der Mondheim kennt oder umgekehrt. So bekannt sind nämlich weder Firma, noch Software – und irgendeinen Grund muss es ja haben, warum ausgerechnet letzteres bei uns eingesetzt wird. So langsam lerne ich, glaube ich, wie solche Dinge zustande kommen.

Selbstverständlich passt man das Programm dort auch an spezielle Layoutwünsche an, versichert man mir. Die Preise dafür sind allerdings happig – 1.100 Euro am Tag. Nach meinem Budget müsste die Anpassung dann in weniger als zwei Tagen minus noch Mehrwertsteuer fertig sein, und das bezweifle ich dann doch. Der Programmierer, den ich am Rohr habe, scheint Mitleid mit meinem spürbaren Erschrecken zu haben. Er verbindet mich mit einem anderen Mitarbeiter, der neben seinem Job dort ab und zu als Freiberufler Aufträge annimmt. Meine zweifelnde Frage, ob das denn keine juristischen Schwierigkeiten auslöst, quittiert er mit einem Lachen. „Das geht schon in Ordnung – unsere Firmenleitung ist da nicht so.“

Der Mensch, mit dem ich dann spreche, nimmt 80 Euro pro Stunde. Lassen Sie mich rechnen – das wären dann, ja, mit Mehrwertsteuer 21,5 Stunden. Na, wenn das nicht ausreicht! Und schließlich ist der Typ für diese Software ja Fachmann, der voll in der Materie drin ist. Anders als Siebert.

Ich schicke die Datei mit dem Layout per Mail, und zwei Stunden später habe ich seine Zusage, dass er mir das übermorgen programmiert haben wird. Na klasse! Hoffentlich klappt das auch tatsächlich.

Noch am Montag Abend kriege ich Besuch von dem freundlichen Helfer, der übrigens Bernhard heißt. Bis halb zehn sitzen wir gemeinsam mit der Grafikerin über dem Entwurf. Sie ist zuerst von den Überstunden nicht sehr begeistert, doch sobald ich ihr meinen Plan erläutert habe, ist sie Feuer und Flamme. Sie mag Siebert ganz offensichtlich auch nicht und hat eine tierische Freude bei dem Gedanken daran, ihm eins auszuwischen. Mir hat es auch nicht gefallen, Teermann absagen zu müssen, aber was sein muss, muss nun einmal sein.

Am Mittwoch Nachmittag kommt Bernhard erneut, und von einer CD fügt er das neue Layout hinzu, so dass ich sofort damit arbeiten kann. Von dem, was er mir dazu erklärt, verstehe ich nicht viel, aber das stört ja niemanden; ihn am allerwenigsten. Wozu brauche ich es wissen, welche Dateien er dazu auf meiner Festplatte überspielen muss? Die Rechnung hat er gleich mitgebracht – 1.360 Euro plus Mehrwertsteuer, 17 Stunden Arbeit. Ich soll alles testen und mich sofort melden, wenn etwas nicht funktioniert, ergänzt er – kleine Änderungen seien selbstverständlich im Preis inbegriffen. Mutig von ihm – er weiß ja nie, was ich als kleine Änderung betrachte. Wahrscheinlich ist er einfach so von seiner Arbeit überzeugt, dass er von einem reibungslosen Gebrauch ausgeht.

Die Rechnung geht gleich auf den Stapel für Mondheim, der jeden Abend von irgendjemandem abgeholt und ihm übergeben wird. Dann schreibe ich sofort noch das Berichtmail und bedanke mich ausdrücklich für sein Entgegenkommen.

Als nächstes wird natürlich ausprobiert, ob meine Neuerwerbung funktioniert. Vielleicht hätte ich das tun sollen, bevor ich Mondheim von dem Erfolg berichte? Zu spät! Zum Glück sieht alles ganz gut aus.

Inzwischen hat mir die angesprochene Autorin drei ihrer Geschichten geschickt, die mir sämtlich hervorragend gefallen. Die füge ich gleich noch ein. Sie schreibt gerade an einem richtigen Roman. Wer weiß, vielleicht kann man auch da etwas organisieren, was einen Verlag angeht. Zumindest Lesungen veranstalten. Ja, das muss ich bei nächster Gelegenheit noch mit Mondheim besprechen – eine Veranstaltung zur Premiere von SM-salabim, mit Lesung, Ausstellung, Musik und so weiter. Scheint mir eine richtig gute Idee zu sein – ein Knalleffekt zum Auftritt. Gleich alles schriftlich festhalten und an Mondheim mailen. Gleichzeitig geht der Vorschlag mit der Lesung an SirtaM raus; das ist der Künstlername der Dame.

Der Autor hat sich noch nicht gemeldet; eine Woche warte ich noch, dann schreibe ich ihn entweder nochmals an oder gleich ab.

So, und nun zu Siebert.

Ein Anruf schafft ihn zu mir ins Büro. Sein arrogantes Grinsen ärgert mich, aber ich denke, das wird ihm noch vergehen. Er scheint noch von nichts zu wissen; die Grafikerin hat also tatsächlich dichtgehalten. „Und, wie sieht das neue Layout aus?“ fragt er.

Ich lehne mich genüsslich zurück. „Das Layout sieht genauso aus wie geplant.“ Erste Verwirrung ist in seinem Gesicht zu sehen. „Wieso – ich meine, ich hatte Ihnen doch schon gesagt …“ „Sie hatten mir gesagt, dass Sie dieses Layout nicht umsetzen können,“ falle ich ihm ins Wort. „Daraufhin habe ich mich anderweitig umgesehen. Irgendjemanden wird es schon geben, der diese Aufgabe bewältigt.“

„Den müssen Sie mir zeigen, der das hinkriegt,“ erwidert er, und sein Hohn ist unverkennbar. „Den Programmierer kann ich Ihnen leider nicht mehr zeigen,“ antworte ich. „Der ist nämlich schon weg. Aber wenn Sie sich vielleicht das Ergebnis einmal ansehen wollen?“

Eine Handbewegung lenkt seinen Blick auf meinen Bildschirm. Noch versteht er nicht. „Ja und?“ Ich stehe auf, weise auf meinen Platz. „Setzen Sie sich. Es sind bereits etliche Artikel eingepflegt, das Programm ist offen. Vielleicht versuchen Sie es einfach einmal mit Publizieren?“

Er stürzt sich auf Platz und Rechner. Es dauert eine Weile; er publiziert, publiziert noch einmal, besieht sich die Dateien im Verzeichnis. Endlich hat er es geschnallt. Noch bevor er etwas sagen kann, melde ich mich zu Wort. „Wie Sie das neue Layout nun auf Ihren Rechner kriegen, wissen Sie sicher besser als ich. Am besten erledigen Sie das sofort.“ Ich denke nicht daran, mich selbst durch das Firmennetz durchzuwühlen.

Und jetzt der Abschiedstritt für den Maultierarsch. „Nachdem das erledigt ist, hoffe ich darauf, von Ihnen demnächst die erste Fassung des Kontaktmarktes zu sehen. Wie weit sind Sie denn damit?“

Siebert ist ebenso kleinlaut wie sauer und murmelt etwas von „im Lauf der nächsten Woche“. Statt eines heimlichen Unterwanderers habe ich in ihm wahrscheinlich jetzt einen offenen Feind. Allerdings hat er gesehen, ich weiß mich durchaus zu wehren. Und das kann ich jederzeit wiederholen.

Madame ist auf dem Kriegspfad.

***

Mir liegt der Anfang des Romans von SirtaM vor. Den Text zu lesen ist wie frischer Zitronensaft im Sommer; schrecklich schön und schön schrecklich, auf jeden Fall äußerst erfrischend.

Es ist eine Liebesgeschichte. Ja, eigentlich mag ich Liebesgeschichten nicht, sagte ich – und dazu stehe ich auch. Aber die Geschichte nimmt mich trotzdem mit. Sie ist realistisch. Realistisch mit gerade genug rosarotem Zauberstaub, um an die vergrabenen Sehnsüchte heranzureichen, die jeder in sich trägt. Sie müssen aus einer längst vergangenen Zeit stammen, die unwiederbringlich verloren ist, sonst täte es nicht so weh, daran zu denken.

Wahrscheinlich sind diese Sehnsüchte der Antrieb für so vieles, das in Traurigkeit und Streit führt, weil das Leben heute eben anders ist als damals. Könnte man sie gänzlich abschaffen, die geheimen tiefen Wünsche, wäre man gewiss besser dran. Ärmer zwar auch; aber ich kann den alten Spruch nicht richtig finden, dass nur der seelische Schmerz für geistige Entwicklungen sorgt. Etwas weniger davon verhindert bestimmt keine Blüte, sondern sorgt nur dafür, dass man zu schätzen weiß, was es an echten Blüten tatsächlich gibt.

Was wäre Ihnen denn lieber: Immer den Traum einer wunderschönen blauen Blüte mit sich tragen, von der sie wissen, es gibt sie in Wirklichkeit gar nicht – oder nicht doch lieber sich an einer ganz stinknormalen, gewöhnlichen Apfelbaumblüte freuen?

Soweit das Wort zum Dienstag, der die ausgesprochen hektische und arbeitsreiche Woche fortsetzt. Nach diesen kleinen Träumereien komme ich glücklicherweise kaum noch zum Nachdenken.

Am Donnerstag Abend holen Teermann und ich unser Abendessen nach. Er hat seinen Erlebnisbericht fertig, und natürlich bin ich zu neugierig, ihn erst zu Hause zu lesen. Er ist so bewegend, ich muss meine Sentimentalität gewaltsam herunterschlucken. Die Hilflosigkeit, mit der er wie so viele andere auch anfangs seiner speziellen Neigung gegenüberstand, ist ebenso deutlich zu spüren wie seine Anstrengung, damit klarzukommen. „Ein großes Kompliment, Dr. Teermann,“ sage ich nach Lesen und einer kleinen Pause, die ich brauche, um mich wieder zu fangen. „Können Sie mich nicht Peter nennen?“ fragt er, und mit einer kleinen Brüderschaftszeremonie ist uns beiden über unsere Verlegenheit hinweggeholfen. An Gesprächsthemen herrscht kein Mangel; vom neuen Portal über seine Studentenzeit bis hin zum Zirkel und seiner Arztpraxis kommen wir vom hundertsten ins tausendste und quatschen uns fest bis weit nach Mitternacht.

Der nächste Tag steht ganz im Zeichen Mondheims. Er sagt nicht viel zu den Fortschritten – dass das Layout steht, scheint für ihn eine Selbstverständlichkeit zu sein, ebenso wie die ständig wachsende Anzahl an Textseiten und Galerien. „Wo bleibt der Kontaktmarkt?“ fragt er nur, als ich mit meinem Report am Ende bin. „Das läuft alles,“ entgegne ich ausweichend. „Wahrscheinlich kann ich Ihnen schon nächste Woche zeigen, wie alles funktionieren soll.“

„Ich werde nachher noch mal mit Siebert reden,“ brummt er. „Das müsste schneller gehen.“ „Nein, bitte,“ widerspreche ich. „Ich finde, ich muss selbst lernen, mit ihm auszukommen. Er war ja bockig, zugegeben. Aus dieser Patsche haben Sie mir aber super herausgeholfen. Und ich bin sicher, er gibt sich größte Mühe.“ „Momentan vielleicht,“ wendet Mondheim ein. „Aber ich kann Ihnen garantieren, mit dem werden Sie noch einiges an Terz haben.“ Ich zucke die Achseln. „Das nehme ich, wenn es kommt. Ich denke, ich kann mich schon wehren.“

Mondheim grinst. „Das habe ich gesehen. Und Deinar hat es ebenfalls bemerkt.“

Was hat der nur immer mit Deinar? Kann er sich nicht aus meinem Privatleben heraushalten?

Ich schweige. „Übrigens, Frau Senreis, bevor ich das vergesse – nächste Woche ist eine erste Vorbesprechung wegen Ihrer Aufnahme in den Zirkel. Dienstag Abend, 20 Uhr. Den Ort sage ich Ihnen noch.“

Aha. Soll ich jetzt hurra schreien?

„Nicht dass Sie ihn selbst finden müssen,“ fügt er hinzu, „Sie werden abgeholt.“

Ach ja – und von wem? Der alte Strippenzieher hat hoffentlich nicht vor, Deinar und mich in ein Auto zu stecken. Ein Temperamentsbündel, ein verklemmter Schmusebär und ein Faradayscher Käfig ergeben zwingend eine Explosion; das sollte er wissen.

„Von Lange,“ kommt die nächste Ergänzung. Wahrscheinlich hat der Mistkerl sich ganz genau meine Reaktionen angeschaut.

Auf einmal ändert sich sein Gesichtsausdruck. „Wenn Sie wirklich etwas von Deinar wollen, Anne, dann werden Sie viel Geduld brauchen. Er ist nicht einfach.“ Wem sagt er das? Und übrigens, wer hat ihm erlaubt, mich beim Vornamen zu nennen? Nur weil er einen väterlichen Anfall hat, muss er nicht gleich vertraulich werden. Andererseits, ist ja ganz nett von ihm, dass er sich so um mich kümmert. Er hat verdient, dass ich nicht pampig bin, sondern aufrichtig. „Wissen Sie was – ich weiß es nicht, ob ich wirklich etwas von ihm will. Es ist mir nicht neu, solche Schwierigkeiten, wo eigentlich alles klar sein sollte, weil zwei Leute so verknallt ineinander sind, dass es jedem schon von weitem auffällt. Im Moment allerdings ist es mir schlicht zu kompliziert. Ich habe nur eine bestimmte Menge Energie, und die scheint mir beim Portal besser aufgehoben zu sein.“ Er nickt. „Deinar hatte es sehr schwer; erst in seiner Ehe, und die Trennung hat er auch nicht leicht weggesteckt. Aber, wenn Sie mir diese persönliche Bemerkung erlauben, das entschuldigt nicht alles, und ich denke, Sie tun recht daran, sich wenigstens im Augenblick von ihm fernzuhalten.“

Dann grinst er. „Ganz davon abgesehen kann ich es natürlich nur begrüßen, wenn Sie sich lieber unserem neuen Projekt widmen statt Deinar.“

„Wissen Sie was, Mondheim,“ sage ich, „eigentlich sind Sie riesig nett, aber ich glaube, Sie mögen es gar nicht gerne, wenn man Ihnen darauf kommt.“

Fanfare bitte – es ist mir gelungen, ihn aus der Ruhe zu bringen. Sogar ein klein wenig rot wird er. „Nun hören Sie aber auf,“ oder etwas in dieser Richtung gibt er von sich. Überzeugen kann er mich damit jedoch nicht. Es ist schon genauso, wie ich es gesagt habe. Ich setze noch einen drauf. „Und bevor nun wiederum ich das vergesse, will ich mich jetzt einmal richtig bei Ihnen bedanken. Ich weiß, das ist Ihnen unangenehm – aber ich tu’s trotzdem. Wenigstens einmal.“ „Das reicht dann aber auch!“ grollt er.

Immerhin einer, mit dem ich nicht im Krach auseinandergehe. Das spricht entweder dafür, dass ich doch nicht ganz so zanklustig bin – oder für ein wenig Glück. Na schön, von Mondheim will ich auch nichts – vielleicht ist das des Rätsels Lösung. Von Siebert allerdings will ich auch nichts, und mit dem klappt es nicht besser als mit Deinar. Wahrscheinlich gibt es einfach Menschen, mit denen man auskommt, und andere, mit denen Reibereien unvermeidlich sind.

Den kärglichen Rest der Arbeitswoche verbringe ich mit ein paar weiteren eigenen Artikeln, und dann stürze ich mich auf den freien Abend wie ein Verdurstender auf Wasser. Dummerweise ist Evelyn zurück von Paris und gleichzeitig zurück aus der Beziehung und braucht Unterhaltung. Deshalb lande ich nicht auf dem Sofa vor dem Fernseher, sondern in einem Kinosessel vor einem absolut unmöglichen Film. Avantgardistisch sein wollen rechtfertigt ja viel, aber eine derartige Zuschauerquälerei ist nicht Kunst, sondern purer Sadismus. Anfangs sind wir noch beide empört, doch irgendwann packt uns das große Kichern. Was uns viel Gezischel und „Pst!“-Rufen einbringt und Evelyn einen neuen Verehrer. Der uns gleich in die nächste Bar begleitet und so für einen ziemlich frühen Abgang meinerseits sorgt.

Nach 14 Stunden Schlaf fühle ich mich am Samstagmorgen wieder halbwegs fit. Das nutze ich gleich für ein wenig Jogging aus. Danach höre ich mir am Telefon Evelyns Bericht über ihren „Neuen“ an. Das erste Mal, seit ich sie kenne, spüre ich ein wenig wie Überdruss aus ihrer Beschreibung heraus. Wahrscheinlich ist es völlig egal, ob man allein lebt oder immer neue Partner hat – die Gleichartigkeit der Enttäuschungen ist es, die alles so grau aussehen lässt. Das Patentrezept der ständigen Abwechslung kommt an den Gleichheiten im Leben nun einmal auch nicht vorbei. Seit unserem kleinen Streit haben wir uns nicht so gut verstanden wie bei diesem Telefonat, wo wir die große Gemeinsamkeit unter unseren völlig unterschiedlichen Fassaden entdecken. Wir sind beide nicht zufrieden mit unseren Tagen und Nächten.

Das erste Mal verstehe ich auch Martina besser. Befriedigung im Beruf zu finden macht zwar das Privatleben nicht heile – aber es macht trotzdem glücklicher. Nicht so glücklich wie im ersten Liebesrausch, dafür jedoch umso verlässlicher.

Nachmittags verfliegt das Selbstbewusstsein, das daraus entsteht, wieder ein bisschen. Da man sich ja das, was man nicht hat, immer in Technicolor ohne jedes Schwarz bunt malt, zerrt eine kleine Sehnsucht an meiner guten Laune und will sie ihres schönen Anscheins entkleiden. Wie toll wäre jetzt ein wenig Kuscheln, ein wenig Sex – nein, halt, machen Sie daraus viel Sex. Viel wilden, harten Sex. Wobei man sich noch unterhalten müsste, ob ich die Härte ausübe oder genieße.

Diese Stimmungen sind wie die, wenn man versucht, sich das Rauchen abzugewöhnen. Nichts ist so verführerisch wie das, von dem man sich selbst abrät. Wobei ich keinesfalls vorhabe, den Sex aufzugeben. Den Sex nicht – nur die Unruhe einer problematischen Beziehung.

Trotzdem stehe ich mindestens eine Stunde lang in der ernsthaften Gefahr, Deinar anzurufen. Die Versuchung ist in manchen Sekunden sogar stark genug, mich bis zum Telefon zu treiben. Erst als ich merke, ich benehme mich gerade wie in einem kitschigen Film, und das Feuer mit ein wenig grauschwarzem Realismus im Hinblick darauf dämpfe, was geschehen wird, sobald ich länger als drei Minuten mit ihm geredet habe, geht der Anfall vorbei.

Nicht endgültig; er kehrt am Sonntag noch zweimal zurück. Aber ich bleibe der Sieger.

***

Es gibt Siege, die schmecken schal.

Als die neue Woche mir gleich zu Beginn gründlich zeigt, wie viel Dinge schief gehen können, reut mich meine Standhaftigkeit über das Wochenende. Wie schön wäre es, jetzt Deinar anrufen zu können und mich bei ihm auszuheulen. Wegen Siebert, der krank ist und die ganze Woche krank bleiben wird – was meinen ganzen vorläufigen Zeitplan durcheinander bringt. Wegen des Fotografen, der seine längst fertige Galerie nun doch noch zurückzieht. Wegen des Autoren, schon beinahe vergessen, der mir sehr direkt, knapp und arrogant mitteilt, er habe keinerlei Interesse daran, seinen Namen auf einer völlig unbekannten neuen SM-Seite lesen zu können. Wegen meiner Angst vor dem morgigen Abend. Wegen des verkorksten zweiten Anwaltsartikels, den ich völlig umarbeiten muss. Wobei meine Redaktionsarbeit im Hinblick auf das erste Teil bei ihm auch schon keine große Gegenliebe gefunden hat.

Nur, was ist das für eine Beziehung, die ich lediglich dann haben muss/will/kann, wenn es mir schlecht geht?

Das ist es. Genau da steckt der Haken. Ja, plötzlich geht es mir auf. Wenn ich in solchen Situationen Deinar anrufe, dann verstehen wir uns. Er ist für mich da, er tröstet mich, er hilft mir. Bloß, wenn es mir wieder gut geht, dann beginnen die Schwierigkeiten. Wohingegen ich aus seiner warmherzigen Unterstützung unerlaubterweise einen Schluss für sein gesamtes Wesen ziehe und glaube, er sei immer so. Dabei ändert er sich schlagartig, wenn ich fröhlich bin, übermütig, gutgelaunt, selbstbewusst.

Wie vom Donner gerührt sitze ich da mit der neuen Erkenntnis. Es ist alles meine eigene Schuld. So wie Deinar – ähnlich vielen anderen Männern – eine Partnerin sucht, die immer ein kleines Bisschen schwächer ist als er selbst, von ihm ein kleines Bisschen abhängig, ihm ein kleines Bisschen unterlegen, so suche ich den Mann, der immer ein klein wenig stärker ist als ich, ein großes Stück unabhängig von mir, mir ein kleines Bisschen überlegen. Damit ich mich an ihn hängen und auf ihn stützen kann, wenn das Leben seine Boxhiebe verteilt. Während ich, sobald das Unwetter vorbei ist, mit genau diesem Ungleichgewicht der Macht nicht leben kann.


Weitere Einträge


Schreibe einen Kommentar

Telefonsex Erziehung mit Herrin