Komplikationen

9. Dezember 2012

Ist ja schließlich nicht jeden Tag, dass man so eine nette Bondage mal eben in ein paar Minuten hinlegt. Oder aufgelegt bekommt. Letzteres würde mich noch mehr interessieren. Allerdings kann ich mir kaum vorstellen, mich dafür in die Hände eines Mannes zu begeben; dazu hat die Lebenserfahrung mir inzwischen zu viele Vorurteile gegen das beschwanzte Geschlecht verschafft. Andererseits, bei einer Frau wird es im Zweifel wohl kaum richtig knistern. Natürlich sind Frauen ästhetisch betrachtet oft viel angenehmer anzusehen. Und so rindviehhaft wie Philipp würde sich kaum ein Weib aufführen. (Kein Protest – ich bin selbst weiblich, also darf ich auch Weib sagen. Worin weder ausdrücklich, noch konkludent die Einwilligung dazu liegt, selbst so bezeichnet zu werden!) Aber in der Giftigkeit der Auseinandersetzung stehen die Frauen den Männern in nichts nach.

Scheint eher eine geschlechterunabhängige Menscheneigenschaft zu sein und keine Hormon- oder Chromosomenfrage, diese merkwürdige starke und heftige Fähigkeit, anderen Dinge anzutun, bei denen man selbst Mühe hätte, stehen zu bleiben.

Zurück zur Story. Diese blöde Bühnenszene werde ich jetzt abschließen; es reicht, und zwar dicke. Auch wenn es den Zuschauern und Lesern vielleicht nicht langweilig wird – ich habe mehr als genug davon. Ich will, dass etwas passiert und man nicht nur so erotisiert herumsteht, -sitzt, -kniet. Ich will, dass das Leben brandet und tost. Dass die Fetzen fliegen. Wenn das schon in meinem eigenen Leben so ist, warum dann nicht auch in der Geschichte?

Wobei sich die Geschichte bemerkenswert schnell von der Realität gelöst hat, die anfangs die Inspiration dazu gegeben hat. Inzwischen kann ich es kaum noch glauben, wirklich mit Peter respektive Philipp auf dieser blöden Party gewesen zu sein. Und die Überlegung, wir hätten es dort auf dem Umweg über eine Frau irgendwie miteinander getrieben, die ist geradezu lachhaft. Obwohl es in gewisser Weise ja sogar der Wahrheit entspricht.

Aber knappe Zusammenfassungen können einfach barbarisch täuschen; es kommt eben doch auf die Details an. Auf die Kleinigkeit zum Beispiel, ob die beiden sich das bewusst gemacht haben, welche Rolle die Pufferfrau mittendrin spielte. Ob irgendwann der Puffer überwunden wurde. Ein Spiel zu dritt ist ein Spiel zu dritt; und eines zu zweit in zwei unterschiedlichen Konstellationen ist nun einmal eines zu zweit; auch wenn mit der Zuwendung zum Puffer eigentlich der dritte gemeint war.

Habe ich mich jetzt etwas zu kompliziert ausgedrückt? Macht nichts. Schauen Sie doch einfach das Ergebnis an: Peter und die verschnürte Schönheit werden ihr Techtelmechtel garantiert auch nach der Fête fortsetzen. Das zwischen Philipp und mir hat nie auch nur begonnen. Und wenn das nicht ein entscheidender Unterschied ist, dann weiß ich es auch nicht.

Apropos Techtelmechtel – es wird Zeit, dass die beiden tatsächlich Verliebten auf der Bühne endlich zu ihrem eigentlichen kommen; ohne packweise fremde Voyeursaugen. Also heißt es, einen Abgang finden. Darin bin ich zwar im realen Leben in der letzten Zeit anscheinend ein echter Spezialist; aber hier ist doch etwas anderes gefragt.

Okay – also noch ein bisschen Herumspielen der Dame an der Dame, noch ein wenig Applaus, und Vorhang. Peter-Philipp und seine Latexangebetete sind verlegen bis zum Rotwerden, die Dame und ihr Sklave nehmen alles gelassen. Man begibt sich im Gänsemarsch zurück zum Tisch beziehungsweise zu den Tischen, und recht bald danach verabschieden sich unsere zwei Helden. Peter hat ohnehin Probleme, seine steigende Lust zu verbergen, die die Scham über seine Exponiertheit vorne nur sehr vorübergehend hat dämpfen können. Er weiß nicht so genau, was ihn mehr erregt hat; die Behandlung durch die erfahrene Domina, das nachfolgende Laienschauspiel seiner vielleicht-bald-Freundin, das ihn weit tiefer ins Mark getroffen und aufgewühlt hat, oder die Zärtlichkeiten der beiden Frauen untereinander, die er in qualvoller Unbeweglichkeit hat mit ansehen müssen.

Ja, genau – und aus dem explosiven Cocktail dann eine Liebesnacht brauen, dass ihr Hören und Sehen vergeht, und er sich wundrubbelt. Natürlich weiß man dann nicht genau, liebt er sie wirklich so entsetzlich intensiv, oder bläst er bloß bei ihr ab, was eigentlich nur die Kombination der Reize zweier Frauen in ihm ausgelöst hat; aber so ist das ja meistens. Oder denken Sie immer nur an den einen, die eine, wenn Sie guten Sex haben? Wobei ich das bei Männern noch eher für erlaubt halte; denen geht’s dabei um die Sache, und nachher, wenn Blut- und Hormonspiegel sich wieder dem Normalzustand nähern, geht es um ganz andere Dinge. Da kann dann kein noch so kurviger, großtittiger, üppiger, blonder, gutgeformter, rasierter, trainierter, schlanker, junger Barbie-Verschnitt der Konkurrenz machen, die wirklich im Herzen drin wohnt. Ob sie nun Arbeit heißt oder Autorennen.

Nur wir Frauen verwechseln des öfteren Sex und Liebe. Dabei geht nur im Idealfall beides zusammen, und normalerweise hat man, wenn man Glück hat, eine Mischung aus zwei Mittelmaßen von beidem. Oder das eine ohne das andere, das andere ohne das eine. Oder keines von beidem.

Das ist natürlich besonders beschissen. Das stelle ich gerade aktuell auch wieder fest.

Ach, wie schön leicht man sich das doch auf Papier oder auf der Festplatte alles zurechtdrehen kann! Die Entscheidung fällt, und schwupps! sind die beiden miteinander im Bett. Halt, nein, das ist nicht richtig. Wenn zwei nun partout nicht zueinander passen, dann kann ich sie auch beim Schreiben mit aller Gewalt nicht miteinander verkuppeln. Irgendwie geht dann etwas mit mir durch und lässt das nicht zu. Wenigstens ist das beim richtigen Schreiben so. Da, wo es ohnehin nur um die Erotik verpackt in ein paar nebensächliche Fakten geht, da entwickeln letztere gar nicht genügend Kraft, um Eigendynamik zu generieren.

Vielleicht sollte ich mich insgesamt auf Erotikgeschichten verlegen; dann muss ich mich nur noch im wahren Leben mit den traurigen Fakten und Unvereinbarkeiten herumschlagen. Und davon kann ich mich sogar per Schreiben ablenken.

Meine Güte, ich weiß doch ganz genau, Philipp ist nichts für mich. Ich habe mich verliebt in einen korrekten, kalten Fisch, und erwarte dann, dass er für mich, meinetwegen, um meinetwillen zum herzenswarmen Zeitgenossen und glutvollen Liebhaber wird. Das wird der nie; er kann einfach nicht aus seiner Haut.

Bloß – ich kann das halt auch nicht. Und deshalb fasziniert mich ein Mensch, von dem ich genau weiß, ich würde mit ihm nicht einmal eine einzige Woche im wahren Leben ohne gedankliches Blutbad überstehen. Wir sind ja nicht einmal ohne Krach bis zum ersten echten Kuss gesegelt.

Aber: Ich will ihn einfach haben. Ihn ein wenig umformen, meinen Bedürfnissen anpassen, das wäre natürlich nicht schlecht. Wahrscheinlich ist er danach allerdings völlig langweilig, weil er nichts mehr von dem kalten Reiz hat, der mich ursprünglich anlockte.

Wie Mann es macht, ist es falsch. Ist er arrogant, klappt es nicht, weil die Arroganz der Annäherung im Wege steht. Ist er nett, klappt es nicht, weil die Nettigkeit dem Annäherungswunsch im Wege steht. Nichts ist mir recht.

Vielleicht brauche ich gar keinen Mann? Das ist ein Gedanke, den ich mir einmal gut durch den Kopf gehen lassen sollte …

***

Brauche ich einen Mann? Nein. Höchstens einen zum Träumen. Träumen mit großem T. Oder einen zum Schreiben. Einen geschriebenen also. Nicht dass der das Bett wärmt, wenn man sich einsam fühlt – aber wenigstens macht er sonst keine Probleme.

Mit umgekehrt proportionaler Lichtgeschwindigkeit schleichen Vormittag und Mittag dahin. Gleich um zwei versuche ich es wieder bei Philipp. Er ist da, meldet sich sogar recht freundlich, ist aber absolut kurz angebunden, nachdem ich mich identifiziert habe. Das gehe ihn nichts an, die Einzelheiten der vertraglichen Abwicklung müsse ich mit den Geschäftsführern selbst besprechen.

Aha. Also wenn die zu feige sind, mich selbst vor die Tür zu setzen, macht er sich mir gegenüber zum angeblich unschuldigen Handlanger; aber wenn ich die Details geregelt haben will, ist er nicht zuständig. Prima. Warum habe ich dann so lange gewartet? Bei Meisig oder vielmehr seinem Vorzimmer hätte ich auch heute Vormittag schon anrufen können.

Philipp tut so, als hätten wir nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun oder zu tun gehabt. Noch mit dem unsympathischsten seiner Angestellten geht er normalerweise freundlicher um. Wobei es ab und zu wechselt, wer das gerade ist. Jedenfalls, mit dem – also mit Philipp, nicht mit dem Mitarbeiter; der bin ich momentan wohl selbst – habe ich es mir jetzt wohl tatsächlich gründlich und endgültig verscherzt. Vielleicht war das ein Abgang zuviel. Freut mich aber doch sehr, dass es ihn genügend geärgert hat, um so darauf zu reagieren. Einen Trost braucht der Mensch. Und insgesamt – auch recht; dann komme ich wenigstens nicht in Versuchung. Ich brauche ja ohnehin keinen Mann, wie ich aktuell sehr richtig festgestellt habe.

Mit klopfendem Herzen melde ich mich beim Meisig-Vorzimmer. Der Ober ist nicht da – ich soll es am nächsten Tag wieder versuchen, teilt man mir näselnd mit. Na, da ist die Dame bei mir genau an die Richtige geraten!

„Hören Sie,“ erkläre ich empört, und im Moment ist es mir völlig egal, dass sie ja eigentlich für nichts etwas kann, „in knapp zwei Monaten läuft mein Vertrag aus, man hat mir dezent zu verstehen gegeben, dass er nicht verlängert wird, ich habe noch jede Menge Urlaub zu kriegen und bereits einen neuen Job – und ich will wissen, wie sich die Abwicklung gestaltet. Und zwar will ich das sofort wissen, und nicht erst morgen oder übermorgen. Ich muss nämlich den neuen Vertrag unterschreiben.“

„Ja, da kann ich nun auch nichts machen,“ beginnt sie gedehnt, und schon falle ich ihr ins Wort. „Mit Ihnen wollte ich darüber auch gar nicht diskutieren. Sie sollen nur dafür sorgen, dass ich mit Herrn Meisig reden kann, und zwar heute noch.“

„Ich glaube nicht, dass sich das machen lässt.“ Schon viel spitzer ist nun ihr Ton. Ich versuche eine andere Schiene. „Wenn Sie das verantworten wollen, dass ich weiterhin Gehalt fürs Nichtstun bekomme – bitte. Maibaum hat mich nach Hause geschickt, meine Artikel sind gestoppt, ebenso eine neue Sache, die ich übernehmen sollte. Offizieller Urlaub wurde allerdings auch nicht gewährt. Das heißt, ich sitze jetzt hier, genieße den Frühsommer, werde dafür bezahlt – und es kann später nicht einmal als Urlaub angerechnet werden. Prima. Mir gefällt das. Nur, was Meisig sagt, wenn er davon erfährt, das …“ „Schon gut, schon gut,“ unterbricht sie mich böse. Der Köder sitzt. Natürlich wird man mir die drei Tage von Montag bis Mittwoch voll als Urlaub abziehen; so ungerecht das auch ist. Fast zwei davon habe ich schließlich im vollen Irrglauben weiterer Beschäftigung für das Magazin gearbeitet. Nun, wegen drei Tagen mache ich bestimmt keinen Aufstand; aber wenn es die Sekretärin schockt, hat es seinen Zweck ja erfüllt. Oder hätte ich etwa mit einem Anwalt drohen sollen?

Im Hintergrund klappert etwas, dann blättert es. „Kommen Sie um 17 Uhr 15; und seien Sie pünktlich. Herr Meisig ist nur kurz da, und es wartet während der Zeit ein ganzer Stapel Arbeit auf ihn. Da kann ich keine Rücksicht nehmen, wenn Sie sich nicht an die Vorgaben halten.“

Ich unterdrücke das giftige Schnauben, das mir auf der Zunge liegt, bedanke mich, sogar beinahe überschwänglich, aber das hört sie nur noch zum Teil; mittendrin legt sie auf. Dann eben nicht. Blöde Kuh. Die tun auch immer so, als müssten sie sich jede Sekunde selbst aus den Rippen schnitzen, die sie anderen von der Zeit ihres Chefs abgeben. Unwürdig, wie sehr man durch manche Vorzimmerdrachen zum automatischen Bittsteller abgestempelt wird. Zum Untermenschen. Dessen Zeit nicht einmal einen Bruchteil soviel wert ist wie die des Oberbosses, und mit dessen Geduld sie in scheinbarer Ungeduld spielt. Immerhin – ich habe, was ich wollte; einen Termin.

Natürlich bin ich schon um fünf da, damit ich ja die kostbaren drei Sekunden nicht verpasse, die Meisig mir schenken kann. Bis sieben Minuten nach halb sechs stehe ich im Flur herum wie bestellt und nicht abgeholt, bis der große Herr endlich – „aber nur ganz, ganz kurz!“ – für mich zu sprechen ist. Madame persönlich liefert mich vor seinem Schreibtisch ab. Er telefoniert noch, nimmt mich weitere dreieinhalb Minuten nicht wahr, bis er auflegt. Danach bietet er mir auch keinen Platz an, sondern betrachtet mich verächtlich von unten hoch wie ein lästiges Insekt. Das heißt, wie ein Mann ein lästiges Insekt betrachtet. Wenn ich eins sehe, kreische ich hysterisch herum und suche entweder jemanden, der es für mich erschlägt, oder flüchte.

Ja, ich nehme an, Mitarbeiter, die man nicht mehr haben will, sind auch wirklich nichts anderes als lästig. Und insektenhaft insofern, als sie noch immer finanzielles Blut saugen wollen und keine brauchbare Gegenleistung mehr dafür abliefern.

Allenfalls mit einem Zehntel Ohr hört Meisig mir zu. Immerhin hatte ich ja vorher genügend Zeit, mir alles sehr knapp zurechtzulegen. Ich will meine restlichen Urlaubstage nehmen, damit komme ich gerade so in die ersten Tage des nächsten Monats hinein, dann verzichte ich auch die paar Zerquetschten, wenn man bereit ist, mich schon so früh gehen zu lassen. Nach Philipps Information über das Eintreffen meines Nachfolgers müsste der Zeitpunkt ideal sein und in beider Interesse.

Von wegen.

„Ja, aber ich kann Sie doch nicht einfach so aus Ihrem Vertrag entlassen, Frau Senreis,“ murmelt Meisig kopfschüttelnd. „Wie denken Sie sich das denn? Sie müssen Ihre Pflichten hier schon bis zum Ende erfüllen. Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder einfach machen würde, was er will? Nein, also das geht nicht. Ihr Vertrag läuft in zwei Monaten aus, und bis dahin bleiben Sie und machen ordentlich Ihre Arbeit. Was danach geschieht, geht uns dann allerdings nichts mehr an.“

Arschloch! Mistbeule! Kotzbrocken! Was glaubt der eigentlich, wer er ist? Der Herrgott persönlich? Ich beherrsche mich mühsam. „Und wie hatten Sie sich das vorgestellt, meine Arbeit? Es gibt doch schon jetzt nichts mehr für mich zu tun, nachdem man mir meine bisherige Arbeit weggenommen und mir keine neue gegeben hat. Außerdem soll doch im nächsten Monat schon mein Nachfolger anfangen, habe ich gehört.“

Er heuchelt Erstaunen. „Ach, das wissen Sie schon? Na, dann wissen Sie ja auch wohl, was Sie im nächsten Monat zu tun haben. Sie sollen ihm die Einarbeitung hier möglich machen und ihm alles ordnungsgemäß übergeben. Bis dahin machen Sie einfach das, was Sie immer gemacht haben – diese merkwürdigen kleinen Artikelchen mit erotischem Inhalt.“

Ich platze beinahe vor Wut. Das wäre natürlich auch eine Lösung; und er müsste sich persönlich darum kümmern, den Dreck aus seinem schnieken Chefzimmer wieder wegzukriegen. Bloß habe ich davon nichts mehr. Ich muss mich zusammenreißen, ich muss mich zusammenreißen.

„Sie vergessen etwas, Herr Meisig – meinen Urlaub. 26 Tage sind es noch, die ich zu bekommen habe.“

„26 Tage? Das kann ja gar nicht sein. Das werde ich noch einmal ganz genau prüfen lassen. Außerdem muss ich schauen, ob davon nicht längst ein Teil verfallen ist. Und dann, nein, Sie können doch jetzt nicht einfach Urlaub nehmen! Sie müssen sich um Ihre aktuellen Artikel kümmern, und ich wette, für nächste Woche haben Sie noch überhaupt nichts vorbereitet. Nein, also wirklich, dass Sie jetzt Urlaub nehmen, das kommt überhaupt nicht in Frage.“

Innerlich zähle ich bis zehn, atme tief durch dabei. „Herr Meisig, wenn ich meinen Urlaub jetzt nicht nehme, werden Sie mir im nächsten Monat erzählen, es geht auch nicht, weil der Neue eingearbeitet werden muss. Gut, wenn Sie das wollen, kann ich gerne bis zum letzten Tag arbeiten. Aber dann will ich eine schriftliche Bestätigung, dass die Tage mir ausbezahlt werden.“ Das Geld kann ich gut gebrauchen; an dem Gedanken halte ich mich fest, sonst gehe ich womöglich noch vor lauter Zorn mit den Fäusten auf ihn los.

„Ich werde veranlassen, dass man Ihnen ein solches Schreiben ausstellt,“ erwidert er, inzwischen sichtlich hektisch, zwischen zwei Blicken auf die Uhr. Nee, mein Lieber – so wirst du mich nicht los. So grob und kalt lasse ich mich nicht mit einem hohlen Luftschloss abservieren. „Es gibt dieses Schreiben entweder jetzt und hier sofort, oder ich nehme meinen Urlaub!“

Sein Blick fährt hoch von einer weiteren Abschweifung zur goldfarbenen Armbanduhr. Wahrscheinlich ist es sogar echtes Gold. Nun ist der Herr sichtlich sauer; richtig sauer. Gut! Wenn ich mich schon so maßlos ärgere, warum sollte es ihm besser gehen? „Wollen Sie mir drohen?“ fragt er drohend. Oder auch grollend. Nein; drohend. Es ist ja die Spezialität solcher Leute, immer den anderen die Vorwürfe für das eigene Verhalten zu machen.

„Ich will nur, was mir zusteht.“ Immer schön ruhig bleiben, immer schön ruhig bleiben. Ich wusste ja vorher, dass dieses Gespräch eklig wird. Dass es aber ein so demütigender Arschgang würde, damit hatte ich nicht gerechnet.

Meisig überlegt anscheinend; er reibt sich nervös das Kinn. Ja, der wäre mich jetzt gerne los. Und ich hätte gerne eine vernünftige Lösung für diesen Abschluss einer Non-Karriere, den nicht ich wollte, sondern er. Aber er kann sich beruhigen – ich wäre ihn auch lieber vorgestern los statt in drei Sekunden. Oder gar noch später. Nur, er hat einen Fehler gemacht. Ich habe nichts mehr zu verlieren. Meinen Job bin ich so oder so los, und inzwischen ist mir das gerade recht; schließlich weiß ich ja schon, wo ich dann unterkomme. Damit hat der Herr Arbeitgeber sein größtes Druckmittel verloren. Das einzige, was sonst noch passieren kann ist, dass man mir das Leben hier einige Wochen lang zur Hölle macht. Allerdings wird das so oder so geschehen; dafür wird schon die Kollegenschaft sorgen, da brauchen die alle keinen Geschäftsführer für. Und was dann noch übrig bleibt, zertrampelt Philipp höchstpersönlich.

Also? Nichts hat er in der Hand, der Meisig. Schon Scheiße, wenn man keine Waffe hat, gegen die grässlichen Insekten. Noch mehr Scheiße, wenn die sogar stechen können, ohne dabei draufzugehen. Ich bin eine Wespe, mein Lieber, keine Biene. Ätsch!

Man scheint mit seinen Überlegungen weitergekommen zu sein. Man macht den Mund auf. „Also, ich habe jetzt wirklich keine Zeit für eine solch dumme Auseinandersetzung mit Ihnen. Gehen Sie zu Maibaum, der wird Ihnen schon erklären, was Sie zu tun haben und was nicht.“

Hervorragend. Erste Sahne – vom Tornado in die Windhose. Hat nur einen anderen Namen, aber der Inhalt ist derselbe.

Bloß, inzwischen bin ich in Kampfstimmung. Gleich die Treppe runter, den Gang links rein, und an seine Tür geklopft. Und wehe, er ist nicht mehr da!

***

Noch bevor ich meine Knöchel tatsächlich gegen das Plastikholz schlage, überlege ich mir, fast wäre es mir am liebsten, er wäre nicht da. Obwohl ich im Prinzip alles so schnell wie möglich geklärt haben will.

Natürlich ist er doch noch da. Natürlich betrachtet er mich ähnlich angewidert wie vorhin Meisig, und natürlich hört man dem genervten Ton seiner Stimme an, wie wenig Lust er hat, sich mit mir schon wieder herumzuschlagen.

Schön; er muss ja nur meinem Lösungsvorschlag zustimmen, und schon ist er mich endgültig und für immer los. So in etwa formuliere ich das auch, was ich von ihm will. Dass Meisig die Möglichkeit bereits verworfen hat, erwähne ich selbstverständlich nicht.

Philipp seufzt zum Gotterbarmen. Als ob ich ihm die dämliche Suppe eingebrockt hätte, die er auslöffeln muss. Dabei bin ich nur der gekidnappte Suppenkloß. „Ja, was soll ich denn da machen? Mir sind doch die Hände gebunden. Ich sehe keine andere Möglichkeit, als dass Sie einfach Ihre Zeit hier zu Ende absitzen. Ich verstehe auch, ehrlich gesagt, nicht so ganz, woher auf einmal Ihre Eile kommt. Noch letzte Woche waren Sie ganz wild darauf, festangestellt zu werden bei uns – und heute können Sie nicht einmal das Ende Ihres Vertrags abwarten? Das verstehe ich nicht, und besonders fair finde ich es auch nicht uns gegenüber.“

Aha – jetzt gibt es schon „uns“ – unter deutlicher Ausklammerung der ehemaligen Mit-Unsrigen, die dadurch flugs zum erklärten Gegner erklärt worden ist. Enttäuschung und Wut über diese unverschämte Verdrehung der Tatsachen steigen auf, vermischen sich miteinander in kleinen Farbwirbeln. Und das Ergebnis ist tödlich. Es explodiert mit einem inneren Knall, der mich überlegen lässt, ob nicht auch Philipp ihn hat hören müssen.

„Jetzt habe ich aber genug! Letzte Woche habe ich mir hier treu und brav den Arsch aufgerissen für das Magazin. Am Montag habe ich sogar noch eine neue Idee, die irgendein Chefredakteur für gut erklärt hat. Eine Stunde später allerdings teilt eben jener Chefredakteur mir mit, dass man mich mit sofortiger Wirkung nicht mehr haben will, und bietet mir als Almosen die Betreuung des neuen Projektes auf Freiberuflerbasis an. Um vertragliche Details drückt er sich dabei wohlweislich herum. Als ich am nächsten Tag erscheine, um eben jene zu besprechen, ist die neueste Nachricht die, dass ich auf einmal ganz draußen bin und auch mit dem Almosen nicht mehr rechnen kann. Jetzt will ich genau das festklopfen, dass ich draußen bin, und auf einmal erzählt mir jeder, ich sei eine undankbare Gans, und will mich bis zur letzten Sekunde hier festhalten! Habe ich etwas vergessen?“

Philipp öffnet den Mund, aber ich hatte gar nicht vor, seinetwegen meinen zorngetriebenen Wutschwall zu unterbrechen; die Frage war rein rhetorisch. „Ja, doch, ich habe etwas vergessen. Der bereits erwähnte Chefredakteur, der mich abwechselnd duzt und siezt, hat ein so schlechtes Gewissen, er verschafft mir prompt ein Vorstellungsgespräch woanders. Kaum gelingt es mir jedoch, dieses zu einem Jobangebot auszubauen, spielt er den Zickigen und verhindert eben jenen Vertragsabschluss. Jetzt hör mir mal gut zu, mein lieber Philipp – ich weiß, was ich tue. Meisig hat mir versprochen, ich kriege ein Schreiben, dass mein Urlaub mir ausbezahlt wird. Das kommt hoffentlich rasch – oder ich klage das Geld eben ein. Und dann werde ich jeden einzelnen Tag, den Gott bis zum Ende meines Vertrags noch werden lässt, hier im Büro erscheinen und euch allen ausgiebigst auf die Nerven gehen. Man will, dass ich bis zum letzten Tag arbeite – gut, ich werde bis zum letzten Tag arbeiten. Und ich weiß nicht, wem das am Ende mehr Leid tun wird; mir oder euch. So, und als erstes fordere ich jetzt die Korrekturanweisungen für die beiden Artikel für diese Woche, die ich längst abgegeben habe, und dann will ich eine Besprechung über die Artikel der nächsten Woche.“

Nun muss ich doch einmal richtig Luft holen, weil mir die Puste ausgeht, und schon reißt Philipp das Gespräch wieder an sich. „Ich weiß gar nicht, worüber Sie sich so aufregen, Frau Senreis. Es ist doch völlig normal, dass ein Arbeitgeber auf der Erfüllung der Verträge mit seinen Angestellten besteht. Ebenso, wie Sie ja auch auf Ihr Recht pochen, was den Urlaub angeht. Ansonsten habe ich bestimmt nicht die geringsten Schwierigkeiten damit, wenn Sie noch zwei Monate da sind. Ich bitte mir allerdings anständige Arbeit aus. Wenn Sie versuchen, hier einen auf Boykott zu machen, dann können Sie mich kennen lernen. So, und jetzt entschuldigen Sie mich hoffentlich – ich habe zu arbeiten. Wir sehen uns ja morgen früh, dann können wir alles weitere regeln, was Ihre Arbeit angeht.“

Ich – ich … Ich glaube, ich weiß gleich nicht mehr, was ich tue. Am schlimmsten ist meine eigene Machtlosigkeit im Angesicht von so viel selbstverständlichem Ausnutzen der eigenen Machtposition. Die ja nun einmal existiert; und es gibt nichts, was ich dagegen machen kann. Ich kann mich nicht wehren. Ich muss nachgeben, ich muss tun, was die von mir wollen. Und wenn das heute hüh ist und morgen hott, dann kann ich ständig den Gang wechseln und komme doch auf jeden Fall unter die Räder.

Ist da wirklich nichts, womit ich ihnen die Pfeife versalzen kann, nach der ich tanzen soll? Ja, ich weiß – Pfeife versalzen ist eine gemischte Metapher. Eine meiner Spezialitäten. Wie sonst soll man noch ein bisschen Pfeffer in das ganze ausgelutschte Zeug kriegen, das wir an dummen Sprüchen seit Generationen mit uns herumtragen? Die Anzahl der Worte ist nun einmal in jeder Sprache begrenzt; und wenn einige es sich richtig bequem gemacht haben, in einem Abteil mit bestimmten anderen zusammen, dann gibt es nur eines – alles rein in den Cocktailshaker, die ganze Zugbesetzung, mehrfach gründlich schütteln, und alle Fahrgäste völlig neu zusammenwürfeln.

Genug von Metaphern; meine derzeitige Klemme ist alles andere als metaphorisch, die ist durch und durch real. Ich kann zum Anwalt gehen. Ja, das wird die auch wahnsinnig beeindrucken. Mich kostet es Geld, sie nicht – zahlt ja die Firma. Und zwar aus der Portokasse. Außerdem, bis ein Anwalt notfalls über Gericht eine vernünftige Lösung erbastelt hat, sind die zwei Monate so oder so herum, und es hilft mir gar nichts.

Ob ich Deinar mal frage, was ihm so einfällt dazu? Gut, das verstößt gegen das eiserne Gesetz, kein schlechtes Wort gegen den letzten Arbeitgeber beim neuen, sonst vermutet der gleich eine Nörgelnase, die ihm selbige schnell genug zeigen wird. Aber der Fall hier liegt doch gewiss etwas anders. Deinar hat es deutlich genug gemacht, er möchte mich so schnell wie möglich beim Blatt sehen. Die scheinen da alle total überlastet zu sein und brauchen händeringend Zuwachs. Ich muss ja auch gar nicht viel jammern und schimpfen;, ich teile ihm einfach die nackten Tatsachen mit – dass ich erst in zwei Monaten anfangen kann, und dann warte ich, was er daraus macht. Ja, genau – das ist es!

Am besten telefoniere ich sofort. Und wehe, er springt nicht an auf meinen Hilferuf! Drei Mal Klingeln, und da ist er. Zuhören tut er auch. Dann ist erst einmal Pause. „Man macht ihnen also Schwierigkeiten,“ sagt er endlich. „Das hatte ich befürchtet.“ „Ja, ich hatte auch gehofft, wenn man mich doch ohnehin loswerden will, dass es schneller geht und unbürokratisch. Klappt das dann überhaupt noch bei Ihnen, wenn ich erst in zwei Monaten kommen kann?“ Er lacht. „Darüber machen Sie sich mal keine Sorgen. Wir nehmen Sie auf jeden Fall; heute, morgen, nächste Woche und in zwei Monaten. Aber lassen Sie mich überlegen – ich bin sicher, die Bockigkeit jetzt, das ist purer Trotz. Da lässt sich bestimmt etwas machen. Wissen Sie was, ich rufe jetzt einfach Mondheim an. Er und Maibaum kennen sich sehr gut. Wer weiß, vielleicht kann er erreichen, dass man Sie doch früher gehen lässt.“

Genau so hatte ich mir das vorgestellt. Nicht dass ich jemals ausdrücklich darum hätte bitten können; so direkt zu werden, dafür hätte ich mich ja schämen müssen. Es geht doch nichts über intelligente Menschen, denen man nicht alles hundert Mal haarklein erklären muss, und die gleich kapieren, was los ist.

„Oh, danke, das wäre riesig nett von Ihnen. Und von Herrn Mondheim natürlich. Nur, das kann ich nun wirklich nicht verlangen, dass er sich da solche Mühe …“ Man muss ja immer so tun, als wolle man gar nicht, was man will, damit man sich nicht zu sehr bedanken muss, falls der andere es tatsächlich tut.

„Hören Sie bloß auf mit der Ziererei,“ fällt mir Deinar grob ins Wort. „Sie haben mich doch unter anderem deshalb angerufen, damit ich etwas in die Wege leite. Oder etwa nicht?“ Scheiße – oh wie peinlich, ich bin ertappt. Nun ja, das ist halt der Nachteil der intelligenten Leute – sie durchschauen viel zu schnell auch die eigenen Tricks.

Da hilft nur eines – die Offensive. „Ja, natürlich hatte ich das gehofft. Trotzdem weiß ich nicht, ob ich Ihnen das zumuten kann – und da bin ich lieber vorsichtig als forsch.“ Hach, habe ich mich doch gut aus der Schlinge herausgewunden, oder? Wieder lacht er. „Schöne Ausrede. Also, ich finde das ganz in Ordnung, dass Sie Hilfe suchen. Weshalb denn auch nicht? Einen guten Rat gebe ich Ihnen allerdings noch – egal, was letztendlich herauskommt, ärgern Sie sich nicht zu sehr. Die zwei Monate gehen notfalls auch herum, und wir freuen uns auf jeden Fall auf Sie.“

Etliche Nachtkerzengewächse gehen in meinem Herzen auf und leuchten. „Danke!“ Mir geht es schon viel besser. Das ist mal wirklich ein Vorgesetzter nach meinem Geschmack. Vormachen kann man ihm nichts, aber er wird auch nicht gleich pampig, ist überhaupt die Ruhe selbst, und handelt, statt lange zu reden. Welche Wohltat, vor allem im Vergleich zu Meisig und Philipp.

Vielleicht sollte ich mich mal in einen solchen Menschen verlieben?

Ach, das ist ja wieder typisch Frau. Kaum ist einer einigermaßen anständig zu ihr, überlegt sie, ob er nicht ihr Mann fürs Leben ist. Was hat Nettigkeit mit Sex-Appeal zu tun? Außerdem, ich hatte doch bereits festgestellt, nette, warmherzige Männer sind langweilig. Na also. Der arrogante Widerling ist der Mann der Stunde.

Wobei, jetzt einmal ganz ehrlich: Dass Philipp nicht gerade die Emotionalität auf drei Beinen ist, das war mir schon klar. Man braucht ihn ja nur anzusehen, den Hemd-Krawatten-Anzug-Träger, um das zu sehen. Der hat ebensolche Bügelfalten im Herzen, wie sie seine Hose schmücken. Außen natürlich; was innen drin vorgeht, das weiß ich ja nicht. Womöglich wird er im Bett doch zum Vulkan? Halt – ich schweife ab. Also, er ist korrekt, er ist kühl, er ist ungerührt. Aber diese Schweinerei, die er da eben bei mir abgezogen hat, das hat ja wohl mit Korrektheit und Kälte nichts mehr zu tun, oder? Das ist doch reine Gemeinheit. Eben doch Gefühle. Bloß negative. Die kann er also durchaus im Raum tanzen lassen; nur wenn es ans Eingemachte geht, oder vielmehr ans Angemache, dann versagen seine sämtlichen Antennen, und es kommt nichts als Chaos dabei heraus.

Eine interessante Lektion. Man sollte halt auch als Frau nicht mit den Hormonen denken, wenn man einen Mann beurteilt. Meine Güte, wenn ich meine Vorgesetzten immer nur in Bettkategorien einteile, ist es kein Wunder, dass ich den Arbeitsplatz wechseln muss. Hauptsache, derselbe Fehler passiert mir nicht noch einmal. Deinar ist sowieso nicht mein Typ, und damit Schluss, Aus, Ende der Diskussion.


Weitere Einträge


Schreibe einen Kommentar

Telefonsex Erziehung mit Herrin