Keine richtige Sub
Schneller als erwartet piept mir eine Antwort ins Ohr. Nur von einem Kollegen ist sie nicht, sondern vom Chefredakteur. Viel drinstehen tut auch nicht. „Sofort in mein Büro!“ Ohne Anrede, ohne Grußzusatz, sogar die Signatur hat er vergessen. Oh, oh – wenn da nicht mal die Kacke am Dampfen ist! Fragt sich nur, ob seine oder meine. Wobei – ernsthaft muss ich mich das nicht fragen. Also – auf zur Gardinenpredigt Nummer zwei für heute.
Fast kommt es mir vor wie déjà vu; alles schon einmal da gewesen. Was ich mir denn dabei denke, ob ich jetzt völlig übergeschnappt bin, so beginnt es. Der Unterschied ist nur die Anrede – diesmal sind wir doch wieder einmal beim Sie. Die Sache ist also ernster. Wie ich dazu komme, die gesamte Belegschaft mit so einem Schmutz von der Arbeit abzuhalten, tobt er weiter. Aha – die Erotik im Magazin ist so lange akzeptabel, wie ich sie nicht ins eigene Haus hineintrage; sei es nun per Liebe am Arbeitsplatz, oder aber per Masturbations-Umfrage.
Ich komme mir vor, als hätte ich einen Baseballschläger abbekommen, mitten ins Denkzentrum hinein. Was soll das denn jetzt wieder? Ich habe ein Thema gefunden, ein interessantes ist es noch dazu, voll mitten aus dem Leben, und um einen trockenen Bericht reizvoller zu machen, wollte ich Daten dazu sammeln. Wo sammelt man am besten, vor allem, wenn die Zeit drängt? Eben – in der eigenen Umgebung.
Als ich ihm das sage, schnaubt er nur. (Wo ist eigentlich seine unerschütterliche Ruhe geblieben, die ich früher immer so sehr bewundert habe?) „Wenn Sie unbedingt einen solchen Unsinn zusammenschreiben und damit andere belästigen müssen, dann fragen Sie Ihre Freunde und Bekannten! Oder fragen Sie die Leute auf der Straße! Aber Sie können doch nicht in der Redaktion eine erotische Befragung durchführen! Sind Sie sich überhaupt im klaren darüber, was Sie angerichtet haben? Das Mail war noch kaum draußen, schon hatte ich die ersten drei Beschwerden auf dem Tisch, dass das Intimleben unserer Angestellten mich ja nun wohl nichts anginge. Was haben Sie sich bloß dabei gedacht? Langsam zweifle ich wirklich an Ihrem Verstand!“
„Und ich an Ihrer Moral!“ entgegne ich heftig. „Wenn es grundsätzlich richtig ist, andere zu befragen, weshalb soll es dann so verkehrt sein, die Fragen hier zu stellen? Immerhin wird hier doch auch mit der Erotik Geld verdient.“
„Das hat doch damit überhaupt nichts zu tun! Aber was rede ich – Sie werden es ja doch nicht verstehen. Aber mir kommt gerade ein ganz anderer Verdacht. Das ist nicht zufällig ein Beitrag, der es mir leichter machen soll, Sie so schnell wie möglich ganz vor die Tür zu setzen? Mit anderen Worten, schaffe ich es nicht durch Verhandlungen, dann benehme ich mich einfach so lange daneben, bis man mich freiwillig gehen lässt. So hätten Sie das gerne, nicht wahr?“
Der spinnt ja total. Da ist ja selbst das Wort Doppelmoral noch zu leichtgewichtig für den Unsinn, den er verzapft. Lang, doppelt und biegsam genug, sich damit selbst in den Arsch zu ficken, ist seine Moralvorstellung allerdings schon. Himmel, ich weiß, dass die meisten Menschen keine Lust haben, über ihr Sexleben zu reden; so gerne sie auch über das anderer lesen. Bloß, es war ja schließlich keiner gezwungen zu antworten. Ich habe den Fragebogen extra als Dateivorlage angelegt, dass man ihn völlig anonymisiert im PC bearbeiten und mir auch als Papierausdruck irgendwie untermogeln kann, ohne dass ich mitkriege, wer was geantwortet hat. Nicht dass ich für meine eigene Person damit ein Problem hätte, solche Antworten ganz offen zu geben – aber da darf ich nicht von mir auf andere schließen.
Halt – ich darf mich nicht in philosophischen Überlegungen verlieren, ich muss antworten. Irgendetwas. Und wenn es noch so blödsinnig ist – es kommt ja ohnehin nicht darauf an. „Darf ich jetzt festhalten, dass man mir aus allem, was ich hier in den letzten Tagen mache, einen Strick drehen will? Ich meine, ich habe nicht darauf bestanden, meine Zeit abzusitzen. Ich war zu jedem Kompromiss bereit, als feststand, dass man mich hier nicht mehr haben will.“ Ja, so ist das richtig – immer die gekränkte Unschuld spielen. Zufällig bin ich die auch gerade, jedenfalls fühle ich mich so, aber viel wichtiger als das Faktische ist noch der Anschein.
Plötzlich steht er auf, kommt hinter seiner Schreibtischburg hervor, und stellt sich direkt vor mich. Auf Tuchfühlung quasi, so dass ich versucht bin, einen Schritt zurückzutreten. Nur die Angst davor, Schwäche zu zeigen, lässt mich die Angst überkommen, die seine unerwartete Nähe in mir auslöst. Die sorgt auch dafür, dass ich weder zusammenzucke, noch abwehrend die Hand hebe. Beides Dinge, zu denen mich irgendwelche elektrischen Nervenreaktionen drängen. Ist doch gut, wie tatkräftig die eigene Eitelkeit automatische Impulse in den Griff bekommen kann.
„Du,“ sagt er, leise, gefährlich, „du wirst nie eine anständige Sub.“
Diesmal gehe ich ohne ein Wort, ohne Laut, ohne Mucks. Ich fliehe.
***
In meinem Kopf wirbelt es. Was war das denn jetzt? Der will doch wohl nicht ernsthaft behaupten, dieser ganze Murks, den er mir im Laufe der letzten Tage angetan hat, der sei bloß die Probe aufs Exempel gewesen, eine Art Sub-Eignungstest für Hartgesottene?
So arrogant kann aber doch nicht einmal ein Superdom sein, auf diese Weise Arbeit und Privates zu vermischen und eine Mitarbeiterin nach Strich und Faden zur Schnecke zu machen, nur um herauszufinden, ob sie sich ihm unterordnen kann. Wobei ich mich auch frage, wie er sich überhaupt auf dieses falsche Pferd hat setzen können, in mir eine Sub zu vermuten.
Ich meine, passen tut dann auf einmal alles, wenn ich es aus diesem Blickwinkel betrachte. Seine Klamotten, Cindy, seine Arroganz mir gegenüber auch in den Momenten, in denen eigentlich ein wenig Flirten angesagt gewesen wäre, seine ständigen Befehle, seine Schimpfmonologe, die diese Woche anscheinend zu allem dazugehören. Sein vollständig verändertes Wesen mir gegenüber. Aber das kann doch nicht sein, das kann einfach nicht sein!
Die Überlegung, dass das Ganze für ihn nur ein Paarungsspiel war, sitzt mir wie ein Splitter in der Brust. Ein Splitter von mindestens Speergröße. Es ist schlimm genug, als Angestellte von einem Vorgesetzten ungerecht behandelt und heruntergeputzt zu werden. Wenn der das aber nur macht, um herauszufinden, ob ich in sein Bett und auf seinen Schwanz passe, dann fehlen mir für einen Kommentar jegliche Worte. Das ist einfach – na, ich sage doch; mir fehlen die Worte. Wenn es allerdings wirklich so ist, wie es mir jetzt scheint, dann muss ich mir für meine oberdumme Naivität mindestens eine links und eine rechts verpassen, und dann noch einen k.o.-Schlag aufs Kinn.
Ob es das war, was Deinar mir vorsichtig beibringen wollte? Andererseits, woher sollte er wissen, was in den absolut intimen Tiefen von Maibaums verwirrtem Gehirn vor sich geht? Womöglich liegt irgendwo noch ein weiterer Hund begraben.
Und in der angespannten Situation soll ich mir jetzt schon wieder ein neues Thema aus den Rippen schneiden? Ich denke ja nicht daran! Nein, ich werde jetzt Deinar anrufen und fragen, ob ich nicht heute Abend schon vorbeikommen kann.
Gesagt, getan. „Gibt es Probleme?“ ist seine Reaktion. „Das habe ich geahnt.“ Aha – er wusste also etwas. Und hat es mir nicht gesagt. Langsam komme ich mir vor wie in einer zweigeteilten Welt. Die Männer spinnen die Fäden, sehen gleichzeitig die der anderen – und ich fange mich in jedem Zentimeter dieser Klebrigkeit, weil sie für mich unsichtbar ist. Ich muss nur aufpassen, dass ich Maibaum und Deinar nicht in einen Topf werfe. Deinar hat mir nichts getan. Natürlich hätte ich es besser gefunden, hätte er mich gewarnt. Nur, wie konnte er? Ich hätte ihn bestimmt selbst für verrückt erklärt, hätte er irgendetwas in diese neue Denkrichtung gesagt, vor dieser letzten Begegnung mit Maibaum eben.
Ja, und was ist nun? Kann ich nun gleich heute vorbeikommen oder nicht? Er zögert so lange weiterzusprechen, ich sehe insgeheim schon meine Felle davonschwimmen und meine Geduld bis zum nächsten Abend strapaziert.
„Macht es Ihnen etwas aus, wenn es sehr spät wird? Es gibt ein paar Dinge, die kann ich einfach nicht liegen lassen.“ Na was denn – ich werde doch wohl ein bisschen auf jemanden warten können, dem ich nun schon zum zweiten Mal in dieser Woche den Feierabend versalze! „Wenn es Ihnen nicht zu spät ist – ich bin ja froh, wenn Sie das überhaupt auf sich nehmen.“
„Um halb zehn? Bei uns? Wenn Sie Lust haben, gehen wir auf ein Glas Bier in unsere Stammkneipe; aber natürlich können wir im Büro bleiben, wenn Ihnen das lieber ist.“
Schön. Mein Leben scheine ich zwar nicht so schnell wieder in den Griff kriegen zu können, aber wenigstens bemühe ich mich. Nichts schlimmer als passiv ausharren, wenn andere Fußball mit einem spielen. Obwohl ich bezweifle, dass ein Fußball großen Einfluss auf die Richtung hat, in der er fliegt, ist doch die Anstrengung allein schon etwas wert, die Bahn zu verändern.
Halb zehn – Himmel, das sind ja noch Stunden über Stunden! Was mache ich bloß in der Zeit? Nach Hause gehen kann ich noch nicht; Maibaum würde mir sofort Drückebergerei vorwerfen. Zu meiner ersten Interview-Idee hat er sich noch nicht geäußert; da kann ich nicht weitermachen. Und nach zwei durchgefallenen Themen fehlt mir wirklich die Energie, mich mit einem weiteren in die Nesseln zu setzen. Ob ich einfach noch ein wenig an meiner Geschichte schreibe? Die Datei liegt zwar zu Hause auf dem Rechner. Aber logische Kontinuität spielt für erotische Geschichten ja keine große Rolle, also fange ich einfach irgendwo neu an.
„Ich bin so ungeduldig, dass ich am liebsten sofort aufbrechen möchte mit Peter. Aber das wäre unhöflich, unserer neuen Freundin gegenüber. Nein, wenigstens eine halbe Stunde müssen wir noch bleiben. Aber endlich gibt sie selbst das Signal zum Aufbruch, und freudig hake ich mich auf dem Weg nach draußen bei Peter ein.“
Das müsste in etwa hinkomme; falls zeitlich zwischen meinem letzten Geschreibsel und dem neuen noch eine Lücke sein sollte, werde ich mir später etwas dazu einfallen lassen. Also, unterwegs zum Sexgelage sind die beiden schon, jetzt noch ein paar realistische Details einwerfen, und schon können wir wieder zur Sache kommen.
Zwischendurch sehe ich noch rasch die zwei neu eingelaufenen Mails an. Da haben doch tatsächlich zwei meinen kleinen Fragebogen ausgefüllt. Von wegen Empörung! Ich bedanke mich schnell. Eigentlich sollte ich beiden mitteilen, nein, am besten allen per Rundmail, dass das Projekt gestorben ist. Aber dazu schäme ich mich nun doch zu sehr. Außerdem, wer weiß, vielleicht ist ja doch noch etwas zu retten, wenn Maibaum mit mir nur den Strengen gespielt hat, statt wirklich tadeln zu wollen. Das warte ich erst einmal ab. Und weiter im Text.
„Wir führen kurz die übliche Diskussion – zu ihm oder zu mir –, einigen uns aber sehr rasch auf meine Wohnung. Ich kann es kaum erwarten. Er ist ein guter Fahrer, und er lässt sich auch durch meine Hand auf seinem Knie nicht ablenken. Als ich mich allerdings weiter nach innen und oben vortaste, merke ich, wie er bald hastiger atmet.“
Meine Güte – die kann es auch nicht lassen, die Tussi … Was mache ich jetzt – baue ich eine kleine Session am Straßenrand ein? Macht sich ja immer sehr aufregend. Aber kennen Sie jemanden, der das wirklich macht? Also, ich nicht. Wieso sollte man sich auch mit einem so unbequemen Gefängnis bescheiden, wenn in erreichbarer Nähe eine ganze große, freie Wohnung mit allen möglichen schönen Sitz-, Hock- und Liegemöglichkeiten wartet? Nein, keine Session.
„Die Fahrt scheint mir endlos in meiner Aufregung, und dann ist sie doch vorbei, Peter parkt vor meinem Haus. Wortlos steigen wir aus, wortlos gehen wir nebeneinander die Treppe hoch nach oben, zu meiner Wohnung. Ich öffne, wir treten beide ein. Kaum ist die Tür wieder geschlossen, falle ich über ihn her. Ich möchte seinen Geruch tief in mich aufnehmen, ihn schmecken, fühlen. Meine Finger sind in seinen Haaren, meine Zähne auf seinen Lippen, an seinem Hals. Jeder kleine Schmerz, den ich verursache, entlockt ihm einen stockenden Atemzug, einen leisen Laut, und ich fürchte zu zerfließen, wenn ich nicht bald die Berührung bekomme, nach der ich mich sehne. Es wird Zeit, die unteren Körperregionen mit einzubeziehen. Dass er gewaltig hart ist, ist allerdings auch ohne Tastprobe nicht zu übersehen. Ich presse meinen Venushügel gegen seinen Schwanz, und mit einem Stöhnen erwidert er den Druck. Aber halt – es geht nicht darum, ihn zufrieden zu stellen; erst einmal bin ich dran! Wozu ist man schließlich dominant, wenn nicht unter anderem, um zuerst das Vergnügen zu haben, an das so viele Männer ausschließlich bei sich selbst denken. Seine eigene Ungeduld kommt mir zu Hilfe. Er zerrt an meinem Latexanzug, dass ich um dessen Überleben fürchte, und schließlich energisch einen Schritt zurücktrete. „Halt!“ sage ich. „Zieh dich aus!“
So machen das die Dominas doch, oder? Immer erst einmal dem Sklaven befehlen, seine Klamotten wegzuwerfen. Ich persönlich finde ja einen solchen Haufen zerknüllter Wäsche spätestens bei dem Gedanken daran unerotisch, dass der Ex-Träger möglicherweise irgendwann von mir erwartet, sie zu waschen und zu bügeln, sobald die Beziehung einmal etabliert ist. Ein Typ, der vorher seine Unterhose gefaltet auf dem Tisch ablegt, bevor der Inhalt auf mich losgeht, ist allerdings auch nicht unbedingt reizvoller.
Und was macht man, wenn der Angebetete keinerlei Anstalten macht, dem klaren Befehl Folge zu leisten? Feststellen, man hat sich geirrt, der Partner, den man sich gerade so mühsam gekrallt hat, ist gar nicht devot – und ihn vor die Tür setzen? Da machen ja wohl auch bei Frauen die Hormone kaum mit. Vielleicht will er auch nur eigene Dominanz testen – man muss einfach nur mit ein bisschen mehr Strenge herauskommen, und schon fluppt das mit dem Ausziehen.
Ja, alles ganz klasse. Wisst ihr was, Kinder? Ich habe keine Lust, mich mit der fremden Lust zu beschäftigen. Ich will einfach meine Ruhe haben, einen geregelten Tagesablauf – und vielleicht ein bisschen eigene, reale Lust. Mit jemandem, der absolut unkompliziert ist. Bei dem die Rollen klar festgelegt sind, und wo er sich an seine auch hält. Und mit jemandem, bei dem keinerlei berufliche Komplikationen drohen, wenn etwas schief geht; oder auch zu heiß wird.
Dann muss der Betreffende nur noch schön sein, groß und schlank, und schon haben wir den idealen Mann aus dem Katalog. Vielleicht wird das ja mein neues Thema. Die Traumfabrik – Männer, maßgeschneidert. Eine Auseinandersetzung mit den heimlichen Wünschen der Frauen und warum die Realität ihnen immer einen Streich spielt. Klingt brauchbar genug, meine Zeit für eine Weile in Anspruch zu nehmen, bis ich in mein trautes Heim verschwinden kann, ohne einen Anraunzer befürchten zu müssen.
Drei weitere Kollegenantworten trudeln im Laufe der nächsten zweieinhalb Stunden ein, und langsam muss ich mich doch entscheiden, ob dieser Artikel nun tatsächlich beerdigt ist, oder das für Maibaum nur Bestandteil des Spiels war. Sicherheitshalber bedanke ich mich höflich und gebe im Mail der Hoffnung Ausdruck, dass der Artikel, zu dem sie so tatkräftig beigetragen haben, tatsächlich entsteht und auch genehmigt wird. Den Jargon verstehen alle hier, und damit wissen sie, sie haben sich womöglich die Arbeit umsonst gemacht.
Immerhin haben wenigstens diese fünf Antworter des Nachmittags mir bewiesen, es gibt nicht nur Doppelmoral hier. Manche halten Sex ersichtlich einfach nur für eine ganz normale Sache, über die man offen reden kann.
Dann ist endlich Zeit, Feierabend zu machen. Und die paar Stunden irgendwie totzuschlagen, die ich noch auf den Besuch bei Deinar warten muss.
Was tut man in solchen Fällen? Irgendein blödsinniges Computerspiel hervorkramen. Damit verfliegen die Minuten wie Sekunden, man vergisst sogar das Essen – und in nullkommanichts ist es Zeit aufzubrechen.