Ein Abschied und ein Neuanfang

14. Juni 2013

Ich versuche es mit ruhigen Argumenten. „Martin, der Job, den ich gerade mache, das ist doch überhaupt nichts im Vergleich zu deinem. Es ist ein Nichts, ein kleines Spiel. Hättest du gesagt, du willst ihn haben, hätte ich ihn abgelehnt.“ Einen Moment lang überlege ich, ob ich ihm das jetzt noch anbieten soll, aber nein, das will ich nicht. Meinetwegen nicht, und Mondheims wegen nicht. Und weiter im Text. „Was den Zirkel angeht, ich weiß nicht, wie die ihre Termine machen. Ich bin sicher, es ist reiner Zufall, dass mein Vorgespräch vor deinem war. Außerdem sagt das ja nichts über die tatsächliche Aufnahme. Und Mondheim hat dich nicht ins Abseits befördert, er hat nur darum gebeten, dass ein anderer dein Mentor wird. Damit hat er auch voll und ganz recht. Schau dir doch an, wie wir beide miteinander umgehen. Du glaubst doch nicht im Ernst, unter diesen Umständen könnte er uns beide nebeneinander in den Zirkel einführen.“

Das ist es ersichtlich alles nicht, was Deinar hören will. „Du hast dir das alles schön geplant und zurecht gelegt. Wirklich geschickt; mein Kompliment, Anne. Was hast du als nächstes vor?“

Er redet, als hätte ich nichts gesagt. „Hast du mir nicht zugehört? Ich habe nichts geplant – die Dinge haben sich so ergeben.“

„Sich ergeben – schön formuliert, unheimlich schön. Erzähl mir nichts! Du hast mich von Anfang an nur benutzt!“

Nachdem er das mit dem Benutzen nun schon zum zweiten Mal sagt, ist das wohl der wundeste Punkt. Für Rücksichtnahme darauf hat er mit seinem Toben allerdings meine Geduld schon zu arg überstrapaziert. Er ist ja gar nicht hier, um mit mir zu reden – er will nur seinen Zorn loswerden. „Verdammt, das habe ich nicht! Wenn du dich recht erinnerst, wollten wir Freunde werden, vielleicht sogar mehr. Das ist nicht an mir gescheitert; ich habe mich dir an dem einen Abend ja noch angeboten wie Sauerbier.“ „Und gleichzeitig hast du dich Mondheim angeboten,“ unterbricht er mich. „Nur bei dem hattest du mehr Erfolg.“

Langsam habe ich genug. „Du weißt genau, dass zwischen Mondheim und mir nichts gelaufen ist, was nicht geschäftlich ist!“ „Nein, selbstverständlich nicht,“ höhnt er. „Du rennst nur die ganze Zeit herum wie eine rollige Katze auf der Suche nach irgendeinem Mann, der sich deiner endlich erbarmt – und nun hast du auf diese Weise gleich den größten Fisch geangelt.“

Also, auf der Basis diskutiere ich nicht. Es wird Zeit für einen kleinen Gegenschlag. „Ich verstehe sehr gut, dass du dich ärgerst, weil du dich so plötzlich von mir zurückgezogen hast. Aber ich kann dich beruhigen – du hattest voll und ganz recht. Das mit uns, das wäre wirklich nichts geworden. Mittlerweile bin ich sehr froh, dass du mich nicht haben wolltest.“

Böse ziehen seine Augen sich zusammen. „Das kann ich mir denken. Du hast ja auch längst was Besseres gefunden.“

Er muss sehr verletzt sein, wenn er so hartnäckig kränkend bleibt. „Martin, verflucht, was ist eigentlich los mit dir? Ich verstehe es nicht. Bei der Feier war doch noch alles in Ordnung, jedenfalls bis wir uns verabschiedet haben. Was ist bloß passiert, dass du danach so anders geworden bist?“ Er starrt mich an, als hätte ich die Pest. „Meinst du, ich habe Mondheims Blicke nicht gesehen? Er ist genauso schnell und genauso gründlich auf dich reingefallen, wie du das wolltest.“

Eine kleine Glühbirne blinkt auf. Das war es also, was seine Laune so sehr trübte, dass er mich auf dem Rückweg so massiv angegriffen hat. Die Kröte hat ihm quer im Hals gesessen, und dabei war es bloß eine imaginäre. Mondheims Blicke? Wovon redet er eigentlich?

Etwas in mir rollt sich mitten in dem Protest mit einem wohligen Schauer zusammen und schert sich nicht um die damit verbundene Scham.

Ich hatte die Entwicklung der letzten Zeit für mehr oder weniger Zufall gehalten, kombiniert mit Mondheims Verantwortungsgefühl für all seine Schützlinge und deshalb auch für mich. Vielleicht ist da doch mehr. Meine Kehle verengt sich in heißen Wellen.

Womöglich hat Deinar mehr Recht mit seinen Angriffen, als es mir lieb ist. Nein, ich bin nicht angetreten, Mondheim zu angeln. Aber ja, es hat mich wie der berühmte Pfeil mitten ins Herz getroffen, als er so überraschend nahe auftauchte, bereit, mich noch näher kommen zu lassen.

Eigentlich irrt sich Deinar vollständig, und doch ist da ein Kern in dem, was sich ergeben hat, der ihn verletzten, der ihn sauer machen muss. Ein Kern, gegen den ich mich nicht verteidigen will. Nicht, dass ich es müsste. Deinar hat mich selbst freigegeben, auf eine nicht gerade anständige Weise – deshalb bin ich ihm keine Rechenschaft schuldig. Nur mir selbst. Und mir selbst gegenüber bin ich beschämt. Ohne auch nur irgendetwas ändern zu wollen. Könnte ich die letzten Tage noch einmal erleben, ich würde es allenfalls genießen und nicht eine Kleinigkeit anders machen.

Ich bin kein edler Ritter; ich will nun einmal, was ich will. Und an sich habe ich auch nichts falsch gemacht. Ich hätte mit Deinar reden können, ja. Nur, er war es doch, der auch die freundschaftlichen Bande zwischen uns gekappt hat. Der mich vor Mondheim angegriffen und lächerlich gemacht hat, statt zu dem Zeitpunkt statt jetzt offen mit mir zu reden. Wobei, offen ist er ja heute Abend auch nicht.

Andererseits, worüber hätte ich mit ihm reden sollen? Ich bin ja selbst überfallen worden von dem, was gestern erst geschehen ist und heute schon eine unumstößliche Tatsache in meinem Leben.

„Sag mal, Martin, was willst du eigentlich? Was willst du von mir, einmal überhaupt, und speziell heute Abend? Du wolltest mit mir reden, aber du redest gar nicht. Oder wenn, dann höchstens deine Empörung von der Seele. Warum nicht – kein Problem. Sollen wir einfach versuchen, wieder Freunde zu werden?“

„Freunde!“ Er spuckt das Wort hervor wie eine Gräte. „Mit dir kann man doch gar nicht befreundet sein! Du bist ein selbstsüchtiges, egozentrisches Biest. Du denkst nur an dich. Du hast erst Maibaum die Krallen gezeigt, dann mir – und als nächstes wirst du es bei Mondheim tun. Aber keine Angst – ich habe ihn schon vorwarnen lassen.“

Der Schlag hat gesessen. Mein Magen verkrampft sich. Ich bin insgesamt mehr bass erstaunt, betroffen über die schwarze Entrüstung in ihm als wütend; aber das kann sich ändern.

Deinar ist noch nicht fertig. „Und bei der Gelegenheit habe ich ihn gleich darauf aufmerksam gemacht, dass er sich mit dir in jeder Hinsicht die Falsche ausgesucht hat. Du wirst den Job gar nicht machen können, den er dir so großzügig gegeben hat. Du bist kein Zugpferd, du kannst nichts auf die Beine stellen, du kannst nur mitlaufen. Er hat dich völlig falsch eingesetzt. Aber ich hoffe, das wird sich bald ändern.“

Also Krieg auf der ganzen Linie.

Gut, den kann er haben. Ich weiß nicht, wie meine Chancen stehen, aber selbst wenn ich keine habe, werde ich mich wehren. Wer weiß, unterwegs finden sich meistens doch irgendwie Gelegenheiten, etwas zurückzuzahlen; man muss nur Geduld haben.

Mit einer fahrigen Bewegung holt Deinar seinen Geldbeutel hervor, zieht einen Zehner hervor, knallt ihn auf den Tisch. „Ich bin fertig mit dir. Und Mondheim wird es auch bald sein. Dann bist du wieder da, wo du hingehörst.“ Er steht auf. Soll ich ihn zurückhalten, versuchen, das in ihm zu erreichen, was nicht so verletzt und zornig ist? Nein, ich glaube, im Moment kann ich diese Ebenen nicht erreichen, die irgendwo in ihm drinnen sind und gar nicht toben, gar nicht beschimpfen wollen, sondern etwas anderes. Und ich will es auch nicht; dazu hat er zu hart zugeschlagen.

Ich lasse ihn gehen, sehe ihm hinterher, wie er sich durch die engstehenden Tische hindurchschiebt nach draußen.

Etwas schmerzt. Etwas ist zerstört. Nur, ich weiß nicht was.

***

Fürs Schreiben bin ich eigentlich zu fahrig. Trotzdem zwinge ich mich, die Artikel anzupacken. Die Arbeit muss getan werden, und solange ich arbeite, muss ich nicht an das Gespräch mit Deinar denken. Oder an Mondheim, der inzwischen längst Bescheid weiß. Aufgeklärt worden ist über mich. Wahrscheinlich durch Lange, wenn nicht durch Deinar selbst.

Gewaltsam halte ich meine Blicke von sämtlichen Uhren fern. Pech nur, dass die Leiste unten auf dem Bildschirm auch eine hat. Es wird neun, halb zehn, Viertel vor zehn. Ich könnte heulen. Und tue es auch.

Zehn Uhr. Das Telefon meldet sich nicht. Fünf nach zehn, zehn nach zehn, Viertel nach.

Ich wusste es. Deinar hat Erfolg gehabt.

Kurz vor halb elf holt mich ein greller Laut aus meiner dumpfen Fassungslosigkeit. Nicht das Telefon, die Türklingel.

Ich denke an eine Katastrophe bei Evelyn, an Deinar, der die Versöhnung sucht oder noch eins draufsetzen will, an Lange, der sich einmischt – scheint er ja gerne zu tun -, an eine völlig entnervte Martina; wage es nicht, an den einzigen zu denken, den ich jetzt sehen möchte.

Und er ist es doch.

„Entschuldige, es ging nicht früher.“

Wie vom Donner gerührt stehe ich da. „Darf ich reinkommen, oder schickst du mich gleich wieder weg?“ „Entschuldigung,“ murmele nun ich und trete beiseite. „Kann ich Ihnen etwas anbieten? Ich habe allerdings nur Tee, Wasser und Kaffee.“

„Oh Anne, ich bin nicht für ein Wasser gekommen oder einen Tee. Obwohl, wenn du einen machen könntest, wäre mir das schon ganz lieb.“ Wortlos gehe ich vor in die Küche, versuche, mich zu sammeln. Wasser aufsetzen, Kanne ausspülen, Tee einfüllen ins Sieb, Tassen, Löffel, Zucker, Sahne.

Er setzt sich unaufgefordert. Irgendwann bin ich gefasst genug, ihn anzusehen. „Sie hatten Besuch von Lange.“ Er seufzt. „Meine liebe Anne, wir sind hier weder bei der Arbeit, noch mitten in einer Session – obwohl das ein verführerischer Gedanke wäre. Könntest du es vielleicht über dich bringen, etwas weniger förmlich mit mir zu reden? Ich heiße Daniel; falls du es nicht mitbekommen haben solltest.“

Das bringt mich zum Lächeln. Trotz meines Entsetzens bei dem Gedanken daran, wie ich wohl aussehen mag – verheult, niedergeschlagen. Kein schöner Anblick. „Danke, dass du gekommen bist,“ sage ich. Es drängt mich, zu ihm hinzugehen, mich in seine Arme zu werfen. Aber er hat einen Tag hinter sich, der gewiss nicht einfacher war als meiner – eher noch eine ganze Ecke schwerer. Es ist gut, dass er da ist; ich muss nicht noch mehr von ihm verlangen.

Er steht auf, geht die zwei Schritte bis zu dem Schrank, vor dem ich stehe. Und nun tue ich es doch, mich ihm an den Hals schmeißen. Er hält mich wieder fest, aber etwas ist anders als noch vor wenigen Stunden im Büro. Ganz anders. Da ist etwas, das drängt, herausgelassen zu werden. „Das mit der Session wäre gar keine schlechte Idee,“ flüstere ich. „Allerdings glaube ich kaum, dass ich dich dann vor morgen früh wieder loslassen würde. Und du musst sicher bald wieder gehen.“

„Zum Teufel mit der Vernunft,“ sagt er grob und verstärkt den Druck seiner Hände auf meinen Schultern. „Aber jetzt erzähl erst einmal, was bei dir war. Mich hat sich Lange vorgeknöpft, wie du es vermutet hast, also war bei dir Deinar selbst, richtig?“ Ich nicke. „Und warum, Herrgott, hast du mich nicht gleich angerufen? Was glaubst du, warum ich dir die Handynummer gegeben habe?“

Ich lehne den Kopf zurück, suche seine Augen. Besorgnis steht in ihnen, und etwas anderes blitzt darin auf wie ein gefangenes Tier, das die Freiheit will. „Bestrafen Sie mich dafür – aber ich werde Ihnen nicht mit meinen Problemen auf die Nerven gehen, wenn Sie gerade eine schwierige Besprechung haben.“

Die blauen Blitze werden stärker. Eine Hand vergräbt sich in meinen Haaren, hart, fast ein wenig schmerzhaft. „Wenn ich dir sage, du kannst mich jederzeit anrufen, dann meine ich das auch so, und dann will ich nicht, dass du Spielchen spielst und wartest, bis ich dich anrufe!“

„Ich habe kein Spiel gespielt,“ protestiere ich. „Ich wollte nur warten, bis Sie sich selbst melden. Solange hätte alles Zeit gehabt.“

Jetzt tut es richtig weh. „Gegen zehn wollte ich anrufen. Jetzt ist es halb elf. Normalerweise bin ich pünktlich, und du hast mit Sicherheit gedacht, ich melde mich nicht mehr. Warum hast du trotzdem nicht angerufen?“ Sein unerbittlicher Griff zwingt meinen Körper in einem Bogen nach hinten.

Das Teewasser kocht. Er lässt mich los.

Zu meinem großen Bedauern.

Es gelingt mir, nur wenig zu verschütten, obwohl ich am ganzen Leib zittere.

„Was hat Deinar dir gesagt?“ fragt er. Ich kann nur hilflos den Kopf schütteln. „Ich weiß es nicht. Es war so viel, und so – er klang so furchtbar verletzt. Er hat mir vorgeworfen, ihn benutzt zu haben. Und er will dafür sorgen, dass ich all das wieder verliere, was ich, so wie er es sieht, nur durch ihn überhaupt bekommen habe.“

„Glaubst du, was er sagt?“ Ich schweige. „Glaubst du es?“ wiederholt Mondheim seine Frage. „Ein bisschen.“ „Ein bisschen – mit anderen Worten, du bist voll hereingefallen auf sein Puppentheater,“ konstatiert er. Mit der flachen Hand schlägt er auf die Arbeitsplatte. Erschrocken zucke ich zusammen. „Verdammt! Du hast es also darauf angelegt, dir den Job und mich zu angeln, ja? Glaubst du wirklich, ich bin eine solche Marionette, dass mich ein paar schöne Augen dazu bringen, etwas zu tun, was ich nicht will? Ich bin kein Mönch, aber ich bin viel zu alt, um mich durch weibliche Tricks verwirren zu lassen. Merkst du gar nicht, was da hinter den Kulissen abgegangen ist? Er wollte dich, ja, so wie Maibaum auch, und so wie viele andere. Für den Fall, dass du die vielen neidischen Blicke gestern Abend übersehen haben solltest – wovon ich fest überzeugt bin. Ich hätte mich nie eingemischt, wenn es zwischen euch geklappt hätte, aber das sieht doch ein Blinder, es kann nicht funktionieren. Ihr seid beide auf der Suche, und wisst noch nicht einmal genau, nach was. Verständlich, dass ihr versucht habt, euch aneinander zu klammern, aber so kann es ja gar nicht klappen. Ja, und dann kam ich auf den Plan, und mir hat eine Begegnung mit dir gereicht, um zu wissen, dass ich dich will. Ich gebe zu, es war nicht ganz fair, dich darüber so lange im Unklaren zu lassen. Und es war vielleicht auch nicht fair Deinar gegenüber, aber eines kann ich dir sagen, das schert mich einen Dreck. Du musst doch noch besser wissen als ich, was er mit dir gemacht hat. Es war ja nicht nur die Besprechung letzten Montag – er hat mehrfach versucht, dich bei mir schlecht zu machen, nachdem er dich erst über den grünen Klee gelobt hat. Er hat sämtliche Grenzen der Anständigkeit überschritten – und das heute Abend setzt dem allen noch die Krone auf. Und du willst mir ernsthaft erzählen, du lässt dich durch diese Schmierenkomödie beeindrucken?“

„Ich habe bestimmt einiges falsch gemacht,“ erkläre ich leise.

„Natürlich hast du das. Du hast etwas falsch gemacht, ich habe etwas falsch gemacht, er hat etwas falsch gemacht. Na und? Wen interessiert das? Daraus besteht das Leben. Wichtig ist nur, wie man damit umgeht.“

Ich kippe Zucker und Sahne in den Tee, trinke einen Schluck, verbrenne mir die Zunge. Er nimmt seine Tasse und trinkt klugerweise nicht. „Lass uns einfach zum Kern der Angelegenheit kommen. Gefühle sind etwas, das entsteht und das sich verändert, und das man nicht beeinflussen kann. Die ganze Moralisiererei hat nicht den geringsten Einfluss auf Gefühle, und das ist auch ganz richtig so. Moral, Verpflichtung, Dinge, die unabhängig sind von den augenblicklichen Emotionen, das fängt alles erst an, wenn man eine wirkliche Bindung eingegangen ist. Bindungen beruhen auf Anstand, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit. Verliebtheiten nicht. Du kannst deine Hormonschübe ebenso wenig kontrollieren wie jeder andere, um es einmal krass auszudrücken. Du schuldest Deinar nichts, außer einer fairen Zusammenarbeit im Büro. Die bringst du, aber er bringt sie nicht. Ende der Geschichte für mich.“

„Das ist nicht ganz richtig,“ widerspreche ich. „Deinar und ich, wir waren schon bereit, eine Weile lang, uns in eine Bindung zu begeben; in eine Verpflichtung.“ „Und? Du wolltest, er wollte, dann wollte er nicht, und du hast dich zurückgezogen. Wiederum Ende der Geschichte. Entscheidend ist doch, es gab eben diese Bindung nicht – und deshalb kann er, der sie selbst nicht wollte, jetzt nicht anfangen, daraus irgendwelche Rechte herzuleiten. Er wollte die Verantwortung nicht, damit existiert sie nicht. Weder für ihn, noch für dich.“

Der zweite Schluck Tee ist schon leichter zu verkraften. „Stört es dich gar nicht, dass ich – dass ich so schnell von Maibaum zu ihm gegangen bin, und jetzt …“ Nun trinkt auch er. „Ach, ist es das, was er dir vorgeworfen hat? Dass du von einem Bett ins andere hüpfst? Eigentor, kann ich dazu nur sagen. Soweit ich weiß, bist du mit keinem der beiden im Bett gelandet. Etwas, das sie beide von sich nicht unbedingt sagen können, im Hinblick auf die Frauen, die sie im Laufe der letzten Monate gereizt haben. Willst du es dir im Ernst selbst übel nehmen, dass du verschiedene mögliche Partner im Kopf durchspielst, wenn du nun einmal auf der Suche bist? Das tut doch jeder. Meine Güte, glaubst du, ich hätte nicht schon von der einen oder anderen Mitarbeiterin oder sonstigen Bekannten einen Steifen gekriegt? Manchmal habe ich auch versucht, damit weiterzukommen. Ab und zu hätte es funktionieren können, aber etwas hat mich im letzten Moment immer abgehalten. Das ist es doch gerade – das eine ist eine Frage der Hormone, und die kannst du nicht abstellen. Und das andere ist – eine Beziehung. Eine, die nicht nur der Schwanz will, sondern wohinter der ganze Mensch steht.“

Wenn er es erklärt, ist alles – wirklich erklärt. Klar. Ganz einfach und durchschaubar. Es ist einer der Momente, in denen ich wenigstens einen der vielen Fäden, aus denen irgendjemand die Tage webt, zu greifen bekomme und nachverfolgen kann.

Mondheim holt tief Luft. „Und jetzt zu uns. Ich weiß nicht, was werden wird; ich weiß nur, es wird garantiert schwierig. Schwierig und faszinierend. Und ich will es, ich will genau das, ich will dich. Man hat mir oft gesagt, ich überfahre die Menschen, wenn ich etwas will. Fühlst du dich von mir überfahren?“

Das kann ich aus vollem Herzen verneinen. „Nicht im geringsten. Oder glaubst du, nur weil etwas schnell und für mich dann doch, zugegeben, etwas überraschend eintritt, lasse ich mich zu etwas bringen, das ich nicht auch will? Wirklich will, meine ich; nicht nur in dem Augenblick, in dem es mich trifft. Glaubst du, irgendwelche beeindruckenden Umstände beugen mich in eine Richtung, die mir unlieb ist? Nein – ich denke, es war allenfalls so, dass eben diese Umstände nur etwas hervorgeholt haben, was schon da war.“

„Bist du sicher?“

Ich stelle meine Tasse ab, wende mich ihm zu und fahre mit den Fingerspitzen über seine Wange, spüre das Kratzen des Bartschattens. „Ja – ja, das bin ich. Wie du sagst, es gibt Hormone, und es gibt –mehr.“

„Mehr? Also auch Hormone?“ fordert er mich heraus.

„Ja, oh Gott, ja. Ja, natürlich.“

Ein paar Sekunden lang hängt alles in der Schwebe. Der Punkt, an dem wir angekommen sind, das ist einer, wo man die Dinge auch ruhen lassen kann. Dann stellt er seine Tasse ebenfalls ab.

Manchmal liebe ich Vanilleeis. Eine Umarmung, ein Kuss, die einfach nur erotisch sind. Aufregend, erregend. Die nichts mit Schmerz zu tun haben und mit Macht. Die nur weich machen und warm und feucht und schwer und voller Gier und Hunger.

***

Es ist fast zwei Uhr, als Mondheim aufbricht. Und selbst durch meine befriedigte Gelassenheit dringt das schlechte Gewissen durch, ihn so lange aufgehalten zu haben. Nur im T-Shirt stehe ich neben ihm im Flur. „Es tut mir Leid – du wirst einen furchtbaren Tag haben, nach so wenig Schlaf.“

Noch einmal berühren mich seine Hände, besitzergreifend diesmal. „Ich werde einen wunderbaren Tag haben, ich werde nämlich an dich denken und an heute Abend. Und wenn ich von dir noch ein Wort der Entschuldigung dafür höre, kannst du beim nächsten Mal eine ganz andere Seite von mir kennen lernen!“

Mich reitet der Teufel. „Entschuldigung!“

Ich spüre die Erschütterungen durch sein Lachen gegen meinen Körper. „Ich wusste, dass du nicht widerstehen kannst. Dann such dir schon einmal für den Samstag ein Kleid aus, das ich dir möglichst schnell vom Leib reißen kann. Und bitte nichts darunter; warm genug ist es ja, dass du dir keine Nierenentzündung holst.“

Ich könnte schon wieder. Aber es ist auch schön, einfach bis Samstag zu warten. Mit ein wenig Angst, was er dann mit mir anstellen wird, dieser Mensch, dem ich so seltsam vollständig vertraue.

„Ich werde versuchen, Sie nicht zu enttäuschen,“ antworte ich. Das mit der Anrede ist noch ein bisschen kompliziert, aber ich werde es sicher lernen. Dann leiste ich Widerstand. „So, und jetzt solltest du aufbrechen, sonst binde ich dich am Bett fest und missbrauche dich die ganze Nacht.“

Wieder lacht er und fragt dann, leise: „So schlimm?“ „So schlimm,“ bestätige ich, und nun dauert es doch noch ein paar Minuten, bis wir uns voneinander lösen. Ich warte an der Tür, bis ich unten die Haustüre höre, dann renne ich zum Küchenfenster, reiße es auf, und beobachte ihn, wie er über die Straße geht, das Auto aufschließt. Bevor er einsteigt, sieht er hoch, entdeckt mich. Ich kann es fast fühlen, seine Freude darüber und sein Amüsement. Er hebt die Hand.

Natürlich kann ich wieder lange nicht einschlafen und bin am nächsten Morgen wie erschlagen, aber das macht alles nichts – ich könnte die ganze Zeit tanzen. Vielleicht nicht Tango, denn den habe ich nie richtig gelernt, aber irgendeinen anderen Tanz.

Ich habe eine zweite Autorin gefunden, die bereit ist, Geschichten bei uns zu veröffentlichen. Was SirtaM betrifft, besteht eine erste Veröffentlichungschance, dank Mondheim. Mondheim – mein Gott. Alles gewinnt eine neue Bedeutung durch das, was gestern und vorgestern Abend war. Daniel Mondheim. Wie schön es ist, seinen Namen zu denken.


Weitere Einträge


Comments are closed.

Telefonsex Erziehung mit Herrin