Auseinandersetzungen

4. Oktober 2013

Grübingen geleitet die Mondheim zu einem Platz, hält ihren Stuhl, bis sie Platz genommen hat, wiederholt das Ganze bei meinem.

Mondheim übernimmt das Einschenken. Nachdem er sich ebenfalls gesetzt hat, trinkt er einen Schluck, und auch Grübingen greift nach seiner Tasse.

Es ist unangenehm, wie eng wir alle beieinander sitzen.

„Können wir jetzt endlich zur Sache kommen?“ fordert sie ungeduldig. Nach dem Kuchen hat niemand gegriffen; der bleibt garantiert pure Dekoration.

Wäre die Stimmung nicht so bedrückend, der Irrsinn der Situation wäre beinahe zum Brüllen komisch.

„Nachdem du auf dieser Aussprache bestanden hast, solltest du vielleicht anfangen,“ bemerkt Mondheim.

Sie zieht die Augenbrauen hoch. „Du kannst dir sicher denken, weshalb ich darauf bestehen musste. Bei allem Verständnis, Daniel – war das wirklich nötig, die Petersen so mit der Nase darauf zu stoßen?“

Er zuckt die Achseln. „Du kennst mich, Silvia. Ich bin nicht gemacht für heimliche Schleichereien.“

Sie nimmt einen Schluck Kaffee. „Ja, ich kenne dich sehr gut, Daniel. Du bist in all den Jahren der Alte geblieben, du hast dich kein Stück verändert. Wenn ich zurückdenke an die Zeiten, als es uns schlecht ging, als wir jeden Pfennig dreimal umdrehen musste – damals habe ich immer gedacht, wenn wir das einmal überstanden haben, dann ist der Kämpfer in dir zufrieden, dann können wir endlich ruhiger leben und uns aufeinander konzentrieren.“ Sie lacht bitter. „Wie sehr ich mich getäuscht habe! Alles ist heute anders bei uns; alles. Nur du nicht.“

Ein ganz merkwürdiges Gefühl überrumpelt mich. Mitgefühl.

Nicht Mitleid – ich mag sie nicht, und daran ist nicht zu rütteln. Aber plötzlich verstehe ich sie – und fühle mit ihr.

Einen Augenblick lang starrt sie in ihre Tasse, als könne sie dort Hilfe finden. Grübingen berührt sie leicht am Arm. Eine Geste, zu der es selbst mich drängt.

Abrupt schüttelt sie Grübingen regelrecht ab, dreht sich zu ihrem Mann. „Ist es soweit, Daniel?“ fragt sie. Er nimmt ihre Hand. „Ja, Silvia – es ist soweit.“ Sie nickt nur, streicht über seinen Handrücken.

In diesem Moment empfinde ich sogar Hochachtung vor dieser Frau, die ich für meine Feindin gehalten habe.

Und in die Hochachtung mischt sich Trauer. Was für mich ein Neuanfang ist, schließt für sie ein Kapitel; wahrscheinlich eines der wichtigsten ihres Lebens.

Wir schweigen alle. Mondheims halten einander noch immer bei der Hand. Zwischendurch tauschen Grübingen und ich einen Blick. Wir sind Komplizen, ebenso wie die beiden anderen. Wir sind die Zuschauer, die bei etwas ausharren müssen, das besser ohne einen Dritten und eine Vierte stattgefunden hätte, und die allein etwas wie Ehrgefühl an ihrem Platz hält, obwohl uns alles drängt, uns zurückzuziehen.

Ihre Stimme ist belegt, als sie wieder spricht; obwohl sie sich schnell erholt. Ich bin es, an die sie nun ihre Worte richtet. „Sie müssen noch viel lernen, Frau Senreis. Das Leben ist kein Spiel, auch wenn Sie jetzt glauben, es sei eines, und zwar eines, das Sie gerade gewonnen haben.“

Die Ungerechtigkeit ihres in eine Feststellung verpackten Vorwurfs verletzt mich. Eine barsche Erwiderung liegt mir auf der Zunge, aber ich schlucke sie hinunter. Es ist niemandem gedient, wenn jetzt ich eine Auseinandersetzung entfache, nachdem sie so erstaunlich gelassen ist. Zähne zusammenbeißen und durchhalten ist die bessere Devise. Soll sie mich doch herabsetzen, wenn es ihr hilft.

„Silvia, Anne ist kein Kind mehr,“ sagt Mondheim ruhig und zieht seine Hand zurück. „Misch dich nicht ein, Daniel,“ erklärt sie brüsk. „Wir beide sind im Reinen miteinander, da ist ja auch schon längst alles gesagt, es musste nur der Zeitpunkt kommen, an dem es endgültig soweit ist. Das hier, das betrifft allein deine – deine kleine Freundin und mich.“

Mondheim steht so unvermittelt auf, dass sein Stuhl auf dem Fliesenboden scharrt.

Bevor er etwas sagen kann, hebe ich die Hand. „Ich bitte Sie, lassen Sie Ihre Frau reden. Es ist – ich glaube, es ist besser.“ Ich weiß nicht, warum ich in diesem Augenblick ihm gegenüber das förmliche Sie benutze, aber irgendwie ist es passend. Er sieht mich an, nickt mir zu, dreht sich um. Ich denke schon, er verlässt das Zimmer, aber er bleibt im Türrahmen zum Flur stehen.

„Sie,“ sagt die Mondheim nun und zeigt mit dem Finger auf mich. „Sie haben sich das sehr schön gedacht, sich einen Mann zu angeln, der all das schon hinter sich hat, was ich mit ihm zusammen ertragen und durchgemacht habe. Sie glauben, Sie könnten es sich einfach machen und die ganzen schweren Monate und Jahre überspringen, die Daniel und mich zusammengeschweißt haben.“

„Silvia,“ mahnt Grübingen, doch sie beachtet ihn gar nicht. „Vielleicht haben Sie ja sogar Glück. Daniel ist in jeder Hinsicht ein Fels in der Brandung. Er wird Sie nicht morgen wieder fallen lassen, nur weil die ersten Probleme auftauchen. Ob Sie denselben Mut aufbringen, werden Sie erst beweisen müssen. Wie gesagt, vielleicht haben Sie Glück. Ich wünsche es Ihnen nicht. Wir beide waren uns von Anfang an unsympathisch, und daran wird sich nichts ändern. Ich werde Daniel keine Steine in den Weg legen. Sie jedoch für Ihre Person sollten mit einer solchen Rücksicht nicht rechnen. Ihnen werde ich schaden, wo ich das nur kann.“

„Silvia, es ist genug,“ meldet sich Grübingen erneut. Er sieht beinahe verzweifelt aus – wahrscheinlich fällt es ihm noch schwerer, sich das alles anzuhören, als mir.

Und er hat recht.

Ja, es ist genug. Auch ich erhebe mich. „Frau Mondheim, ich danke Ihnen, dass Sie Ihren Mann nicht entgelten lassen, was Sie mir gegenüber empfinden.“ Der Satz bringt mich beinahe um, obwohl ich es genauso meine, wie ich es sage.

Wahrscheinlich trifft ihr Vorwurf deshalb so tief, weil ich eine gewisse Wahrheit darin spüre.

***

Na, wie habe ich das gemacht? Ich bin stolz auf mich, die Herausforderung zum weiblichen Keifduell nicht angenommen zu haben.

Und wenn es etwas braucht, mich davon zu überzeugen, wie recht ich damit habe, auf mich stolz zu sein, dann ist es Mondheims Reaktion. Er bestätigt mir das nicht nur, er lässt es auch zu, dass ich – außerhalb ihrer Hörweite natürlich – seine Frau mit falsche Schlange, giftige Kuh und mit anderen Kombinationen aus verächtlichen Adjektiven und Tiernamen tituliere.

Die ungeheure Wut auf sie muss nämlich raus, und da kann ich auch auf Mondheims Loyalität keine Rücksicht nehmen.

Ich könnte ihr die so sorgfältig friseurgepflegten Haare einzeln ausreißen. Oder nein, lieber die langen, manikürten Fingernägel; das tut mehr weh. Ich bin stinkesauer, wie verkniffen-verächtlich sie sich eingebildet hat, mich abkanzeln zu können.

Aber sagen Sie mal ehrlich – soll ich mich nun herablassen, ein paar passende Entgegnungen auf den tatsächlich unangetasteten Kuchen zu legen, sozusagen als Zankapfel? Einmal ganz davon abgesehen, dass mir Grübingens wahrscheinlich extrem verlegenes Gesicht dabei lebhaft vor Augen steht; in welche Lage würde ich Mondheim damit bringen? Er hätte sich ja doch nicht herausgehalten, wenn wir Frauen ernsthaft aufeinander losgegangen wären, und schon hätte er sich für eine der beiden Loyalitäten entscheiden und dazwischen hin und her lavieren müssen. Da ist es mir doch lieber, er steht, was das weibliche Verhalten während dieser so genannten Aussprache betrifft, voll und ganz auf meiner Seite. Und wenn ich mir dazu die Zunge abbeißen muss.

Außerdem kann man als Siegerin ja wohl großzügig sein; und ja, natürlich, sie hat recht, ein bisschen als Siegerin fühle ich mich schon. Es ist zwar keine leicht zu handhabende Trophäe, die ich abgeschleppt habe, und in den Schrank stellen kann ich sie auch nicht. Es ist eher so, die Raubkatze ist aus dem Käfig entflohen, und wird nun das Bett mit mir teilen; keine ganz ungefährliche Situation.

Wie ich nun von Mondheim erfahre, wäre es theoretisch sogar möglich, dass wir beide da bleiben. Grübingen fühlt sich hier ersichtlich wie zu Hause, und ich errate auch so, das muss mir Mondheim gar nicht erst sagen – er ist seit einiger Zeit häufiger Gast hier. Tags und nachts. Allerdings teile ich Daniels Abneigung, zu viert unter diesem Dach zu bleiben. Grübingen scheint mir ungeheuer nett, mit dem käme ich sicher aus. Aber allein der Gedanke daran, ihr beim Abendessen erneut zu begegnen, treibt mich aus dem Haus. Außerdem, es ist nun einmal nicht richtig; und die Tatsache, dass sie es dennoch als Recht für sich in Anspruch nimmt, den Lover im ehelichen Haus einzuquartieren, kann daran nichts ändern.

Mondheim wird mich in meine Wohnung fahren; aber er wird ebenfalls nicht ins Haus zurückkehren – gerade packt er ein paar Sachen ein.

Der Mistkerl hätte ja wirklich auch einmal etwas sagen können; Grübingens Dasein und Position lassen nun einiges in einem ganz anderen Licht erscheine. Hätte ich das gewusst, mir wäre vieles erheblich leichter gefallen.

So wie ich Mondheim einschätze und das wenige einordne, das ich nun erfahren habe, hat er es seiner Frau nur zu gerne erlaubt, ihren Liebhaber fest zu installieren; unter der Bedingung, dass sie ihn sofort freigibt, wenn er irgendwann einmal diesen Wunsch äußert, weil auch er jemanden gefunden hat.

Nicht er ist der böse Ehebrecher, wenn man denn schon einmal moralisch denkt, sondern sie ist es, die zuerst so weit gegangen ist, ein drittes Rad in die gemeinsame Wohnung mit aufzunehmen. Anders als Mondheim besitzt allerdings sie nicht das Format und die Gleichgültigkeit gegenüber Klatsch, das offen zu tun. Bei Mondheims Geburtstagsfeier beispielsweise war Grübingen nicht anwesend, soweit ich mich erinnere.

Der Petersen würde das Schandmaul schnell wieder zuklappen, wäre sie besser informiert.

Jedenfalls – ich kann es noch gar nicht richtig fassen, wie sauber und einfach ein Hindernis, das ich für beinahe unüberwindbar hielt, sich als allenfalls kleiner Stolperstein herausgestellt hat. Ich könnte mit Indianergeheul um ein Freudenfeuer herumtanzen; allerdings sollte ich mich an diesem Ort wohl etwas zurückhalten.

Beide mit einer Reisetasche behängt gehen wir die Treppe hinunter. In den vorher so leeren riesigen Räumen herrscht Geschäftigkeit; schon von weitem höre ich sie Anweisungen geben.

Mondheim stellt seine Tasche bei der Haustür ab, bedeutet mir, das Gleiche zu tun. Oje, natürlich – wir müssen uns ja noch verabschieden. Es geht doch nichts über unumstößliche Höflichkeitsformen noch in der perversesten Lage.

Durch die offene Küchentür sehe ich die Hoffmann eifrig wirtschaften. Im Wohnzimmer erklärt gnä‘ Frau den beiden anderen, die vorhin die Koffer hereingetragen haben, was sie wie umgeräumt haben will. So solidarisch, wie die zwei sich das gleichmütig anhören, sind sie nicht nur beide hier angestellt, sondern auch privat ein Paar.

Grübingen, der auf einem Sofa Zeitung gelesen hat, steht sofort auf, als wir hereinkommen, geht Mondheim mit ausgestreckten Händen entgegen. „Daniel, ihr wollt schon aufbrechen? Schade – ich dachte, wir könnten uns nachher noch ein wenig unterhalten.“ Mit einem Seitenblick auf sie fügt er dann leiser hinzu: „Aber wahrscheinlich ist es wirklich besser. Ich rufe dich an.“ Aha – die Herren der Schöpfung verbünden sich verstandesvoll gegen die unberechenbare emotionale Hysterie der Weiber.

Mir gegenüber ist Grübingen wieder ausgesprochen herzlich; scheint ein feiner Mensch zu sein. Wenigstens kann er sich benehmen; auch wenn sicherlich eher Feigheit als Menschenfreundlichkeit dahinter steckt, dass er gute Stimmung macht.

Sie bleibt natürlich sitzen. Mondheim geht zu ihr, beugt sich herab für einen weiteren Wangenkuss. Na, solange es keiner auf den Mund ist! Von mir erwartet aber hoffentlich keiner, dass ich es ihm auch nur mit einem Händedruck nachtue; ich kann nämlich stur sein. Ich weiß nicht, ob sie von mir einen förmlichen Abschied möchte; ihre Augen jedenfalls ignorieren mich, und Mondheim zieht mich auch gleich mit hinaus, in die Küche.

„Frau Hoffmann,“ sagt er halblaut. Sie dreht sich um, und ich kann sehen, sie hat geheult. Ob ich mich besser verziehe? Nein, Mondheim hält unerbittlich meinen Arm; ich kann nicht entfliehen. Sie wischt sich über die Augen. „Ach, Herr Mondheim, ich …“ „Wir sehen uns, Frau Hoffmann,“ bemerkt er. „Ja, ich weiß schon – aber es wird doch alles ganz anders sein!“ entgegnet sie vehement.

Erst da wird mir bewusst, wie sehr ich auch in ihr Leben eingedrungen bin; unwissentlich zwar, aber ich könnte trotzdem selbst ganz sentimental werden.

Schließlich nimmt er sie einmal in den Arm, streicht ihr über den Rücken.

Dieser Abschied ist weit mehr und weit gründlicher Abschied, als ich das wissen kann.

Es ist furchtbar.

Er verlässt das Haus wie ein Fremder, der eine Weile hier zu Besuch war, und er schaut nicht zurück. Ich bin es, die sich noch mehrfach umdreht und die Hoffmann in der offenen Tür stehen und die Hand heben sieht.

„Wie geht es dir?“ murmele ich, als er sich in den Verkehr eingefädelt hat. „Wie aus einem Gefängnis befreit,“ antwortet er. „Ich werde einiges vermissen. Sehr vermissen. Aber ich habe dir doch schon gesagt – ein richtiges Heim war das für mich nie.“

Nein, sicher nicht – nur, auch meine Wohnung ist das nicht. Wir brauchen rasch etwas, das für ihn zu einer sicheren Burg werden kann, die nicht nur für den äußeren Anschein da ist, sondern vor allem für die innere Behaglichkeit.

Vielleicht fühlt er sich wirklich befreit – aber gewiss auch ein wenig verloren.

In meiner Wohnung kümmere ich mich erst einmal darum, seine und meine Sachen zu verstauen und eine Waschmaschine zu füllen, während er Jakob anruft. Noch morgens hat er ihm abgesagt, und Jakob hat darauf bestanden, sofort informiert zu werden, wenn die Aussprache vorbei ist.

„Mathias hat uns eingeladen,“ berichtet Mondheim nachher. „Er hat ein kleines Wochenendhaus hier in der Nähe.“

Eigentlich wäre das genau das Richtige nach den Erschütterungen der Woche – raus aus der Stadt; raus auch aus meiner Wohnung. Andererseits, dann wären wir wieder unter fremden Leuten, so wenig fremd sie auch sind. Zumindest Jakobs Frau wäre es für mich ja auch tatsächlich, und mein Bedarf an schwer zu meisternden Situationen ist für eine ganze Weile gedeckt.

„Wenn du magst, machen wir das,“ fährt Mondheim fort. „Mir wäre es allerdings lieber, wir könnten hier bleiben; vielleicht morgen meinen Bruder besuchen und ihm die freudige Nachricht überbringen.“ Mein Gesicht erhellt sich; das wären auch Fremde, sogar noch weit fremdere Fremde, aber auf den Besuch könnte ich mich freuen. „Du musst nur damit rechnen, ununterbrochen darüber belehrt zu werden, was du alles falsch machst in deinem Leben,“ grinst Mondheim. „Damit kann ich gut leben,“ erwidere ich. „Also, dann sage ich Jakob ab, und er kommt nur morgen früh kurz vorbei wegen dem zweiten Julisonntag?“

Oh Gott, das hatte ich zwischendurch in der Aufregung ja völlig vergessen; meine Initialisierung morgen in einer Woche. Ich stimme zu.

Es ist ein ganz merkwürdiger Abend, dieser erste wirklich gemeinsame mit Mondheim. Was wir jetzt an gewöhnlichem Alltag miteinander teilen, verwirrt durch den Nachhall der entscheidenden Entwicklungen, die alles zu etwas Neuem und Besonderem machen.

So ruhig er auch scheint – er kann mir nicht erzählen, dieser entscheidende Schritt von heute bliebe völlig ohne Wirkung auf ihn. Ich werde ihm das nicht nehmen, keinen dummen Unsinn reden oder ihn abzulenken versuchen. Den Aufruhr der Neuorientierung; diese ganzen Gedanken und Gefühle, die sind ungeheuer wichtig, und es sind seine, nicht meine; auch wenn alles schon etwas mit mir zu tun hat. Ich gehöre jetzt zu seinem Leben dazu; und gerade deshalb kann ich ihm seine Räume geben, in denen er allein sein kann.

Wir gehen früh schlafen, und ich halte ihn; nicht wie eine Geliebte den Liebhaber, sondern wie ein Freund den anderen.

***

Am nächsten Morgen ist es mit der abgeklärten Ruhe vorbei. Meine innere Uhr hat sich rasch an den etwas anderen Rhythmus gewöhnt; mit ihm zusammen wache ich früh auf. Es ist nicht der beherrschende, bestimmende Dom, der dann mit seiner Begierde die meine weckt, sondern jemand, der ein wenig unsicher ist, ein wenig verwirrt; und auch ein wenig unglücklich.

Das mit ihm zu teilen, verwandelt die scharfe Spitze der Erregung in etwas, das sanft ist und zart und dennoch, nein deswegen viel tiefer trifft.

Nach dem Aufstehen stelle ich fest, dass ich über den Ereignissen des Vortags die alltäglichen Notwendigkeiten vollständig vergessen habe; in meiner Küche ist nichts, was auch nur für ein Frühstück reichen würde. So schnell kann man sich an einen hilfreichen Geist gewöhnen, der einem all solche Dinge abnimmt, tadele ich mich.

Mondheim nimmt es gleichmütig hin und schlägt einen Spaziergang mit nachfolgendem Frühstück auswärts vor.

Draußen ist es wunderschön, noch ohne die ermüdende Hitze des echten Sommers, aber schon warm und verlockend. Nachher geraten wir in ein Jazzcafé, und obwohl ich meistens mit Jazz nicht das Geringste anfangen kann, diesmal passt es so haarscharf zur Stimmung, dass ich weinen könnte.

Natürlich kann Mondheim auch am Wochenende nicht ohne Arbeit leben, und nachdem ich ihm meinen Schreibtisch freigeräumt und ihm mein, sein Notebook überlassen habe, spiele ich ein wenig brave Hausfrau, rufe später meine Mutter an (der ich natürlich gar nichts sage) und Evelyn. Ein wenig Bammel habe ich schon davor, womit Evelyn mich diesmal überfallen wird. Aber sie ist abgelenkt; Sahm hat sie gebeten, mit ihm zusammenzuziehen, und nun ist sie völlig durcheinander und weiß nicht, was sie machen soll. Ich muss grinsen. Ja, da hat sie sich diesmal den Falschen ausgesucht für die exotische Aufregung ohne Folgen.

Martina ist nicht da, und Katrin schwärmt mir etwas von dem Theaterstück vor, in dem sie gestern waren. Ugh!

Dann kommt Jakob und macht Andeutungen. Als Information kann man das wirklich nicht bezeichnen, was er mir verrät, doch immerhin lerne ich ein wenig über den Ablauf der geheimnisvollen Zeremonie.

Typisch Frau mache ich mir sofort Gedanken um meine Kleidung; die allerdings Mondheim bestimmen wird. Er kennt da einen kleinen Laden, in dem wir sicherlich etwas finden werden, und er kennt die Inhaberin persönlich, also können wir gleich heute Abend vielleicht einen Sondertermin vereinbaren.

Aha. Gibt es eigentlich irgendetwas, wohin Mondheim keine Beziehungen hat?

Ich muss mich erst daran gewöhnen, einen so kleinen Raum mit einem derart aktiven Menschen zu teilen. Kleinlaut muss ich gestehen, meine freien Wochenenden habe ich oft genug regelrecht gammelig verbracht; mit viel Lesen, auch einmal Fernsehen. Die ganze Woche über ist soviel los, warum soll ich mir da auch noch die freien Stunden woanders als hier um die Ohren schlagen?

Wahrscheinlich werden wir beide weit weniger nervös sein, wenn erst einmal mehr Platz um uns herum ist. Die Wohnung ist wirklich zu klein für zwei; schon gar, wenn der zweite Bewohner eine Raubkatze und freien Auslauf gewohnt ist.

Mit einer Maklerin hat Mondheim natürlich schon telefoniert (kleine Zwischenfrage – woher und wieso hat er ihre Privatnummer?), und es stehen anscheinend sofort ein paar Objekte zur Auswahl, die wir im Laufe der nächsten Tage besichtigen können. Das erste gleich morgen früh um sieben, noch vor der Arbeit.

Es wird Realität, wovon ich bislang nicht einmal richtig zu träumen gewagt habe, und so schnell.

Gegen halb zwölf machen wir uns auf den Weg, essen unterwegs in einem Schnellrestaurant. Dekadent – und ungeheuer vergnüglich.

Natürlich bin ich doch aufgeregt, als wir kurz nach zwei bei einem regelrechten Hexenhaus landen. Na, wenn das Leben in Idealen ohne Geld heißt, eine solche Umgebung, dann mache ich da auch bereitwillig mit. Scheint ein kleiner Heuchler zu sein, sein Künstlerbruder.

Seltsamerweise erinnert Mondheims Bruder mich an Sahm; nicht nur weil er auf Anhieb ebenso sympathisch wirkt. Müssen Künstler so aussehen? Seine langen Haare sind allerdings hinten zu einem Zopf zusammengehalten. Anders als Daniel ist er blond, und überhaupt könnten die beiden schon äußerlich unterschiedlicher kaum sein. Nur wenn er lacht, dieser Bruder, Joachim, der mich sofort duzt und mich in seine Arme zieht, als kenne er mich schon ewig, dann glaube ich eine gewisse Familienähnlichkeit zu erkennen.

Bei seiner Frau, die anders als er nicht hinausgelaufen kommt, sondern uns im Haus empfängt, erwartet mich eine Überraschung ganz anderer Art. Sie könnte eine Schwester von Silvia Mondheim sein. Wer die beiden Paare zusammensieht und um die Geschwisterbande weiß, tippt garantiert auf das falsche Paar. Ich werfe Mondheim einen hilflosen Blick zu. Er amüsiert sich. Also ist es nicht nur meine Einbildung, sondern die Ähnlichkeit der Ehefrauen besteht tatsächlich. Sie, die ebenfalls Katrin heißt wie meine Jürgen-Katrin, ist weit zurückhaltender als Joachim. Vielleicht mag sie mich nicht, vielleicht missbilligt sie auch nur, dass ich als Kuckuck ihre Anscheinsschwester aus dem Nest gedrängt habe. Denn dass die beiden sehr wohl über alles Bescheid wissen und schon viel von mir gehört haben, ist rasch offensichtlich.

„Alles gut überstanden?“ fragt Joachim und ergänzt, als Mondheim nickt: „Und Silvia?“ „Steht zu ihrem Wort,“ antwortet Daniel. „Erstaunlich, erstaunlich,“ meint Joachim. „Ich hätte wetten können, sie nimmt sich ihre Freiheit und verbietet dir deine, sobald du sie haben willst.“

„Freiheit kannst du es ja wohl kaum nennen, wenn eine Ehe zerbricht,“ bemerkt Katrin. Habe ich mich also nicht geirrt – ihr passt es nicht, dass sie mich statt Silvia Mondheim empfangen muss. Wobei – ich müsste mich sehr täuschen, wenn dieser Besuch auch stattgefunden hätte, gäbe es nur seine Frau in Daniels Leben.

„Katrin, eine Ehe zerbricht nicht, wenn man endlich auseinandergeht,“ erklärt Daniel gelassen, „sie zerbricht vorher. Alles andere ist dann nur eine ehrliche und notwendige Konsequenz.“ „Wenn das so notwendig und aufrichtig ist,“ begehrt sie auf, „weshalb hast du diesen Schritt dann erst jetzt getan, wo du …“ Sie bricht ab, doch es steht überdeutlich im Raum, was sie sagen wollte.

„Kinder, setzen wir uns erst einmal,“ versucht Joachim abzulenken. „Katrin hat extra für euch einen Kuchen gebacken.“

Doch Daniel rührt sich nicht vom Fleck. „Meine liebe Schwägerin, ich habe Anne hierher gebracht, weil ich dies für ein freundschaftliches Gebiet gehalten habe. Wenn sie sich hier mit Anfeindungen auseinandersetzen muss, fahren wir gleich wieder. Sie hat sich gestern von Silvia schon mehr als genug anhören müssen.“


Weitere Einträge


Comments are closed.

Telefonsex Erziehung mit Herrin