Aufnahme in den SM-Zirkel

16. November 2013

Wenn ich ehrlich bin, habe ich nicht unbedingt Lust, essen zu gehen, aber wenn meine Mutter mir schon einen ganzen Tag Arbeit schenkt, kann ich kaum darauf bestehen, abends dann meine Ruhe zu haben und das womöglich noch mit ihren Kochkünsten.

Es ist schon beinahe sieben, als ich zu den beiden stoße, die in der Küche in trauter Eintracht zusammensitzen. Meine Angst, dass sie sich Mondheim vornimmt und ihn nach Strich und Faden ausfragt respektive ihm die Meinung geigt, war wohl unbegründet.

Ich ziehe mich rasch um – Mist, wo ist denn nur … Verdammt, ich muss mich völlig neu orientieren, wo was liegt. Zu Ehren Mondheims wird es Kleid, und zu Ehren meiner Mutter mit vollständiger Unterwäsche darunter.

Schon auf der Fahrt könnte ich einschlafen, und so bin ich im Restaurant ganz dankbar, als die beiden das Gespräch weitgehend allein bestreiten. Mit einem erstaunlichen Spektrum; Politik, Fußball, Religion, Wirtschaft. Vielleicht noch ein wenig Lebensphilosophie? Immerhin scheinen sie sich gut zu verstehen.

Eine kleine böse Stimme in mir schiebt es darauf, dass sie sich altersmäßig ja nun auch weit näher sind als jeder der beiden mir. Was in der Verbindung zu jedem einzeln kein Hindernis ist; bei einem Dreierclub allerdings bin ich das dritte Rad am Motorrad.

Gut ist das; ich hatte schlimmste Befürchtungen. Ein wesentlich älterer Mann, verheiratet – sie können sich ja vorstellen, was eine Mutter im Zweifel davon hält.

Kaum sind wir zurück, klingeln beinahe gleichzeitig das Telefon und Mondheims Handy. Bei mir ist es Evelyn, die sich entschlossen hat, nun doch mit Sahm zusammenzuziehen. Sie ist ein wenig beschickert, und im Hintergrund höre ich Lachen. Nach kurzer Zeit, ich kann gerade noch meine besten Wünsche loswerden und versprechen, ihr beim Umzug zu helfen, habe ich Sahm selbst am Telefon. „Weißt du was, Anne, wenn ich mir richtig Mühe gebe, überrede ich Evelyn vielleicht sogar dazu, mich zu heiraten.“ Auch er ist nicht mehr ganz nüchtern. Ich muss lächeln. „Das musst du aber ganz langsam angehen,“ mahne ich. „Das Zusammenziehen ist für Evelyn schon ein Riesenschritt und eine Premiere. Überfordere sie nicht.“ Dann ergänze ich warm: „Wobei ihr beide wirklich toll zusammenpasst!“

Mondheims Anrufer ist Grübingen, der fragt, ob er noch vorbeikommen kann. Als Mondheim den Hörer bedeckt und nachfragt, stimmt meine Mutter ebenso zu wie ich. Allerdings ahnt sie auch nichts von den Hintergründen.

Ja, und dann fliegt sozusagen alles auf. Meine Mutter ist nicht dumm, und es braucht nur wenige Sätze, bis sie im Bilde ist. Ihr Mund verzieht sich zu einem dünnen Strich der Missbilligung. Ich gebe zu, es ist ja auch ein bisschen bescheuert, wenn der Ex-Ehemann den Ex-Liebhaber trösten muss.

Allerdings habe ich keine Zeit, allzu viel an meine Mutter zu denken. Silvia hat tatsächlich einen Anwalt gefunden, und der hat sich etwas ausgedacht. Sie wird die holländische Firma auflösen, ihr Haus dort verkaufen und ganz offiziell als Zeichen ihrer Versöhnungsbereitschaft ins Haus einziehen. Ohne Grübingen. Anders als Mondheim sind mir die Konsequenzen nicht sofort offensichtlich; aber es klingt schlimm genug. Erstens für Grübingen ganz persönlich, der ihr nur solange gut genug war, wie er ihren Plänen nicht im Weg stand. Und zweitens, weil sie so leichthin etwas wegwirft, was Mondheim aufgebaut hat, nur um ihn herumzukriegen. Als ob das der geeignete Weg wäre.

Mondheims Anwalt hat es nicht leicht; wieder einmal wird Amundsen zu Hause gestört. Er soll gleich am nächsten Tag die Übernahme der Firma in die Wege leiten; anscheinend gibt es eine Klausel, nach der Silvia nicht ohne weiteres an Dritte verkaufen kann. Ein Besuch in den Niederlanden wird erwähnt, der vielleicht erforderlich sein wird.

Meine Mutter verkündet laut, sie wolle jetzt ins Bett, sie habe den ganzen Tag gearbeitet und sei erschöpft. Wir räumen das Wohnzimmer, verziehen uns in die Küche. Als ich ihr gute Nacht sage, wird sie deutlich: „Bist du sicher, dass du dich mit all dem herumschlagen willst? Ich bin ja mehr für klare Verhältnisse, und nicht für so seltsame Verwicklungen. Was ist das überhaupt für eine Art, sie hat einen Liebhaber, und er hat eine Freundin? Das sieht ganz so aus, als suchten die beiden einfach nur ein wenig Vergnügen nebenher. Pass nur auf – am Ende gewinnt sie doch noch. Die Ehefrau ist immer die Stärkere.“

Irgendwo muss ich das schon einmal gehört haben.

Ich will noch die Bezahlung ihrer ganzen Einkäufe regeln, um ihren kritischen Vortrag zu stoppen, aber ich muss feststellen, das hat Mondheim längst erledigt. „Geld hat er ja immerhin,“ bemerkt sie, den Mund noch immer verkniffen. „Aber du wirst schon noch sehen – Geld allein macht nicht glücklich. Sichere dich auf jeden Fall ab, und tu nichts, was du hinterher bereust.“

„Mutti, ich pass schon auf. Und ich werde nichts tun, was ich bereue. Ich liebe ihn.“

„Liebe!“ schnaubt sie. „Liebe verfliegt, und was übrig bleibt, das ist es, worauf es ankommt. Es wird dir schon noch aufgehen, und vielleicht weit schneller, als es dir lieb ist – er ist nicht der Richtige.“

Und ob er das ist. Aber es hat keinen Sinn zu versuchen, sie davon zu überzeugen. Alles, was ich sage, wird sie abtun als die Dummheit einer Verliebten, und schon aufgrund ihrer größeren Lebenserfahrung hat natürlich sie recht und ich bin das kleine Kind, das wieder einmal dabei ist, ins Unglück zu rennen.

Schade; es hat alles so prima angefangen. Dennoch kann ich Grübingens Auftauchen nicht bedauern, das alles durcheinandergebracht hat. Er gehört zu Mondheims Leben und deshalb nun auch zu meinem. Außerdem – was wäre das für eine Zustimmung meiner Mutter, die nur erfolgt, weil sie zu wenig weiß? Sie wird es lernen, Mondheim zu akzeptieren. Und wenn nicht, werden wir alle drei das auch überstehen.

An den meisten meiner Freunde hatte sie etwas auszusetzen und sah sich immer bestätigt, wenn die Beziehungen später zu Bruch gingen.

Das Leben ist nun einmal so, ja. Meistens hält es nicht, das, was zwei Menschen zueinander treibt. Aber sie hat ja selbst gesagt, entscheidend ist, was danach noch da ist, wenn die Wolke 7 sich verflüchtigt hat. Und was das bei Mondheim und mir ist, das wird man sehen. Ich bin da ganz außerordentlich zuversichtlich.

Sie natürlich hält mich für jemanden, der nie gelernt hat, im Leben zurechtzukommen. Kein Wunder, dass sie meinem Urteil nicht traut.

Sie würde sich auch nicht anders verhalten, hätte ich wie sie mit 23 geheiratet und mit 25 ein Kind bekommen, danach nie wieder richtig gearbeitet. Auch dann gäbe es genug, was sie an allem auszusetzen hätte. Dass ich mich unter Wert verkauft habe oder darüber, dass der Mann und Vater nicht genug verdient oder zuviel, und dass man sich manchmal streitet, über Scheidung spricht. Etwas zu kritisieren ist immer; das ist der Stellung als Tochter immanent und nicht abhängig von irgendwelchen Lebensentscheidungen, die sie trifft.

Und übrigens, mit gleichem Recht wie sie kann ich mich hinstellen aufgrund meiner Lebenserfahrung, auf ihr Leben herabsehen und sagen, du weißt ja gar nicht, wie das ist, in der modernen Arbeitswelt bestehen. So glücklich ist sie mit meinem Vater auch nicht; obwohl die beiden sich durchaus zusammengerauft haben. Seit ich ausgezogen bin noch mehr als vorher.

In der Küche ist mein Sekt nun doch noch zu Ehren gekommen, und Grübingen hat gar nichts dagegen einzuwenden. Innerlich tue ich ihm Abbitte, ihn zu Unrecht als Snob angesehen zu haben.

„Auf unseren Plan,“ sagt er gerade, und die beiden stoßen an. Mondheim holt mir ein Glas, dass ich mittun kann. „Was für einen Plan habt ihr denn?“ frage ich neugierig. „Mit deiner Mutter alles in Ordnung?“ erkundigt Mondheim sich besorgt. Ich nicke. „Natürlich ist sie entsetzt, dass wir nicht beide Mitte 20 sind, schon seit der Schule fest miteinander gehen und jetzt heiraten – aber sie wird sich wieder einkriegen. Sie hätte im übrigen bestimmt auch daran etwas auszusetzen. Grundsätzlich habt ihr beide euch ja ganz gut verstanden, und an alles andere wird sie sich gewöhnen.“ „Müssen,“ füge ich nach einer kleinen Pause hinzu. „Aber jetzt zu eurem Plan.“

„Wir werden sie schlichtweg aushungern,“ gibt Grübingen kund. „Sie will mich nicht, weil sie sich Daniel zurückholen will – nun, soll sie. Soll sie glücklich werden in diesem großen leeren Kasten, ganz allein und ganz ohne auch nur einen Mann, geschweige denn zwei. Ich garantiere, das hält sie nicht lange aus.“ Das kann ich mir lebhaft vorstellen; es schüttelt mich bei der Vorstellung, allein in diesem Riesending, nur mit drei Hausangestellten.

„Wenn ihr soviel an diesem Haus liegt, meinetwegen,“ unterstützt Mondheim ihn. „Gegen die Anordnung muss sie zwar erst einmal angehen, aber wenn sie sich tatsächlich aus Holland zurückzieht, könnte sie es kriegen. Ich werde mich jedenfalls nicht ernsthaft darum streiten, sonst müssten wir nämlich dort einziehen, Anne, und mir ist die Wohnung hier tausendmal lieber. Sie soll sich allerdings nicht vertun – wenn sie den weißen Elefanten nimmt, hat sie sonst nicht viel zu erwarten an Vermögensausgleich; zumal wenn sie die Firma in Holland noch verkauft und den Gewinn einsteckt. Und was den Unterhalt betrifft, darf sie zwar gerne eine regelmäßige Einnahmequelle einfach so aufgeben; bloß soll sie nicht glauben, ich würde ihr dann das Geld geben. Würde ich jetzt alles einfach hinschmeißen und nichts mehr verdienen, müsste ich trotzdem Unterhalt zahlen nach den alten Verhältnissen, die die Ehe bestimmt haben. Das gilt umgekehrt für sie auch.“

Plötzlich fängt Grübingen an zu lachen. „Weißt du was, Daniel? Ich habe etwas ganz Furchtbares getan. Heute Abend war irgendeine Feier bei Katharina Larsen; du weißt, die Frau vom Bürgermeister. Natürlich hat Silvia mir unzart angedeutet, sie wolle mich dort nicht sehen – obwohl ich ihr erst die Einladung verschafft habe. Ich bin mit der Larsen zusammen zur Schule gegangen, und wir haben in unseren wilden Jahren einiges miteinander angestellt.“ Ich muss schmunzeln bei der Kombination von Grübingen und wilden Jahren. „Jedenfalls, ich habe deshalb ja nun Katharina absagen müssen. Natürlich hat sie gemerkt, dass mit mir etwas los ist, und hat mich ausgehorcht. Ja, und da habe ich ihr einfach alles erzählt.“

„Alles?“ hakt Mondheim ungläubig nach. „Alles,“ bestätigt Grübingen.

Meine Fresse – ich sehe es direkt vor mir, wie die Klatschpresse anläuft und ihre Eilmeldung ausspuckt.

„Das wird Silvia nicht gefallen,“ bemerkt Mondheim trocken. Nein, ganz sicher nicht. Innerhalb weniger Stunden reduziert werden von einer Frau mit zwei Männern, einem offiziellen Ehemann und einem inoffiziellen Liebhaber, zu einer vom Ehemann verlassenen, die den Liebhaber zum Teufel schickt, um den Mann wiederzuholen – ich glaube, ihre Begeisterung wird sich in Grenzen halten.

Ganz nüchtern ist Grübingen nicht mehr. Das scheint momentan der Zustand des Tages zu sein.

„Weißt du, Daniel,“ sagt er, und seine Stimme ist brüchig, „du warst immer anständig zu mir. Und Silvia ist eine schrecklich kapriziöse Frau. Das hat mich nie gestört; gerade darin liegt ja ein gewisser Reiz. Aber jetzt verrennt sie sich in etwas, das kann ich nicht gutheißen. Ich gebe zu, ich würde sie mit Kusshand wieder nehmen, wenn sie mich zurückruft. Ich kann nun einmal nicht anders, ich bin ihr sozusagen verfallen. Das heißt jedoch nicht, ich mache bei allem mit, was sie sich ausdenkt. Du kannst auf mich zählen, wenn du mich brauchst.“

Soviel Emotion – es ist wohl doch zuviel, erst der völlig überraschende Rausschmiss, der ihn tief getroffen hat, und nun noch der Sekt obendrauf; es wird Zeit, ihn ins Bett zu packen. Das Sofa im Arbeitszimmer müsste es tun für eine Nacht. Rasch mache ich es zurecht. Es ist weiß Gott nicht der Komfort, den er gewohnt ist; aber besser geht es nun einmal nicht.

Als er gut untergebracht ist, sehen wir uns an, Mondheim und ich. „Es tut mir Leid, Anne. Ich hätte dir einen ruhigeren Tagesabschluss gewünscht.“

„Wenn ich zwischen dir und einem ruhigen Leben wählen muss, dann weiß ich, was ich tue,“ antworte ich.

Und eines wusste ich auch schon, bevor ich Mondheim getroffen habe – wenn ich Ruhe nicht in mir selbst finde, dann ist sie nirgendwo.

***

Grübingen scheint sich morgens seiner Überschwänglichkeit vom Vortag ein wenig zu schämen. Immerhin sieht er weit weniger unglücklich aus als am Vorabend. Nach dem Frühstück bricht er auf. Meine Mutter bleibt noch zum Mittagessen, das Mondheim herstellt, mit ihrer Hilfe. Die beiden waren auch zusammen einkaufen. Noch ist also Polen nicht verloren.

Den Vormittag über höre ich mir noch die üblichen Vorträge und Warnungen an, aber auf einmal ist es gar nicht mehr so schlimm. Sie mag mich ja doch, und sie scheint auch Mondheim zu mögen.

Gleiches kann ich von Martina nicht behaupten, die am Nachmittag aufkreuzt, um das neue Domizil zu besichtigen. Sie und Mondheim, das ist Feindschaft auf den ersten Blick. Fragen Sie mich nicht – ich kann es nicht erklären. Eigentlich müssten die zwei sich super verstehen, sind sie doch beides Menschen, die den Beruf für überaus wichtig halten und sich darin hervorragend beweisen. Ich hätte eher erwartet, dass sie sich gegen meine haarsträubende Unbekümmertheit in dieser Hinsicht verbünden.

Mondheim lässt uns nach kurzer Zeit allein, und ich bin ihm dankbar, dass er nichts sagt, als sie sich nach zwei Stunden wieder verabschiedet hat.

Langsam geht es mir aber wirklich auf die Nerven, mich mit soviel beschäftigen zu müssen, wo doch morgen der große Tag ist, auf den ich mich gerne ohne Hektik einstimmen würde. Seltsam, wie selbst so immens wichtige Dinge im Strom anderer Ereignisse unterzugehen drohen.

Abends hätten wir die Ruhe – doch da schlafe ich auf dem Sofa ein, während Mondheim telefoniert, und er muss mich ins Bett tragen.

Und dann ist es schon Sonntag.

Das Ganze beginnt um drei, und zwar nicht in dem Haus, das ich bereits kenne, sondern woanders. Wo auch immer; noch darf ich das nicht wissen.

Viel anzufangen ist mit mir nicht, bis wir noch vor zwei aufbrechen. Der geheimnisvolle Ort scheint etwas weiter weg zu sein.

Nicht nur ich habe mein Gepäck, auch Mondheim hat ein plastikverpacktes Etwas ins Auto getragen. Nur ist seine Schutzhülle leider nicht durchsichtig, und dass ich nicht fragen sollte, was es ist, ist selbst meiner Neugier klar.

Viele scheinen uns nicht zuvorgekommen zu sein, als wir eintreffen, aber noch geht es ja auch gar nicht richtig los.

Jakob empfängt uns, und gemeinsam begleiten die beiden mich in ein Bad, das eher wie eine kleine Schwimmhalle wirkt, mit der riesigen runden Wanne, im Fußboden eingelassen. Zwei Frauen warten dort bereits auf mich. Die eine trägt ein Zofenkleid, die andere nichts als einen BH, wenn man es so nennen kann, aus Ketten über den Brüsten und unglaublich hohe High Heels. Nachdem mein Kleid und ich abgegeben worden sind, werde ich ausgezogen und in warmes Wasser gesteckt.

Der Service hat etwas für sich – ich muss keinen Finger rühren. Danach werde ich rasiert. Aber nicht, was Sie denken; im Intimbereich ist das nicht ohne Zustimmung des Mentors möglich, und meiner hat widersprochen. Glücklicherweise; gerade im Sommer habe ich keine Lust, mich mit den kratzigen, juckenden Allergiereaktionen einer solchen Maßnahme herumzuschlagen. So sind es nur die Achselhöhlen und die Beine. Danach werde ich eingeölt und rieche längst wie eine ganze Drogerieabteilung, noch bevor ein wenig Parfum das Ganze vollendet. Eigentlich müsste es ja das Sabatini-Zeug Devotion sein, das man mir hinter die Ohren, auf die Brüste und an die Handgelenke tupft, damit es auch passt, aber mir war dann doch Tendre Poison lieber, und Mondheim meinte auch, schon der Name passe viel besser zu mir. Mistkerl!

Meine Haare werden trocken gefönt und hochgesteckt. Wie gut, dass ich sie seit etwa zwei Jahren wachsen lasse, wo ich mit Bubikopf herumgelaufen bin. Inzwischen sind sie wieder über schulterlang. Trotzdem lösen sich sofort ein paar Strähnen, die die Zofe mir per Lockenstab zu Korkenziehern dreht. Nicht ganz mein Geschmack, aber wenn sie meint.

Nun das Kleid und die Schuhe. So müssen sich früher die Schlossherrinnen gefühlt haben; alles übernehmen die beiden Damen, und ich stehe da wie eine reglose Anziehpuppe.

Natürlich habe ich es in der Hetze der Woche nicht geschafft, das Laufen in den hohen Absätzen zu üben, aber die spürbare Eleganz des Kleides und die Aufregung der Situation sorgen dafür, dass ich ohnehin sehr gerade, sehr aufrecht, und sehr langsam gehe; das wird hoffentlich allzu viel Stolpern verhindern.

Die Zofe wirft einen kritischen Blick auf die große Wanduhr über dem Klo. Gleich vier schon; wie schnell die Zeit verfliegt!

Mein Make-up übernehme ich selbst; ich halte nichts davon, wenn mir ein Fremder mit dem Mascara-Dolch vor den Augen herumfuchtelt. Die paar Routine-Handgriffe sind das einzige, was mich an meinen Alltag erinnert.

Exakt um vier klopft es an der Tür.

Die Zofe öffnet und übergibt mich drei maskierten Männern in schwarz. Sie verbeugen sich vor mir, und während dann der erste voranschreitet, nehmen die beiden anderen mich in die Mitte. Es geht bis zu einer Treppe, vor der mir mit einer Handbewegung Halt geboten wird. Der Voranschreiter – ich kann nicht einmal ahnen, ob ich ihn kenne, denn es wird nicht gesprochen – zieht einen schwarzen Schal aus der Tasche und legt ihn mir um die Augen. Es ist ein grober Stoff, der kein Licht durchlässt und verhindert, dass ich auch nur unter mir die Stufen sehen kann, die man mich anschließend heraufführt.

Oben dreht man mich nach links, und wir schreiten etwas entlang, das ein Korridor sein muss. Endlos lange. Um mich herum summt Stille.

Wieder halten wir an, eine Tür öffnet sich. Noch ein paar Schritte, mitten hinein in Wärme und einen rauchigen Geruch wie von Kerzen. Ich spüre die Anwesenheit von anderen Menschen um mich herum, ich höre Atmen, ein Räuspern.

Ich stocke, doch die Hände rechts und links an meinen Armen bedeuten mir, weiterzugehen, immer weiter. Irgendwann stoppen sie mich, legen sich auf meine Schultern, drücken mich nach unten. Gehorsam gehe ich auf die Knie, senke den Kopf und verharre unbeweglich. Noch immer wird kein Wort gesprochen.

Zuerst nehme ich nur mich selbst und mein klopfendes Herz wahr. Erst nach und nach öffnet mein Bewusstsein sich für meine Umgebung. Stoffe rauschen, so wie auch der Rock meines Kleides beim Gehen rauscht.

Fingerspitzen berühren sanft meine Wange. Daniel.

„Wir grüßen dich, Anne,“ lässt mich auf einmal eine Stimme zusammenzucken, in der ich die von Jakob erkenne. „Du hast die erste Prüfung bestanden , und auch die zweite. Nun werde ich deinen zukünftigen Mentor fragen, wie es mit der dritten steht. Daniel, ich befrage dich, hat Anne den dritten Test bestanden?“ „Ja,“ antwortet Mondheim, deutlich und klar. Lügner! Der dritte Test war ja wohl der Anruf von Jakob am Freitag, und in dem habe ich ganz eindeutig versagt.

„Bist du bereit, Daniel Mondheim,“ fährt Jakob fort, „Anne als deinen Schützling anzunehmen, ihr Mentor zu sein und sie die nächsten drei Monate zu begleiten? Bist du bereit, für ihr Verhalten und ihre Loyalität dem Zirkel gegenüber zu bürgen und mit deinem eigenen Namen und deinem Ruf für sie einzustehen?“

„Ich bin bereit,“ sagt Mondheim.

„Und bist du, Anne, bereit, dich uns anzuschließen,“ wendet Jakob sich nun an mich, „unsere Regeln zu achten, dich einzufügen und nach außen hin unseren Kreis zu schützen, koste es, was es wolle?“

„Ich bin bereit,“ antworte ich wie Mondheim, doch meine Stimme zittert.

Die nächste Frage. „Bist du weiter bereit, dich deinem Mentor zu unterwerfen, dich von ihm führen zu lassen und ihm in allem zu folgen, was er von dir verlangt?“

Diesmal spreche ich fester, sicherer. „Ich bin bereit.“

Es klingt alles ein wenig nach „bis dass der Tod euch scheide“, aber selbst meine große Klappe versagt in einer solchen Situation.

„Anne, steh auf,“ sagt nun Mondheim. Ich erhebe mich, schwanke ein wenig, es ist so warm hier, oder kommt mir das nur so vor? Er stützt mich, drückt mich einen Augenblick an sich, und dreht mich dann an meinen Schultern, bis ich mit dem Rücken zu ihm stehe, und mit dem Gesicht in die Richtung, in der ich die anderen vermute.

Seine Hände lösen den Knoten der Augenbinde, nehmen sie ab.

Unwillkürlich ziehe ich die Luft ein. Der Raum ist völlig verdunkelt und nur von dem Schein unzähliger Kerzen erhellt, die auf Tischen an den Wänden verteilt stehen und direkt vor mir einen Weg bilden, den ich vorhin entlanggegangen bin. Riesige Schatten spielen an der Wand.

Viele, viele Köpfe sehe ich im Raum, doch ich kann keine Einzelheiten unterscheiden, alle tragen Masken wie die drei, die mich abgeholt haben, und ihre Körper sind verborgen unter langen schwarzen Umhängen, an denen bei mancher Bewegung glänzendes Rot durchschimmert und den Kerzenschein widerspiegelt.

Neben mir ist Bewegung, der ich mit den Augen folge. Jakob greift nach hinten, wo ein Tisch steht, mit einem schwarzen Tuch bedeckt, auf das flackernde Kerzen Irrlichter werfen.

Er kehrt an meine Seite zurück, die Arme ausgestreckt, und in den Händen hält er meine Reitgerte.

Ich weiß, was ich zu tun habe.

Ich nehme sie, und beginne vorsichtig, mit unsicheren Schritten, meinen lichterumsäumten Weg zurück zur Tür. Dort wende ich mich um, und nun geht es langsam wieder zurück, immer einen Fuß vor den anderen, dann die Drehung erst zur linken Seite, danach zur rechten. Einer nach dem anderen löst sich aus der dunklen Masse, überschreitet die Lichtergrenze, die mich von ihm trennt, kommt zu mir und berührt die Reitgerte, die ich auf den nach oben gewandten Händen trage. Manche sagen nur meinen Namen, andere ein Wort der Begrüßung. Ein paar Frauen sind dazwischen, aber nur an den Stimmen kann ich das erkennen, denn auch sie tragen die Maske und den Umhang.

Irgendwann ist da Maibaum. „Ich freue mich, Anne,“ sagt er, und auf einmal kann auch ich mich über seine Anwesenheit freuen. Viel später umarmt mich Lange, nachdem er die Gerte angefasst und meinen Namen gemurmelt hat.

Immer näher komme ich Mondheim und Jakob. Jakob ist der letzte, der das Ritual vollzieht, mich danach auf beide Wangen küsst.

Endlich stehe ich vor ihm, vor meinem Gebieter. Daniel. Daniel Mondheim.

Ein stummer Schrei weitet meinen Brustkorb und hinter meinen Augenlidern brennt es, als ich die Knie vor ihm beuge, meine Stirn zum Boden neige, mich dann halb wieder aufrichte und ihm die Hände entgegenstrecke, auf der die Reitgerte ruht, die jeder einzelne der hier Anwesenden mit einer Geste – geweiht, ja, geweiht hat.

Er nimmt sie entgegen, und er nimmt dabei all das, wofür sie steht, diese Gerte; nur ein Stück Leder, aber auch ein Versprechen, eines von mir an den Zirkel, eines von jedem einzelnen Mitglied hier im Kreis mir gegenüber, und eines von mir für ihn.

Auf einmal sind die drei Maskierten vom Anfang wieder da, erkennbar nur am Fehlen der Umhänge. Gemeinsam geleiten sie Jakob, Mondheim und mich ins Nebenzimmer, in eine ebensolche durch Kerzen erhellten Dunkelheit, wie wir sie gerade verlassen haben. Ein Andreaskreuz wartet hier auf mich, mitten im Raum. Hartes Holz, an das sich vor mir die Körper all derer gepresst haben, die mich vorhin in ihrem Kreis begrüßten.

Unvermittelt ist leise Musik zu hören, ohne dass ich deren Quelle ausmachen kann. Believe, von Elton John. I believe in love.

Mondheim öffnet den Reißverschluss an der Seite, streift mir das Kleid ab. Instinktiv schütze ich meine Brüste mit den Händen, doch sanft zieht er meine Arme beiseite.

Ich trete vor das Kreuz. Er fesselt mich.

Ich bin völlig verkrampft. 90 Schläge stehen mir bevor; einer für jeden Tag, den ich unter seiner Mentorenschaft verbringen werde. Ich habe Angst; oh Gott, und was für eine Angst, und ich möchte doch zu jedem Tag, jedem Hieb vollen Herzens ja sagen können.

Der Anfang ist leicht; ein Aufwärmen nur, bis Jakob, der alles überwacht und das Zählen übernimmt, bei 13 angekommen ist. Schon der nächste Schlag wird fester, aber ich spüre nur eine seltsame Wärme und einen schneidenden Schauer, der in meinem Bauch geboren wird und sich von dort aus meinen gesamten Körper erobert. 20, 25. Es schüttelt mich, es ist, als löse sich meine Seele von meinem Körper, der mit dem brennenden Schmerz zurückbleibt und der immer intensiver werdenden, immer tiefer reichenden Erleichterung zwischen den einzelnen Hieben.

30. Eine kurze Pause; Mondheims Hand streicht über meinen Rücken. Meine Seele kehrt zurück für diese Zärtlichkeit, doch schon das nächste Zischen der Gerte vertreibt sie wieder, erst bis an den Rand meines Kopfes, wo sie sich noch eine Weile festklammert, und dann fliegt sie davon, in einem Rausch der Empfindungen, die mich alles vergessen machen.

Ich fühle mich ganz weich und warm und weit, und in der Weite umhüllt von der Stärke Mondheims, der meinen Körper beherrscht und dadurch meine Seele in Händen hält. Ich wehre mich nicht mehr, ich gebe mich hin, verliere mich in dem scharfen Auftreffen des Leders, dem monotonen Zählen irgendwo neben mir, dem Bewusstsein, dass mir nichts geschehen kann, weil er da ist, Daniel.

55, 60. Erneut eine Pause; seine Lippen wandern über meine Schulterblätter, meinen Hals. Ich neige den Kopf nach hinten, ihm entgegen. „Ich liebe dich,“ flüstert er. Ich ströme über, und als er weitermacht, kann ich die Zahlen nicht mehr hören, sie gehen unter in einem strahlenden weißen Licht, in dem rote Blitze zucken.

Plötzlich endet alles, und einem verglühenden Feuerwerk gleich zerspringt meine Seele in tausend Stücke, die zuckend sinken, stürzen, fallen, fallen, nach unten, immer weiter, und schließlich direkt in die Wärme von Daniels Armen, der mich befreit und mich festhält, mich an sich presst, dass ich selbst in der Verwirrung des Erwachens seine Erregung spüren kann.

Schritte sind zu hören; die anderen verlassen den Raum.

Ich weiß nicht, wie lange wir miteinander allein sind. Wie aus endloser Meerestiefe tauche ich auf, langsam, mühsam, zitternd.


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