Spiele unter dem Tisch

13. September 2013

Ich lege die Handflächen um sein Gesicht, ziehe ihn hoch, auf mich. „Danke,“ flüstere ich. „Wofür?“ fragt er. „Für die Kugeln – oder dafür, dass ich diese kleinen dunklen eifersüchtigen Wolken vertrieben habe?“

Er hat es mitbekommen; um Himmelswillen – er hat es gemerkt, wie beschränkt ich bin, wie kleinlich, wie selbstsüchtig. Ich schäme mich.

Wie kann man nur so blöde sein, die erste Frau für einen Menschen sein zu wollen, der seit gut 35 Jahren unterwegs ist in Sachen Liebe? Selbst ich mit meinen 20 Jahren weniger habe genügend im Kasten, um noch den selbstlosesten Anbeter damit zur eifersüchtigen Verzweiflung zu treiben; wie soll das dann erst bei Mondheim aussehen?

„Bitte verzeihen Sie mir,“ murmele ich. „Ich weiß, es ist dumm. Ich versuche, dagegen anzugehen.“ Er streicht mit dem Daumen über meine Wange. „Das musst du nicht. Ich will nicht, dass du etwas vor mir verbirgst; was auch immer es ist. Aber damit wir das einmal geklärt haben: Ich bin kein Enthaltsamkeitsfanatiker. Es gab – einige andere Frauen vor dir, nicht nur meine. Aber vielleicht beruhigt es dich zu hören – mein letztes Erlebnis liegt viele Monate zurück. Es war ein Fehler, und ich wusste das auch, aber ich konnte mich dann doch nicht beherrschen. Es ärgert mich selbst, und ich habe mehr Glück als Verstand gehabt, dass es keine Folgen hatte. Es war etwas nur für eine Nacht, oder vielmehr für ein paar Nächte, und das war von beiden aus auch so gedacht. Davor war lange Zeit nichts; eine sehr lange Zeit. Und meine letzte dominant-devote Beziehung, die liegt Jahre zurück. Ich war weiß Gott kein Mönch, aber auch kein Don Juan. Ich habe meine Erfahrungen gemacht, ich habe es genossen, aber in den letzten Jahren bin ich ruhiger geworden. Anspruchsvoller. Was ist schon Sex? Und das ist doch das einzige, was man an jeder Ecke kriegen kann. Ich habe nicht einmal nach mehr gesucht; ich habe mich mehr oder weniger damit beschieden, dass es das vielleicht so gar nicht gibt, wie ich es haben will.“

Er richtet sich auf, lacht. „Ja, und dann ist Anne Senreis in mein Leben getreten, und vorbei war es mit der abgeklärten Gelassenheit.“

Ich erhebe mich, falle ihm um den Hals, wirbele ihn herum. Aus irgendeinem Grund sind meine Augen feucht, aber es ist keine Trauer. Oh nein. „Danke. Danke, danke!“

Noch bevor seine Finger zwischen meinen Beinen tasten, wo ich so nackt bin, so ungeschützt, so – verfügbar, spüre ich die Folgen heftiger Bewegungen an der schwingenden Schwere in meinem Unterleib. Und den kurzen Augenblick der Unsicherheit, ob das schwere Metall bleiben wird, wo es ist. Nein, wie sollte es herausrutschen können? Tampons halten ja schließlich auch.

„Ich glaube, wir sollten aufbrechen,“ mahne ich. „Wer weiß, wann wir sonst wegkommen.“

„Brauchst du noch etwas von hier? Oder sollen wir heute bei dir bleiben?“ „Was ist Ihnen denn lieber?“ „Nimmst du es mir übel, wenn ich sage, lieber bei mir? Ich weiß, du fühlst dich dort nicht ganz wohl; und, um ehrlich zu sein, meinetwegen könnten drei Viertel des Hauses auch einfach verschwinden, das wäre immer noch genug.“

Seine Entscheidung wundert mich nicht. Mir gefällt sein kleines Reich im ersten Stock auch weit besser als meine Wohnung. Komisch – früher habe ich mich hier immer zu Hause gefühlt. Früher war das mein Reich, aus dem ich nicht hinauswollte.

Eigentlich sollte es ja keine Rolle spielen, wo wir uns aufhalten, solange wir zusammen sind. Aber, merkwürdigerweise, das tut es doch. Ich bin lieber bei ihm.

Ja, klasse; das ist eine Angewohnheit, die ich ganz schnell wieder ablegen sollte. In anderthalb Wochen ist das nämlich Tabugebiet für mich. Gerade deshalb will ich es aber jetzt genießen.

Vernünftig oder nicht, so ist das nun einmal.

***

Donath ist bereits da, als wir eintreffen, und auf einmal erinnere ich mich auch an sein Gesicht. Er ist sehr höflich, aber ausgesprochen schweigsam, und so bin ich beinahe froh, sehr bald Lahning zu sehen. „Ah, unsere wunderschöne Vorleserin,“ sagt er, und küsst mir galant die Hand.

Mondheims Blick während dieser kleinen Zeremonie geht mir durch Mark und Bein. Es ist eine Mischung aus Eifersucht und Besitzerstolz, und ein paar andere Emotionen sind auch noch mit dabei. Ich könnte aufschreien vor Hunger nach seiner Berührung, und doch hat es seinen ganz speziellen Reiz, ihm in Gegenwart anderer nahe zu sein, ohne ihm näher kommen zu können. So viele kleine Fäden sind es, die uns miteinander verbinden, und nicht alle sind so offen sichtbar wie sein Band, das ich trage. Die meisten sind aus Nylon. Nahezu unsichtbar, sehr dünn – und unzerreißbar.

Apropos Faden – ich muss mich ein wenig auf meinem Stuhl zurechtrücken. Es ist ungewohnt, ohne etwas darunter oder vielmehr dann doch mit etwas darunter, nur etwas anderem, unterwegs zu sein.

Mondheim bestellt ganz selbstverständlich für mich mit, vergewissert sich nur kurz per Augenkontakt, ob mir das recht ist. Und wie. Nicht dass ich nachher noch ein französisches Gericht falsch ausspreche oder aus Versehen Pommes mit Ketchup ordere. Verstehen Sie mich nicht falsch – natürlich ist meine Erziehung einigermaßen. Aber es gibt Dinge, die lernt man nur in den jeweiligen Kreisen, zu denen sie gehören. In meiner Lieblingspizzeria habe ich Heimvorteil; hier ganz eindeutig nicht.

An dem allgemeinen Geplänkel zu Beginn der Unterhaltung möchte ich mich eigentlich nicht beteiligen, lieber nur Mondheim beobachten, aber Lahning zieht mich unaufhaltsam mit ins Gespräch. „Wie gefällt Ihnen eigentlich Ihre neue Aufgabe?“ fragt er schließlich. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie konkret er darüber Bescheid weiß; sicherheitshalber werde ich mich ein wenig bedeckt halten. „Ich bin absolut begeistert,“ erwidere ich. „Es ist – genau das, wovon ich immer geträumt habe. Es fordert mich, und ich kann alles einsetzen, was ich kann. Momentan sitze ich ja erst an dem Internetportal – aber ich freue mich auch schon auf die Arbeit am Printmagazin.“ „Sind Sie wohl froh, dass Sie nicht für Deinar arbeiten müssen?“ bemerkt er vertraulich. „In der Tat,“ nicke ich. „Ja,“ fährt Lahning fort, „ich habe ihn noch nie gemocht, aber in der letzten Zeit hat dieser Herr ja Seiten gezeigt, die selbst ich ihm nicht zugetraut hätte.“

Mondheim und er wechseln einen Blick. „Ich denke, das Problem werden wir nicht mehr lange haben,“ sagt Mondheim. „So sieht es aus, ja,“ mischt sich nun Donath ein, überraschend lebhaft. „Ich habe mit meinem Bruder gesprochen, es ist bereits alles in die Wege geleitet. Wahrscheinlich schon morgen wird dieser Deinar seinen Anruf bekommen.“

Ich verstehe nur Bahnhof.

„Eine bayrische Firma zeigt ganz plötzlich Interesse an diesem fähigen jungen Mitarbeiter aus dem kühlen Norden,“ erklärt Mondheim; mehr mir als den anderen beiden, denn auch Lahning weiß ersichtlich schon Bescheid. „Sehr großes Interesse sogar. Die Arbeit ist spannend – ein ins Trudeln geratenes Printmagazin soll völlig neu wieder hochgezogen werden. Das Gehalt entspricht der Schwierigkeit dieser Aufgabe, die Kompetenzen wären fast unbegrenzt. Und das alles erstaunlicherweise in einer Stadt ganz in der Nähe der Heimat seiner geschiedenen Frau. Ich müsste mich sehr täuschen, wenn er da nicht mit beiden Händen zugreifen würde.“

„Schade nur,“ grinst Donath, „dass man beim Vorstellungsgespräch wahrscheinlich vergessen wird, ihn über eine ganz wesentliche Tatsache aufzuklären. Gelingt es ihm nicht, das Blatt im Laufe der nächsten Monate wieder auf die Beine zu stellen, dreht der Inhaber den Geldhahn zu. Und wenn er erfolgreich ist, tritt in einem halben Jahr der Sohn eben jenes Inhabers ein und befördert Deinar an die Stelle des zweiten Geigers.“ Er lacht; ein meckerndes Lachen, bei dem sich mir die Haare am Unterarm aufstellen. Sieh an, sieh an, der ruhige Herr Uniprofessor ist also auch ein heimlicher Sadist.

Innerlich ziehe ich den Hut; ein netter Plan.

Auch Lahning lacht. „Hoffen wir nur, dass er sich bei der Sache ordentlich auf den Hosenboden setzt. Die Eskapade jetzt, die vergesse ich ihm so schnell nicht. Bei Ihnen hat man sich bestimmt auch schon gemeldet, Mondheim?“

Mondheim bejaht. „Erhard persönlich hat mich angerufen. Zum Glück nimmt er alles auf die leichte Schulter. Er hat mir nur mitgeteilt, dass schon wieder einer die ollen Kamellen ausgegraben hat, die ihnen schon mehrfach zugetragen worden sind, und dass er die Sache gleich an sich gezogen hat. Natürlich muss er ein wenig nachforschen, ich muss ein paar Unterlagen einreichen, morgen bin ich bei ihm, und dann wird hoffentlich die Akte wieder geschlossen. Und bei Ihnen, Lahning?“

Soll das heißen, Deinar war bereits bei der Kripo? Offensichtlich. Dann war mein SMS ja völlig überflüssig.

„Ich habe gleich Gegenanzeige erstattet,“ berichtet Lahning, „so wie Sie ja sicher auch. Allerdings reicht das, was er denen erzählt hat, noch nicht einmal für Ermittlungen aus. Ich soll nächste Woche mal auf der Dienststelle vorbeikommen, meine Aussage als Zeuge machen, und dann ist das wahrscheinlich auch erledigt. Haben Sie die Kündigung schon vorbereitet?“

„Ich warte erst, wie sich das mit Bayern entwickelt,“ entgegnet Mondheim. „Wenn ich ihn raussetze, geht er womöglich vors Arbeitsgericht, und dann könnte es teuer werden und wirbelt auch viel zu viel Staub auf. Mir wäre es lieber, er kündigt selbst. Mit dem Vertragsende und so weiter komme ich ihm dann gerne großzügig entgegen.“

Hier geschieht genau das, worauf Deinar mich vorbereitet hatte; da lässt man persönliche Beziehungen spielen, um einen anderen Menschen aus dem Feld zu räumen. Notfalls zu vernichten. Und ich kann es nicht einmal schlimm finden.

Und hätte im übrigen auch nicht das geringste Recht dazu. Ich habe mit Deinar am Dienstag Abend ebenso Katz und Maus gespielt wie die drei Herren jetzt. Im Rahmen meiner Möglichkeiten, und die sind nun einmal sehr viel eingeschränkter. Hätte ich mehr Macht, ich würde sie ebenfalls einsetzen, um Mondheim aus dem Mist herauszuhelfen, den Deinar ihm vor die Tür gekippt hat.

Trotzdem ist mir ein wenig mulmig zumute. Ob auch Otto Normalverbraucher mit weniger Einfluss so schnell und sauber wieder eine reine Weste hat, wenn ihn ein hasserfüllter Nachbar anzeigt, ein Kollege oder wer auch immer? Wer ist bloß dieser Erhard? Bestimmt kein normaler Kripobeamter.

„Aber kommen wir zu etwas Erfreulicherem,“ leitet Mondheim nun über. „Sie haben im Verlag meinen Vorschlag unterbreitet, Donath?“ „Wie ich schon sagte,“ nickt der, „man ist überaus geneigt, ihm zu folgen. Gorig lässt fragen, ob es Ihnen möglich sein wird, ihn im Laufe der nächsten oder übernächsten Woche persönlich aufzusuchen.“ Dann wendet er sich mir zu. „Die Einladung bezieht sich natürlich auch auf Sie, Frau Senreis.“

Wie? Was? Eine Geschäftsreise? Mit Mondheim zusammen? Hurra!

Hoffentlich ist der Verlag ganz weit weg. „Wir werden übernachten müssen,“ überlegt Mondheim laut, als hätte er meinen Wunsch gehört. „Bamberg hin und zurück an einem Tag, das ist kaum machbar.“ Es wird immer besser. „Kein Problem,“ versichert Donath. „Meine Schwägerin besorgt Ihnen Zimmer in dem Hotel, in dem sie arbeitet. Ich kann es nur empfehlen. Rufen Sie mich einfach an, ich regele das dann schon.“

Schön, wie sich alle Wege wie von selbst glätten, sobald man die richtigen Leute kennt. Nur, was mache ich hier in diesem Kreis der richtigen Leute?

Ja, schauen Sie ruhig skeptisch. Natürlich bin ich nur Mondheims Anhängsel, und nur als solches geduldet oder gar willkommen, so scheinbar kameradschaftlich man auch mit mir persönlich umgeht. Ist aber doch besser so, als gar nicht in den Genuss der so angenehm verschwindenden tagtäglichen Hindernissteine zu gelangen.

Ich bin Alice im Wunderland; in einer verkehrten Welt. Bloß, eigentlich ist das ja wohl die richtige.

Ob Donath aus Bayern stammt, wo er so viele Verbindungen dorthin hat? Er spricht völlig dialektfrei, deshalb kann ich mir das kaum vorstellen. Obwohl, er rollt das „r“ so niedlich – vielleicht ist er tatsächlich ein Franke.

Das Essen kommt. Mir ist das Glas Weißwein vorher schon ein wenig zu Kopf gestiegen, deshalb steige ich um; ganz pervers auf Apfelsaft. Mondheim trinkt Wasser, ebenso Donath, aber Lahning ist schon bei seinem dritten Glas Wein. Ob der sich ebenso schwindelig fühlt wie ich?

Beim Essen geht es hin und her mit lauter Dingen, die mir selbst dort, wo sie mir nicht fremd sind, glücklicherweise keine Kommentare abnötigen.

Auf einmal spüre ich unter dem Tisch eine leichte Bewegung, und dann legen sich zwei Finger auf mein Knie, schieben den Rock nach oben. Mir fällt beinahe die Gabel aus der Hand.

Es geht doch nichts über lange Tischtücher. Mein innerer Aufruhr ist trotz der Sicherheit, dass niemand etwas sehen kann, groß genug. Immer weiter nach oben wandern die beiden Finger. Vorsichtig rücke ich meinen Stuhl ein wenig näher zum Tisch und an Mondheims Stuhl und werde mit einem Ausflug zur Innenseite meiner Schenkel belohnt. Ich verkrampfe mich, und prompt melden die beiden Metallkugeln verstärkt ihre Anwesenheit. Himmel, was soll ich nur machen? Wenn Mondheim so weitermacht, verliere ich noch die Beherrschung. Und er spricht so ruhig, als sei überhaupt nichts.

„Anne, du bist so still,“ sagt er plötzlich, während sich seine Fingernägel in das empfindliche Fleisch graben. „Ich hoffe, wir langweilen dich nicht?“

Dieser hinterlistige Mistkerl!

„Oh nein, überhaupt nicht,“ versuche ich mich an herzlicher Gelassenheit. „Ich war nur ein wenig versunken in Erinnerungen an meine eigene Studienzeit, angesichts der faszinierenden Schilderungen von Professor Donath.“

„Wo haben Sie studiert?“ reagiert der wie auf Stichwort. Die Fingernägel setzen ihr Werk sanfter, aber nicht weniger effektvoll fort. Meine Schenkel, mein ganzer Unterleib zittern wie im Fieberschauer, und jedes neue Zittern ruft mir wieder die Kugeln ins Gedächtnis. Wenn das so weitergeht, hinterlasse ich auf meinem Stuhl einen großen nassen Fleck.

„In Heidelberg,“ antworte ich. Hoffentlich ist ihm diese Kurzantwort genug; meine Selbstdisziplin reicht nicht für mehr.

„Ja,“ schwärmt er. „Eine wunderbare Stadt! Ich hatte dort auch einmal ein paar Gastvorlesungen. Aber das war in den Achtzigern und damit lange vor Ihrer Zeit.“ „So lange auch nicht,“ werfe ich höflichkeitshalber ein. „Nur wenige Jahre. Schade, dass ich es versäumt habe!“ „Sie schmeicheln mir,“ wehrt er ab. „Ach, ich liebe die Altstadt. Inzwischen soll es ja längst nicht mehr so schön sein. Obwohl, Touristen gab es auch früher schon genug. Irgendwo gibt es doch da einen Laden, wo man Hunderte von Biersorten probieren kann, nicht wahr?“

Ich nicke. Ja, ich glaube mich erinnern zu können. Keine Ahnung, wie das Teil hieß oder heißt.

Donath ist gar nicht zu bremsen. „Und die Untere Straße, eine solche nahezu dekadente Romantik, unvorstellbar! Vom Schloss gar nicht erst zu reden, oder dem Philosophenweg.“

Ich sehe schon, ich habe ihm den richtigen Einsatz geliefert. Mondheim scheint zufrieden mit mir zu sein, wenn ich bedenke, wo seine vorwitzigen Finger inzwischen angekommen sind.

Es stellt sich heraus, dass ich ein paar der Professoren kenne, mit denen Donath zu tun hatte. Leider kann ich seine Neugier in Bezug deren weitere Entwicklung kaum befriedigen. Dass einer von denen sich jedes Jahr eine neue Studentin zum Besteigen aussucht, ein anderer zu meiner Zeit mit dem Gerücht leben musste, er sei schwul, wird ihn kaum interessieren. Oder vielleicht doch – aber das ist dennoch kein passendes Gesprächsthema.

Und jetzt, Kinnings, es tut mir Leid, aber ich muss aufs Klo. Dringend. Ich entschuldige mich hastig, bedauere sehr, dass ich Mondheims Hand nicht mitnehmen kann, und verschwinde. Wieso sind die Klos eigentlich so oft einen Stock tiefer? Die wollen wohl unbedingt, dass man sich den Hals bricht.

Kritisch betrachte ich mein Spiegelbild. Wer mich sieht, könnte glauben, ich hätte weit mehr als ein Glas Wein genossen. Woher bloß diese Röte kommt? Ich schmeiße mir kaltes Wasser ins Gesicht, pudere nach dem Abtrocknen nach. Schon etwas besser, das Ergebnis.

Peinlich nur, dass allein der Rückweg mir einiges antut, was die wohltuende Wirkung des kalten Wassers umgehend wieder beseitigt. Was für ein Glück, dass die alle nicht wissen, was ich unter meinem Kleid trage, das so schön dezent und brav und hochgeschlossen ist. Wir sind hier in einem vornehmen Restaurant; man wird nicht angestarrt. Die Blicke folgen einem nicht offen; nur verstohlen.

Mit dem kleinen Geheimnis in mir drin, oder vielmehr den beiden miteinander verbundenen Geheimnissen ist der Weg zurück zum Tisch so ein ganz schönes Spießrutenlaufen.

Hoffentlich brechen wir bald auf, bevor ich mich irgendwie völlig daneben benehme.

Gott sei Dank – ja, die Herren streiten sich bereits darum, wer bezahlt. Am Ende ist es Mondheims Kreditkarte, die in der Serviette verschwindet, weil er einfach schneller ist.

Was die drei wohl sagen würden, wenn ich mich gemeldet und darauf bestanden hätte, die Zeche zu übernehmen? Na, Mondheim hätte sich bestimmt amüsiert.

Er hilft mir in den Mantel. Es dauert mehrere Augenblicke länger als nötig.

Draußen stellen wir fest, es regnet inzwischen, so fällt der Abschied etwas hastig aus. Hauptsache, er fällt überhaupt.

„Wie fühlst du dich?“ fragt Mondheim, als wir im Wagen angekommen sind. (Interessiert es Sie eigentlich, was er für ein Auto fährt? Nein; keinen Porsche. Keinen BMW. Einen Jaguar. In einem dunklen Metallicblau. Zufrieden?)

Wie ich mich fühle? Momentan jedenfalls überhaupt nicht hingebungsvoll-sanft. „Ich bin so was von scharf auf dich, mein lieber Daniel, dass du nur beten kannst, unbehelligt nach Hause zu kommen!“ Meine allerdings absolut ehrlich gemeinte Gossenanmache bringt ihn zum Lachen.

Ich liebe es, wenn er lacht.

Vielleicht ist mir doch ein wenig hingebungsvoll zumute …

***

Der Freitag Morgen sieht mich zunächst, in Begleitung von Mondheim, bei Teermann, der sich äußerst zufrieden mit den Heilungsfortschritten zeigt und meinen Rücken aus seinem weißen Gefängnis befreit. Mit dieser irritierenden Verbrüderungsmanie, die Männer manchmal Frauen gegenüber an den Tag legen, gibt Teermann nicht mir, sondern Mondheim den Rat, mich am Wochenende weitgehend oben ohne herumlaufen zu lassen. Was ihm einen bösen Blick von mir einträgt. Zu seiner Ehrenrettung muss ich sagen, dass Mondheim nicht mitlacht.

Danach wird es so hektisch, dass ich zehn Minuten zu spät im Vegetarier-Café eintreffe. Evelyn ist allerdings noch nicht da, also macht das nichts. Weitere zehn Minuten später stürmt sie herein, flirtet erst einmal kräftig mit dem Studenten, der für unseren Tisch zuständig ist. „Was findest du nur an diesen unreifen jungen Männern?“ ziehe ich sie auf. „Die sind doch noch grün hinter den Ohren und haben von nichts eine Ahnung. „Schau dir doch nur mal seinen knackigen Hintern an!“ schwärmt sie, und pariert dann mit: „Aber du stehst ja jetzt mehr auf reifere Jahrgänge, nicht wahr?“

Noch bevor ich zustimmen kann, drängt sie. „Und jetzt erzähl!“

„Da gibt es nicht viel zu erzählen,“ wehre ich ab.

„Meine Güte, du wirst dich doch wohl nicht mit mir getroffen haben, um jetzt die schweigende Sphinx zu spielen,“ empört sie sich. „Das letzte, was ich von dir gehört habe, ist ein Bedauern darüber, dass mit Deinar wohl nichts laufen wird.“ „Na, ich sehe doch an dir, dass es kein Problem ist, sich den nächsten Mann zu angeln, wenn es mit dem einen nicht klappt,“ erwidere ich.

Aber dann lasse ich mich doch erweichen. „Gemocht habe ich Mondheim ja gleich.“ „Und ob,“ unterbricht sie mich. „Weißt du noch, ich habe dir vor ein paar Wochen schon einmal gesagt, der scheint dich ja ziemlich zu interessieren, nur hast du dann gemeint, es sei nichts daran.“ Ach ja? Daran kann ich mich gar nicht erinnern. Nun, wenn sie meint …

Leider kann ich ihr von dem Zirkel nichts erzählen – das würde ja manches deutlich machen. Muss ich es eben anders versuchen. „Jedenfalls, irgendwann ist mir klargeworden, da ist weit mehr als nur Sympathie. Dann kam die Erkenntnis, dass er in mir ebenfalls mehr sieht als eine Angestellte. Ja, und so ist es dann passiert.“

„Um Himmelswillen,“ stöhnt sie, „ich will Details hören! Also er ist Dom?“ „Er ist Dom.“ „Und du machst das so einfach mit?“ „Also einfach ist das bestimmt nicht – aber ja, ich spiele das mit.“

„Mensch, Anne, lass dir doch nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen!“ „Da ist nicht viel zu erzählen. Wir sind einfach – zusammen.“

„Und seine Frau? Hattest du mir nicht mal erzählt, du wirst nie im Leben bei einem Mann nur die zweite Frau in seinem Leben sein? Macht dir das gar nichts aus, dass er verheiratet ist?“ „Natürlich macht mir das etwas aus. Aber ich kann es nicht ändern. Er ist so, wie er ist. Ich kann ihn mir noch so lange solo wünschen, wenn seine Frau nun einmal existiert. Soll ich deshalb auf ihn verzichten, bloß weil er gebunden ist?“

„Meine kleine unmoralische Freundin Anne,“ bemerkt sie. „Du sollst ja gar nicht auf ihn verzichten. Aber dir ist doch hoffentlich klar, dass ihr keine Zukunft habt? Ehefrauen gewinnen immer. Mann, und zwar Mann mit zwei „n“, Mann liebt sie vielleicht nicht, aber er braucht sie und ist sie gewohnt. Dagegen kommst du nicht an, Anne.“

Ich denke daran, was Mondheim mir genau in diesem Zusammenhang gesagt hat. Aber wie soll ich Evelyn begreiflich machen, dass er anders ist? Das denkt doch jede Geliebte, dass ihr verheirateter Liebhaber irgendwann ihretwegen seine Frau verlässt. Und schon macht sie es sich bequem in Umständen, die ihr nicht gefallen, die sie jedoch für nur vorübergehend hält, und sorgt dadurch für eine Zementierung eben jener Umstände. Wer sagt denn, es wird bei Mondheim und mir anders sein? Meine feste Zuversicht allein ist kein Argument. Liebende glauben voneinander immer nur das Beste. Wenn die rosarote Brille dann das erste Mal, das zweite Mal, unzählige Male heruntergefallen ist, dann muss man sehen, wie man ohne sie miteinander auskommt. Das ist die wahre Nagelprobe jeder Beziehung. Vorher, da kann man sich noch gegenseitig belügen und damit glücklich sein, doch erst dann beginnt man, zum echten Kern des anderen und zum wirklichen Wert des Zusammenschlusses vorzustoßen. So denn einer vorhanden ist.

„Das mag sein. Wenn es denn so ist, ist es so. Ich werde trotzdem weder darauf drängen, dass er seine Frau verlässt, noch werde ich mich von ihm zurückziehen, weil sie da ist.“

„Du bist bereit, einfach alles so zu belassen?“ fragt Evelyn ungläubig. „Du schluckst die Tatsache, dass er einen Abend nach dem anderen nicht kann, dich versetzt, dich nicht anruft, weil er schön brav auf dem Sofa bei seiner Frau Händchen halten muss?“

Ja, ich weiß – noch ist das nicht passiert, aber es wird passieren. Er wird mich nicht vergessen, über seiner Frau – nur ganz einfach entscheiden, dass sie in gewissen Augenblicken vorgeht. Und ich werde, wenn es so weit ist, voller Schmerz und voller Wut sein. Ich werde versuchen, es ihm heimzuzahlen, indem ich ihm ebenfalls wehtue. Wir haben keinen einfachen Weg vor uns.

Das Wissen um diese Schwierigkeiten der Zukunft hätte mich vielleicht rein theoretisch, womöglich gar noch vor wenigen Tagen ganz praktisch in Bezug auf Mondheim davon abgehalten, mich auf ihn einzulassen.

Nun ist es zu spät dafür. Ich habe die Tür aufgemacht, er ist hineinspaziert, so wie ich eingedrungen bin durch seine weit offene Tür. Wenn ich die Taue kappe, die meine Seele mit seiner verbinden, verletze ich mich selbst.

„Ich weiß nicht, Anne – du bist so furchtbar ernst. So kenne ich dich gar nicht. Wir konnten doch immer so schön über jeden Mann herziehen, der für uns eine Rolle spielt; auch über den ganz aktuellen Liebhaber.“


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