Ich werde zur Superhausfrau

22. März 2013

Nein, Evelyn lehnt ab. Sie will den ganzen Mist nicht noch einmal durchgehen; wenn ihr meine Antworten nicht passen, soll ich mir einfach eine andere Frau suchen zum Interviewen. Gut, vielleicht habe ich mich ein wenig ungeschickt ausgedrückt, aber ein Grund, so grob zu reagieren, ist das noch lange nicht.

Als das Telefonat beendet ist, sind wir beide beleidigt und haben uns recht kühl voneinander verabschiedet. Ob ich jetzt auch auf dem Weg sei, ein typisches Weibchen zu werden, das nur einem Herrn und Meister treu sein will, hat sie mich zwischendurch schnippisch gefragt.

Was hat das denn mit Weibchen zu tun, wenn man sich nach mehr sehnt als der köstlichen Aufregung der ersten Tage einer frischen Beziehung?

Mir ist ziemlich klar, was hier vor sich geht. Evelyn ist unverändert die, die sie schon immer war, und sie lebt noch ebenso wie im letzten Monat und davor. Damals, als ich sie noch um ihre Freiheit beneidet habe und ihre Fähigkeit, sich aus der ganzen Beziehungssauce immer nur die Rosinen herauszupicken.

Aber ich, ich habe mich verändert. Durch die ganze Unsicherheit, der ich ausgesetzt war, und die sich glücklicherweise fast ohne mein Zutun wieder zu einem etwas festeren Boden entwickelt hat, bin ich nachdenklich geworden. Vorher war alles in Ordnung, alles ge-ordnet. Fast schon ermüdend. Da ging es mir allein um das himmlische Prickeln der anlaufenden Hormone, alles andere erschien mir zu mühsam. Unnötig auch, denn ich kam ja gut klar mit meinem Leben, es fehlte nur das Feuerwerk, nichts anderes.

Was für eine erschreckende Feigheit, aber es ist nun einmal so: Ich habe durch die vorübergehende berufliche Haltlosigkeit den Halt einer langandauernden Beziehung zu schätzen gelernt. In der Ecke, in der ich heulend sitze und meine Wunden lecke, ist von der nach Champagner rufenden Langeweile geregelter Tagesabläufe nichts mehr zu spüren. Da fehlt nicht der Luxus von Sahnetorten, sondern die Gewöhnlichkeit täglichen Brots.

Beschämend, so wankelmütig zu sein, und so wenig eigene Kraft zu haben, dass sie beim ersten Ansturm zusammenbricht und nach Unterstützung ruft. Ist mir alles klar. Ich schäme mich ja auch. Ändern tut das allerdings gar nichts. Aber daran werde ich ein anderes Mal weiter dran längs denken.

Hauptsache ist jetzt erst einmal, ich bringe die Sache mit Evelyn wieder in Ordnung. Nur weil man in Bezug auf die beste Form des Liebeslebens unterschiedlicher Meinung ist, muss man sich doch nicht streiten. Zumal ich im Gegensatz zu ihr ja gar kein Liebesleben habe. Selbst wenn sie sauer auf mich ist, sollte das ihr doch ein gewisser Trost sein.

Ich wähle gleich noch einmal ihre Nummer, aber sie scheint nicht mehr da zu sein. Mist. Ich mag das nicht, Auseinandersetzungen einfach schmoren zu lassen.

Wenn ich jetzt noch zu Liebe am Arbeitsplatz eine Befragung von Martina durchführe, habe ich mir glücklich zwei Freundinnen vergrätzt. Fehlt dann bloß noch ein Interview über das Liebesleben trotz nervigen Nachwuchses, und das Trio ist komplett.

Wie wäre es denn zur Abwechslung einmal mit einem ganz anderen Thema: Warum müssen Frauen immer alles so kompliziert machen? Oder: Sind Männer wirklich einfacher?

Ach was, ich habe jetzt vier Artikel, und selbst wenn das Interview mit Evelyn unbrauchbar ist, bleiben immer noch drei übrig. Das mit der Selbstbefriedigung (auch wenn ich das inzwischen selbst ein wenig zu direkt finde), ein kleiner Bericht über Single-Wochenenden und warum man sich die oft selbst so trübsinnig macht, und etwas über widersprüchliche Signale. Ich will ihn, aber ich ziere mich; oder ich will ihn nicht und flirte doch mit ihm. Das reicht erst einmal. Wahrscheinlich landet sowieso alles im Papierkorb. Bei der Vorstellung, Deinar das alles vorzulesen, wird mir jetzt schon ganz anders. Nicht dass ich nicht mit meinem üblichen Herzblut geschrieben hätte und auch genau das, was ich wirklich denke. Einen ordentlichen Aufbau haben die Artikel ebenfalls, Einleitung, Hauptteil, Schluss, ein wenig Witz, viele verschiedene Seiten werden beleuchtet – also eigentlich alles drin, um einen Chefredakteur glücklich zu machen.

Aber ich stelle fest, die Erotik reizt mich immer weniger. Am liebsten würde ich über ganz andere Dinge schreiben. Welche, das weiß ich noch nicht – aber jedenfalls über etwas, das nichts, nicht das geringste mit Liebe, Sex und Beziehungen zu tun haben.

Nur, wo dieser immer mächtiger werdende Wunsch herkommt, da habe ich keine Ahnung. Ist es, weil es das alles momentan in meinem Leben nicht gibt – oder liegt es eher daran, dass meine Gedanken sich manchmal stundenlang um nichts anderes drehen? Es ist wirklich widerlich, wie Frauen dauernd über die Männer nachdenken und darüber, wie man mit ihnen am besten auskommt. Dabei würde das ohne bestimmt gleich viel besser klappen.

Ich glaube nicht, dass ich das aushalte, noch bis zum Samstag in meinem eigenen Saft zu schmoren. Nächste Woche gibt es immerhin einen Glanzpunkt, soviel Muffensausen der auch gleichzeitig auslöst – ab Donnerstag kann ich wieder ganz normal morgens zur Arbeit fahren und habe wenigstens tagsüber eine Beschäftigung, die mich von einem solch hirnlosen Herumgenudel abhält.

Oh Gott, man glaubt es nicht, wozu ich mich als nächstes entschließe – ich werde meine Eltern besuchen. Von Donnerstag bis Samstag Morgen. Jawohl, jetzt ist es soweit. Mein Rückgrat ist futsch, ich verkrieche mich bei meinen Eltern, wenn auch nur kurz.

Dass es keine gute Idee ist, merke ich schon ein paar Minuten nach meiner Ankunft, als meine Mutter mich zum x-ten Mal über den neuen Job ausfragt. Wenn sie nicht aufhört, mich zu nerven, beginne ich mit einem Bericht über den SM-Zirkel, dann ist sie bestimmt stille. Sie weiß zwar nebulös etwas von meinen speziellen Vorlieben, aber erstens nimmt sie es nicht ernst, und zweitens will sie es gar nicht wissen. Ganz praktisch für mich; das erspart mir wenigstens ein paar peinliche Gespräche. Gibt ja auch genügend andere Themen, mit denen man mir die Hölle heiß machen kann.

Und raten Sie mal, worum es geht? Nein, falsch geraten. Meine Mutter nervt mich nicht, warum ich noch keinen festen Freund habe oder sogar verheiratet bin. So aufgeklärt ist sie dann doch. Es geht meistens um meinen Job. Da hat hier die Nachbarstochter die Superstelle bekommen, da hat dort der Nachbarssohn so ein Glück gehabt mit seinem Arbeitgeber.

Es ist immer noch besser als Beziehungskram, aber ganz ehrlich, nach einer Weile geht mir das auch auf die Nerven. Zum Glück gibt es Hunderte von Bekannten, die meine Mutter auch alle durchhecheln muss. Nachher bin ich bestens auf dem Laufenden über Krankheit, Tod, Geburten, Scheidungen, Arbeitslosigkeit und andere Katastrophen.

Aber die Zeit geht so auch herum, und das ist mir momentan mit das Wichtigste. Die Spaziergänge sind sogar eigentlich ganz nett. Frische Luft, Sonne, keine Pflichten – fast wie Urlaub. Ha.

Allerdings entschließe ich mich dann doch, schon am Freitag Abend wieder zurückzufahren. Das gibt mir mehr Zeit für den Samstag, und gute Ratschläge für meine berufliche Laufbahn habe ich genügend eingepackt. Außerdem, man weiß ja nie.

Das war eine gute Idee, wie ich feststelle. Zwei Mails warten auf mich; eines von Evelyn, und eines von Deinar. Letzteren, das kann ich bei dieser Gelegenheit rasch beichten, habe ich vor meinem Aufbruch noch kurz, ebenfalls per Mail, über meine Pläne informiert. Er hofft, ich komme gut zurück und fragt, ob er mich am Samstag noch einmal anrufen kann, bevor er mich abends abholt. Aber ja doch! Mann, dafür muss er doch nicht extra fragen! Am besten rufe ich ihn gleich nachher selbst an.

Evelyn schreibt etwas, das für ihre Verhältnisse fast eine halbe Entschuldigung ist. Einfach nur so. Die rufe ich dann gleich als erstes an. Tatsächlich benimmt sie sich, als sei nie etwas gewesen; nicht die Spur von Eis oder Säuernis in ihrer Stimme. Nachdem sie jedoch ein paar ihrer Eskapaden der letzten Tage zum Besten gegeben hat, schwirrt mir der Kopf. Ihr neuester Macker gibt sich wirklich alle Mühe, sie zu beeindrucken. Hier ein Ausflug, dort ein Schmuckstückchen, und nächste Woche fliegt sie mit ihm für eine Woche nach Paris. Ich freue mich für sie und unterdrücke meinen Neid. Der ein wenig allein schon dadurch besänftigt wird, wie furchtbar klischeehaft er sich um sie bemüht.

Trotzdem, ein kleiner Nachgeschmack von „hätte-ich-auch-gern“ bleibt.

Umso besser, dass ich mir das angenehmere Gespräch für den Schluss aufgespart habe. Deinar scheint sich wirklich zu freuen, von mir zu hören. Und ich stelle fest, wie sehr mir seine warme Stimme im Ohr gefehlt hat. Er will wissen, ob er morgen schon ein bisschen früher vorbeikommen kann, um mir noch ein paar Informationen zu den anderen Gästen zu geben. Woher er bloß weiß, dass ich mir schon Gedanken darum gemacht habe, wie ich es schaffe, ihn in Gegenwart der Durchgekauten ausreichend zu befragen?

Eine hervorragende Idee. Mit nur einem Nachteil. Ich muss schon mindestens eine Stunde vorher ausgehbereit sein. Hoffentlich verknittere ich meine Klamotten dann nicht und verwische den Lippenstift. Obwohl, was soll der Mist? Ich bleibe so, wie ich bin, nur Duschen sollte ich halt rechtzeitig, und zehn Minuten vor Aufbruch verschwinde ich dann ganz offiziell zum Aufdonnern. Das sorgt auch dafür, dass ich mir nicht ins Hemd mache, sondern die ganze Anhübscherei schnell und geschäftsmäßig erledigen muss.

Genau. So machen wir das!

***

Demnächst werde ich noch zur Superhausfrau; schon wieder wird meine Wohnung Staubsauger und Putzlappen unterzogen. Nein, das hat gar nichts damit zu tun, dass ich heute Abend hier Deinar empfangen werde! Ich würde das für jeden anderen auch tun. Vorausgesetzt, ich freue mich auf ihn so sehr wie auf Deinar und lege ebenso Wert darauf, dass er meine übliche Schlamperei nicht gleich als unausweichlich einstuft.

Sogar der Stapel Bügelwäsche ist bis zum Mittag verschwunden. Die Bettücher habe ich dann allerdings doch ungebügelt in den Wandschrank gepackt – übertreiben muss man es ja nun auch wieder nicht.

Danach besorge ich erst einmal, was man so braucht. Typisch – da habe ich die ganze Woche freigehabt, und wann erledige ich den Wocheneinkauf? Am Samstag Nachmittag; wo all die einkaufen, die keine andere Chance haben. Na, ist vielleicht ganz praktisch, dass ich mich gar nicht erst von der üblichen Drängelhektik entwöhne, mit der ich ab nächste Woche ohnehin wieder zu tun habe.

Sie fragen nach einem Geburtstagsgeschenk für Mondheim? Ja, da war ich ja nun ganz raffiniert. Das besorgt Deinar für uns beide, und ich gebe ihm das Geld wieder. Woher soll ich denn wissen, womit ich wenigstens einen zähneknirschenden Dank ernten kann? Deinar kennt den Kerl schon ewig, und er sagt, er wisse auch ganz genau, was er besorgen muss. Natürlich hätte ich ihm anbieten können, den Kauf zu übernehmen, weil ich mehr Zeit habe. Bloß, was ist, wenn ich dann im Laden stehe und zwischen irgendwelchen Alternativen wählen muss, die mir allesamt nichts sagen? Da ist es mir schon lieber, die Besorgung liegt in guten Händen.

Immerhin habe ich alles gut abgepasst – zurück in der Wohnung muss ich mich glatt beeilen, noch die nötige Schönheitspflege geregelt zu bekommen, um gegen halb sechs geduscht in legerer Freizeitkleidung ganz locker auf dem Sofa zu sitzen, im Hintergrund leise Musik, und entspannt ein Buch zu lesen. Ja, von wegen entspannt! Nachdem ich einen Absatz fünfmal gelesen habe, ohne den Sinn zu verstehen, gebe ich auf und lebe meine Nervosität offen aus.

Deinar erlöst mich überraschend pünktlich. Als er vor der Tür steht, fängt allerdings die echte Aufregung erst an. Er sieht wirklich klasse aus mit weißem Hemd, Schlips (ganz dezent in Graustreifen) und dunklem Anzug. Von wegen graue Maus! Und von dem knuddeligen Teddybären, als den ich ihn kennen gelernt habe, ist auch nichts mehr übrig. Na, inzwischen weiß ich ohnehin um seine Rappelschnauze und nehme ihm die liebreizende Unschuld ganz gewiss nicht mehr ab.

Insgesamt schlechte Karten für mich; so elegant sehe ich bestimmt nicht aus.

Momentan ja sowieso nicht.

Noch bevor er guten Tag gesagt hat, fängt er an zu grinsen, und ich hebe abwehrend die Hand. „Nein, so werde ich nicht bei Mondheim erscheinen! Aber ich denke nicht dran, jetzt über eine Stunde lang mein Abendkleid zu zerknüllen, während wir uns einfach nur unterhalten und keiner es sieht. Einen Kaffee, einen Tee?“ Schön ablenken. Er lacht trotzdem. „Dass ich es sehe, reicht Ihnen also nicht? Aber keine Angst – Sie sehen auch so gut genug aus, den ganzen braungebrannten, faltenreichen Oberschichtdamen mit den kalten Augen die Hölle heiß zu machen.“

„Vorurteile haben Sie wohl gar nicht?“ bemerke ich, während er mir ganz unzeremoniell in die kleine Küche folgt. „Das sind keine Vorurteile, das ist lediglich der wahrheitsliebende Blick eines kritischen Journalisten,“ antwortet er. „Warten Sie nur ab – Sie werden es sehen. Und ein Wasser, übrigens, bitte, wenn Sie eines dahaben.“

Irgendwie gelingt es mir, mich mit Hilfe überschäumender Kohlensäure von oben bis halb unten vollständig nass zu spritzen, obwohl ich die Flasche gar nicht vorher geschüttelt hatte. Besonders das anklebende T-Shirt ist bestimmt ein göttlicher Anblick. Diesmal lacht er nicht, reicht mir nur ein herumliegendes Küchenhandtuch (wer hat hier eigentlich aufgeräumt?) und sieht betont weg. Was mir deutlicher als alles andere zeigt, welche bemerkenswerte Perspektive ich biete nach der zweiten Dusche des Tages. Trotzdem schaffe ich es, zwei Gläser einzugießen; sogar ohne weitere Überschwemmung.

„Ich gehe mich schnell umziehen,“ murmele ich. „Gehen Sie doch schon ins Wohnzimmer.“ Hastig greife ich mir ein T-Shirt aus der Flurkommode (was für ein Glück, dass die nicht mit im Kleiderschrank im Wohn-/Schlafzimmer lagern) und verschwinde im Bad.

Fünf Minuten später hat er es sich bereits gemütlich gemacht auf dem Bettsofa mit Tagesdecke, und sein Jackett hängt über einem Stuhl. Über genau dem, auf den ich auch immer meine Sachen schmeiße, wenn ich zu faul bin, sie wegzuräumen. Komisch – dabei steht ein zweiter, identischer, gleich neben dran, und in der Nähe noch mal einer. Nur den vierten der Garnitur hat es bei einem meiner Umzüge erwischt.

Also ich weiß ja nicht – irgendwie ist es schon oberpeinlich, mit Deinar hier so zusammenzusitzen; und das liegt nicht nur an der unterschiedlichen Kleidung. „Sie wollten mir etwas über die anderen Gäste erzählen,“ forciere ich ein harmloses Gespräch.

„Erst einmal etwas anderes,“ lehnt er ab. „Meinen Sie nicht, wir sollten uns vielleicht lieber duzen? Ich will Sie auf keinen Fall drängen; aber wo wir doch jetzt sozusagen Verschwörer sind und heute Abend zusammenhalten müssen?“

Ojemine. Was soll ich jetzt dazu sagen? Eigentlich gehört sich das doch nicht, oder? Und bei Maibaum ist es ja auch prompt schiefgegangen, mit dem Duzen eines Vorgesetzten. Andererseits, Deinar ist nun ganz gewiss nicht Maibaum. Soll ich es wagen? Ich meine, jetzt, wo er es vorgeschlagen hat, bleibt mir sowieso kein ehrenhafter Ausweg mehr. Entweder riskiere ich es und mache mit, oder ich brüskiere ihn mit einer Ablehnung. In eine schöne Zwickmühle hat er mich da gebracht!

„Und für den Fall, dass Sie fürchten, es werde Probleme im Büro geben – es ist bei uns zwar keineswegs Sitte, dass man sich allgemein per du anspricht. Es gibt aber etliche, die sich nahe genug stehen dafür, und da bleibt man auch bei der Arbeit dabei. Auch mich duzen einige.“

So? Wer denn? Sämtliche Damen womöglich? Holla – der kurze scharfe Stich vorhin war doch wohl nicht Eifersucht? Das wäre ja noch schöner!

„Zumindest für heute Abend wäre es wirklich einfacher,“ räume ich ein. In seinem Gesicht rührt sich nichts. „Wenn Sie meinen, bleiben wir halt nur für diesen Abend dabei.“

Irgendwann vorhin scheine ich Taktgrütze gefressen zu haben. „So meinte ich das nicht. Es freut mich, wirklich. Es erscheint mir auch absolut passend.“

„Aber?“ fragt er.

Ich gebe mir einen Ruck. „Nichts aber. Das ist eine sehr gute Idee von Ihnen – von dir.“

„Schön“, sagt er, gibt mir ein Glas und nimmt sich das andere. „Trinken wir darauf.“ Einen Moment lang sehen wir uns an, und die Funken knistern auf der Blickbahn. Gott sei Dank bin ich nüchtern genug, dieses Prickeln als das zu sehen, was es ist – Vorfreude gemischt mit Aufregung, die sich weniger auf Deinar selbst als Person bezieht, als auf den gesamten Abend.

Na ja, könnte doch sein, dass es das ist und nicht, was Sie denken, oder? Wie auch immer – er wird nun auch sehr schnell geschäftsmäßig.

„Also außer Mondheims, und bei seiner Frau müssen Sie – oh, Scheiße, das klappt noch nicht so richtig mit dem du. Ist ja gut, dass wir eine Stunde Zeit haben zum Üben. Also, Frau Mondheim ist gefährlich. Sie ist mit sich und der Welt unzufrieden, vor allem aber mit ihrem Mann. Wobei ich denke, sie liebt ihn schon, bloß kann sie ihn einfach nicht so akzeptieren, wie er ist. Sie hätte ihn lieber verfeinert, als echten höheren Sohn alter Schule. Nie ein lautes Wort, immer taktvoll, zurückhaltend und höflich.“ Ich pruste los. „Also all das, was er nun wirklich nicht ist.“ Deinar bleibt überraschend ernst. „Ist das nicht oft so, man mag den Partner schon, aber man träumt davon, wie viel besser, angenehmer, schöner alles wäre, wenn er nur – anders wäre? Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, die man gerne umtauschen würde, aber in ihrem Fall ist es eigentlich der ganze Mensch. Ich finde das traurig, ja, geradezu tragisch. Es ist auch nicht leicht für ihn, damit fertig zu werden.“ Übergangslos schäme ich mich meiner Erheiterung. Er hat ja so recht! „Wenn man sich Mondheim ohne all das denkt, was sie stört, bleibt ja gar nichts mehr von ihm übrig,“ überlege ich. „Eben. Deshalb ist die Stimmung im Haus oft auch so – wie soll ich sagen, gespannt. Wie vor einem Gewitter. Was allerdings nie kommt. Aber weiter. Maibaum kennst du.“ In der Tat. Fragt sich nur, ob er mit oder ohne Begleitung kommt. Anscheinend habe ich diesen Gedanken laut ausgesprochen; wie unangenehm! „Meistens kommt er allein zu solchen Veranstaltungen; sollte er im Augenblick eine Freundin haben, kenne ich sie nicht – das könnte eine Überraschung werden. Ich hoffe, du kannst dich zusammenreißen.“

„Na hör mal!“ beklage ich mich empört. „Ich kann ja nun wirklich nicht behaupten, Maibaum ist mir völlig egal. Dazu hat er zuviel angestellt, und dazu ist die Sache noch nicht lange genug her. Aber ich denke schon, ich werde es schaffen, den Abend zu überstehen, ohne ihm schmachtend mit feuchtem Slip nachzulaufen oder seiner möglichen Begleiterin die Augen auszukratzen!“

Er zuckt die Achseln. „Ich wollte dich nur vorbereiten. Notfalls knutschen wir einfach in seiner Nähe ein wenig herum, das dürfte dann schon den gewünschten Effekt haben.“

„Das könnte dir so passen! Wenn ich mit dir herumknutsche, dann nur, wann und wenn ich das will, und bestimmt nicht, um einem anderen eins auszuwischen!“ Deinar legt es offensichtlich darauf an, mich in Rage zu bringen.

„Ich kann es kaum erwarten,“ spottet er. Der soll bloß aufpassen, dass er statt meiner Lippen nicht meine Fingernägel zu spüren kriegt! Dann kann er gleich eine Live-Erfahrung mit seiner devoten Seite machen.

Es wird Zeit für einen Gegenschlag.

„Ist deine Ex eigentlich auch anwesend?“ Sein Gesicht verschließt sich. Aha – mich mit meinen danebengegangenen Liebschaften aufziehen, und selbst nichts verkraften! „Sie ist zurück nach Süddeutschland gezogen, wo sie herstammt. Es besteht also keinerlei Notwendigkeit, über sie zu reden.“ Scheint noch ein böse wunder Punkt zu sein. Eine Frage muss trotzdem noch sein. „Habt ihr eigentlich Kinder?“ Er schüttelt den Kopf. „Nein. Sie kann keine Kinder kriegen. Ich habe das lange bedauert, aber inzwischen bin ich fast froh darüber.“ Eine gewisse Offenheit ist ihm also doch möglich. Ist ja schließlich auch schon ein Jahr her oder so; bis dahin sollte man die eigene Trennung als Konversationsthema nach den Regeln unserer Gesellschaft schon beherrschen. Wobei es mich nicht wundert, dass er das nicht kann. Eine so lange Ehe bleibt wahrscheinlich in immer blasser und kleiner werdenden Resten das ganze weitere Leben über im Gedächtnis.

Erstaunlich, welchen Beziehungsballast wir so alle mit uns herumschleppen. Alle diese Angebeteten, Ehemaligen, im Guten oder im Schlechten Verlassenen oder Weggegangenen, irgendwie sind sie ein wenig immer anwesend, wenn zwei lebendige Menschen sich treffen, die irgendetwas zueinander hinzieht. Ob Geister auch atmen müssen? Dann ist es kein Wunder, wie dünn und verbraucht die Luft manchmal ist, wenn zwei sich ineinander verlieben.

Jetzt reicht es aber mit meiner skrupellosen Neugier. „Entschuldige – ich bin taktlos.“ Schon lächelt er wieder. „Einer deiner großen Vorteile. Frag ruhig; ich bin noch längst nicht in der Lage, über alles zu berichten, und schon gar nicht ruhig, aber das wird schon noch. Ist vielleicht sogar ganz praktisch, wenn du mich da auf Kurs bringst.“

Worauf er sich verlassen kann, dass ich das anpacke. Irgendwann später.

„Und die anderen?“ bohre ich.

„Lass mich mal sehen – ganz sicher rechnen müssen wir mit fünf weiteren Paaren. Lahnings, Müllers, Donaths, Refrings und Jansens. Lahning ist ein hohes Tier bei der Stadt und benimmt sich auch so. Seine Frau ist ebenfalls Beamtin und arbeitet halbtags. Müller gehört eine Firma, Müller Obstgarten, ein Obstversand, hast du vielleicht schon einmal gehört. Donath ist Professor für irgendetwas mit Wirtschaft an der Uni, seine Frau sozialisiert ehemalige Strafgefangene. Refring ist offiziell pleite; er war mal Bauunternehmer. Auf die Idee würde jedoch keiner kommen, der ihn auftreten sieht mit Rolex, Armani und einem Selbstbewusstsein wie Zeus persönlich. Seine Frau ist Lehrerin. Jansen ist im Landtag. Nicht sehr bekannt – er wirkt lieber im Hintergrund, da allerdings tüchtig. Die holde Gattin managt eine Boutique und ist die Fachfrau für Mode.“

Ich rümpfe die Nase. „Klingen ja alle ungeheuer sympathisch.“ „Ach, Jansen und Müller sind ganz in Ordnung; die wirst du mögen. Die Frauen sind mir alle ein bisschen zu sehr gestylt und zu unzufrieden mit allem. Wahrscheinlich hat die Mondheim sie deshalb ausgesucht, damit man gemeinsam über alles und jeden herziehen kann. Außer diesen zehn kommt sicher noch Hareck, der ist irgendetwas in einem Ministerium, nur redet er nicht darüber. Seine Begleiterinnen wechseln häufig, sind immer blutjung und sehen sich zumindest für mich zum Verwechseln ähnlich. Dann kommt sicher noch Jakob, ein Finanzbeamter – natürlich keiner von der Sorte, die noch Besucher empfangen – mit einer ganz unauffälligen und eigentlich sehr netten Frau, von der ich nicht weiß, was sie macht, und Lange. Lange wird dir gefallen. Der ist ähnlich wie Mondheim selbst – reich, groß, laut, und total respektlos. Frag ihn bloß nicht, was er beruflich macht. Bis er mit seinen zahlreichen Firmen durch ist, mit denen er etwas zu tun hat, ist der Abend gelaufen. Lange ist übrigens schwul; einen Anstandsaußenseiter braucht jeder Kreis. Jeder weiß es, und trotzdem kommt er immer allein. Wahrscheinlich wird die Mondheim die Gästeliste noch ein wenig verlängert haben. Falls ich die Leute kenne, versuche ich dich dann dort vorzubereiten. Aber das wird schon alles gut laufen.“

„Ich freue mich jetzt schon darauf,“ kommentiere ich grimmig.

„Dann sind wir ja schon zwei,“ erwidert er.

„Sind die eigentlich alle auch im Zirkel?“ will ich wissen. „Gott bewahre! Über SM darfst du heute Abend kein Wort verlieren. Aber ganz im Vertrauen: Lange ist drin, Donath und Jakob. Die drei solltest du dir ganz besonders aufmerksam anschauen. Den anderen wirst du dort nicht wieder begegnen.“

„Also wenn ich mich danebenbenehme, sollte ich versuchen, das in Abwesenheit von – wie hießen die? – Donath, Jakob und Lange zu tun, richtig?“

„Korrekt. Sollte dir danach sein, kannst du mich jedoch auch bitten, dich nach Hause zu fahren.“

Die Warnung ist deutlich. Man wird mir sicher einiges verzeihen an diesem Abend, aber weder eine offensichtliche Provokation, noch zu große Dämlichkeit. Und mit man meine ich Mondheim.

Darauf hätte ich eigentlich schon längst kommen können: Das ist ein weiterer kleiner Testparcours für mich, nichts anderes.

Also los.


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