Frontalangriff

2. Mai 2013

Schön; ich mag es, wenn man das einsieht.

Suchend sehe ich mich um. „Ist eigentlich noch jemand hier, außer dir?“ Er schüttelt den Kopf, verlegen.

Und schon hat er einen Kuss weg. Einen ganz schnellen, leichten; nur so zur Einstimmung. Schließlich soll er sich ja nichts einbilden.

Er steht da wie vom Donner gerührt. „Worauf wartest du? Willst du nicht langsam mal dein blödes Faxschreiben einpacken und mitkommen?“

„Meine liebe Anne,“ beginnt er energisch – und hält inne. Das ist sein Glück. „Ich will gar nichts hören,“ erkläre ich rebellisch. „Heute Abend bestimme ich, wo es langgeht. Wenn man dir das überlässt, kommt ja nichts als Blödsinn dabei heraus.“ Gnade Gott dem armen Menschen, der mich in einer so übermütigen Stimmung erwischt. Ist wenigstens eine Abwechslung von der miesen Laune, wenn mich jemand aus dem Schlaf holt.

Er öffnet den Mund – und überlegt es sich anders. Er sagt nichts, lacht nur, und dann legt er eine übertriebene Verbeugung hin. „Wie Sie wünschen, Madame. Dies ist Ihr Abend.“

Klasse. Wenn er wüsste, wie verführerisch er aussieht, wenn er sich so spielerisch fügt; so, dass man seine Kraft noch spürt und schwankt zwischen Triumph und Dankbarkeit, dass er sie nicht ausspielt.

Nun sollten wir aber wirklich langsam aufbrechen; wer weiß, welche unanständigen Schauspiele diese seriösen Wände sonst noch zu sehen bekommen.

Deinars Wohnung sieht aus wie eine Räuberhöhle. Sie ist größer als meine, aber freien Raum sucht man hier vergeblich. Im Wohnzimmer stapeln sich Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Filme, Musik-CDs und Sportgeräte. Aha – so bewahrt er sich also seine trotz der Masse gar nicht unschlanke Figur. Wie wohl das Schlafzimmer aussieht? Leider steht das Faxgerät im Flur; schon das Wohnzimmer kriege ich nur zu sehen, weil ich mich ganz unverschämt vordränge. Und mich neugierig umsehe, während es von draußen piept und summt und schließlich wieder piept.

„Erledigt,“ sagt er, als er zur Tür hereinkommt.

Natürlich könnte ich ihn mir gleich jetzt und hier vornehmen. Doch ein wenig will ich ihn noch zappeln lassen – und selbst die Vorfreude genießen. Die nahezu unerträgliche Spannung, die zwischen uns in der Luft liegt, ist viel zu kostbar, um sie sogleich wieder aufzulösen.

Wir sehen uns an, lächeln uns an. Ein Strom der Verbundenheit fließt durch uns hindurch, der keine physische Bestätigung braucht, sie bewusst auf später verschiebt. „Alles klar?“ frage ich, und seltsam heiser klingt meine Stimme. Aber seine ist auch nicht besser. „Alles klar. Und bei dir?“ Ich nicke. Dann räuspere ich mich. Schließlich hatte ich ja so frech mein Initiativrecht für diesen Abend angekündigt, da ist einfach Haltung gefragt. Wobei ich nicht vorhabe, die ganze Arbeit zu übernehmen. „Irgendwelche speziellen Wünsche an das Essen?“

„Wenn es dir recht ist – oh, Verzeihung, Madame, wenn es Ihnen recht ist, schlage ich ein kleines Restaurant ganz hier in der Nähe vor. Es ist nichts Besonderes – aber sehr gemütlich und ruhig. Die Auswahl ist klein, aber ich habe bislang noch nichts gefunden, was nicht geschmeckt hätte.“

Sehr gut. Wusste ich’s doch, dass mir Deinar bei den Details durchaus behilflich sein wird. Nun das nächste Problem. „Wie weit ist in der Nähe?“ „Falls Sie meinen, kann man dorthin zu Fuß gehen: Ja, man kann; sehr gut sogar. Und sollte Ihnen der Rückweg zu anstrengend sein, werde ich Sie selbstverständlich auf Händen zurücktragen.“

Na, übertreiben muss er ja nicht so maßlos; aber die Information gefällt mir. Passt gut in meinen Plan, von dem ich gar nicht wusste, dass ich ihn habe. Ab sofort werde ich ihn nicht mehr aus den Augen lassen. Und so ein nächtlicher Spaziergang hat etwas. Schon auf dem Hinweg. Und wer weiß, wie das auf dem Rückweg später sein wird …

***

Unterwegs hake ich mich bei Deinar ein. Ein seltsames Gefühl, einen fremden Körper so nah zu spüren. Die Fantasie gaukelt ja genau diese Körperlichkeit vor – aber ausschließlich in der Imagination. Ein Widerspruch in sich – etwas Physisches psychisch zu erleben. Die Realisierung hat da manchmal ziemlich abschreckende Überraschungen parat; aber Deinars Seite an meinem Unterarm zu spüren ist einfach nur angenehm.

Ich weiß sehr wohl, dass ich dabei mit dem Feuer spiele – aber ist nicht genau das der Sinn dieses Abends?

Natürlich drängt sich ab und zu auch der Gedanke auf, ob das wohl alles so richtig ist, was ich hier mache. Ich pusche etwas voran, hinter dem ich allenfalls zu 90 Prozent stehe. Nur – ist mehr Sicherheit im Leben überhaupt erreichbar? Würde man nur dann Entscheidungen fällen, wenn man sie zu hundert Prozent befürwortet, dann wäre man ständig nur ein passives Blatt im Wind und bestimmte gar nichts selbst. Vielleicht gibt es eine höhere Wahrscheinlichkeit als 90 Prozent – aber gerade im Hinblick auf menschliche Beziehung ist dieser Wert aufgrund der notwendigen Subjektivität und der unumstößlichen Tatsache, dass es keine Traumprinzen gibt, eigentlich schon mehr, als man realistischerweise erwarten kann. Außerdem habe ich keine Lust, mir etwas noch 20 Mal hin und her zu überlegen, zu dem ich mich ohnehin bereits entschlossen habe. Zeit für ein wenig Unterhaltung, um mein Denken zu entlasten, und nachdem Deinar keine Anstalten macht, den Wortreichen zu spielen, muss ich das wohl übernehmen.

„Was war denn das für ein wichtiges Fax?“ will ich wissen. Er zögert ein wenig; aha – es scheint ein Geheimnis zu sein. „Es geht um diese neue Firma, bei der Lahning mitmachen wollte oder will. So ganz steht das noch immer nicht fest. Die beiden haben sich tüchtig in die Haare gekriegt, aber es scheint doch noch alles wie geplant zum Klappen zu kommen.“ Schön, dass wenigstens einer sein Leben im Griff hat – oder vielmehr seine Geschäfte. Wenn ich mich so an Mondheims Frau zurückerinnere, gibt es in jedem Fall einen Bereich, in dem garantiert nicht das läuft, was er gerne hätte.

Es klingt nicht so, als wäre Deinar begeistert, über seinen Job zu reden und das, was er nebenher alles für Mondheim erledigen muss. Also, anderes Thema. Bloß, welches? Worüber unterhält man sich mit jemandem, mit dem man noch nicht im Bett war, aber eben dort landen will? Allgemeine Themen sind tabu, die gehören zu anderen Situationen. Wenn man die Sünde entweder schon hinter sich hat oder gar nicht an sie denkt. Intime Inhalte aber gibt es noch nicht; jedenfalls keine gemeinsamen.

„Wo warst du eigentlich gestern Abend?“ Der nächste Versuch. Nicht sehr gelungen – es klingt, als wolle ich Deinar kontrollieren. Seine Antwort ist kurz. „Ein Treffen mit alten Freunden.“ Das ist auch kein Ansatzpunkt für eine gepflegte Konversation. Langsam kommt mir mein Arm in seinem wie ein Fremdkörper vor. Was, um Himmelswillen, wollen wir ein, zwei Stunden miteinander anfangen? Stumm nebeneinander sitzen und Essen in uns hineinschlingen? Womöglich hätte ich doch besser gleich ohne Umweg auf das Ziel meiner Wünsche zugesteuert, wenn ich schon einmal in seiner Wohnung war. Andererseits, was hat es für einen Sinn, mit jemandem zu schlafen, mit dem man nicht einmal richtig reden kann.

Aber gerade das konnten wir doch die ganze Zeit so gut!

Wahrscheinlich war es ein Irrtum zu glauben, die leichte Abkühlung der letzten Tage einfach so mit einem kleinen Überraschungsbesuch hinwegfegen zu können. Deinar hat irgendetwas, das ihn jetzt, nach der ersten freudigen Reaktion, seine Füße wieder widerwillig auf dem Boden schleifen lässt. Was auch immer es ist – es schlägt durch auf meine eigene Stimmung.

Allerdings kann ich mir lebhaft vorstellen, was er sagt, wenn ich jetzt ganz unvermittelt erkläre, ich hätte es mir anders überlegt und wolle sofort nach Hause. Sollte er mich jetzt noch nicht für ein sprunghaftes Wesen halten – danach tut er es bestimmt.

Ach ja – und nur damit er keinen falschen Eindruck bekommt soll ich jetzt also etwas durchziehen, an dem ich die Lust verloren habe?

Ich glaube, ich bin wirklich zu kompliziert. Da hilft nur eines – direkt werden. Und zwar nicht im weiblichen Sinn direkt, indem man eine Grundsatzdiskussion anfängt, sondern im männlichen Sinn. Mit anderen Worten – man kommt zur Sache.

Schon schleicht mein Arm sich um seine Hüfte. Direkt gegen meine eigene, die sich dabei näher an ihn herangeschoben hat, fühle ich, wie er stockt. Jetzt kommt es darauf an. Einen Augenblick lang hängt sein verlassener Arm da wie ein trockener, bewegungsloser Ast, dann erfasst ihn ein laues Lüftchen, und schon liegt er um meine Schultern. Sehr gut. Weiter so.

Wie machen die Männer das eigentlich immer, eine Frau einfach umarmen, küssen, begrabschen? Fällt ihnen das leichter, weil sie meistens ein Stückchen größer sind und erheblich stärker? Ist das Erziehungssache, Gewohnheit?

Mit einem Druck meiner Hand bremse ich seinen Schritt, bleibe selbst stehen. Er wendet sich mir zu. Nur ein wenig, nicht vollständig, aber die restliche Entfernung kann ich schon selbst überwinden. Meine freie Hand liegt nun auf seiner Schulter, und gegen mein Handgelenk kann ich das Pochen in der großen Ader dort spüren. Meine Fingerspitzen strecken sich aus, verankern sich in seinen Haaren.

Noch bevor mein Frontalangriff abgeschlossen, wird er aktiv, schließt seine Hände um mein Gesicht, küsst mich. Überhaupt nicht vorsichtig, überhaupt nicht sanft, überhaupt nicht flüchtig. Kleine Flämmchen züngeln durch meinen Mund, meinen Brustkorb und Bauch, und versammeln sich dann schmerzhaft schwer noch etwas weiter unten.

Ebenso abrupt, wie er über mich hergefallen ist, lässt er mich wieder los, und meine Hände greifen ins Leere. „Ich glaube, wir müssen uns langsam wirklich überlegen, ob wir etwas voneinander wollen, und wenn ja was,“ sagt er.

Ach, aber Frauen sind kompliziert, ja? Die sind zickige Cockteaser, wenn sie erst reizen und locken und küssen und dann übergehen zu einer theoretischen Grundsatzdiskussion?

Menschenskinder! „Ist das nicht offensichtlich? Sowohl dass wir etwas voneinander wollen, als auch was?“ Er geht weiter, als existiere ich gar nicht, und ich habe nur die Wahl, dümmlich hinter ihm her zu dackeln, wenn ich seine Antwort hören will. „Es mag ja sein, wir wissen, dass wir etwas voneinander wollen. Aber es ist noch lange nicht klar was. Hast du dir das schon einmal überlegt? Wir sind beide dominant – jedenfalls vorwiegend. Eine Beziehung ohne diese speziellen Spiele wollen wir beide nicht, aber sie miteinander ausleben, das wird nicht funktionieren.“

Er geht so schnell, ich komme richtig außer Atem beim Mithalten. „Ist dir schon mal aufgefallen, dass du zwar einerseits ein recht impulsiver Mensch bist, aber andererseits immer gleich am Schwanken, ob auch alles richtig ist, was du willst und machst, sobald du auch nur zwei Sekunden Zeit hast, darüber nachzudenken?“ Ich bin empört; Empörung gemischt mit Atemnot allerdings wirkt wahrscheinlich eher lächerlich als böse. Das macht mich vollends sauer. „Oh, verdammt, wenn du mit mir reden willst, dann bleib stehen! Ich werde hier keinen Sprint hinlegen!“

Verflucht, verflucht, verflucht! Was ist bloß los mit ihm? Kann man die Sache nicht einfach irgendwie angehen? Beim ersten Kuss ist es doch vollkommen egal, ob man auf SM steht oder nicht – der ist doch in jedem Fall völlig harmlos. Und bis wir bei Erziehungsspielen und Auspeitschungen angekommen sind, wird noch viel Feuchtigkeit an uns beiden herunterlaufen. Oder können Sie das, beim ersten Mal gleich in die Vollen gehen? Na also. Dann hätte man ja auch erst einmal abwarten und schauen können. Wer weiß, vielleicht stellt sich heraus, wir sind beide gar nicht nur dominant; oder auch überhaupt nicht dominant. Halt, nein, wenn wir beide devot wären, hätten wir dasselbe wie jetzt in Grün. Aber, ach, meine Güte, das wird sich doch alles schon finden! Die Lust am anderen ist doch da – die habe ich bei ihm gespürt, und die habe ich bei mir gespürt.

Weshalb unterbricht er sie so gewaltsam? Wieso, zum Teufel, kann er momentan nicht einfach einmal ausschließlich hormongesteuert reagieren?

Spinnen auf einmal alle Männer? Oder bin ich es, die einen Knacks hat?

„Ich halte es für wesentlich besser, erst nachzudenken und dann zu handeln, statt ohne Überlegung in etwas zu landen, was letztendlich mehr Schmerz als Vergnügen bringen wird.“ Immerhin ist er stehen geblieben.

„Lass mich etwas festhalten,“ bemerke ich, und wundere mich selbst, wie ruhig ich sprechen kann. „Du fühlst dich zwar zu mir hingezogen, ein wenig, aber du weißt nicht, ob du eine Beziehung mit mir anfangen sollst.“ „Von sollen kann ja wohl keine Rede sein,“ gibt er zurück, und es klingt sehr grollend. „Ja, so in etwa. Ich weiß nicht, was ich will.“

„Das stimmt nicht,“ widerspreche ich, und inzwischen ist auch mein Ton aggressiv. „Manchmal willst du, und manchmal nicht. Das trifft es wohl eher.“

„Meinetwegen,“ sagt er und zuckt die Achseln. „Wo ist da der Unterschied? Das spielt doch keine Rolle – das Ergebnis ist dasselbe.“

Kleine weiße Eiskristalle schieben sich wie Nadeln in mein Bewusstsein. „Ich weiß nicht, wogegen du kämpfst, Martin; es muss etwas ziemlich Schwerwiegendes sein, sonst würdest du nicht deine übliche Fairness vergessen. Aber eines weiß ich – ich bin es nicht. Es ist etwas in dir oder etwas, das nur mit dir zu tun hat.“

Ich hole tief Luft. Ich bin nicht einmal sicher, ob ich wirklich böse auf ihn bin. Aber eines ist klar – das hier mache ich nicht mit. „Du verletzt mich mit deinem Hin und Her, und ich glaube, das weißt du auch. Aber es ist sicher müßig, darüber zu reden. Ebenso müßig ist es aber, über irgendetwas anderes zu reden, solange du dir selbst über nichts im Klaren bist. Du brauchst einen Sparrings-Partner – aber bilde dir bloß nicht ein, dass ich den abgebe. Irgendetwas ist verkorkst in deinem Leben – oder vielleicht glaubst du das auch nur und es ist gar nicht so. Wie auch immer – ich werde jetzt nach Hause gehen. Ab sofort werden wir nur noch beruflich etwas miteinander zu tun haben. Es dürfte uns beiden gelingen, alles auch auf dieser Ebene zu halten. Und für den Fall, dass du irgendwann einmal durch bist mit deinen ganzen Überlegungen, kannst du mir das Ergebnis ja bei Gelegenheit mitteilen.“

Habe ich so etwas Ähnliches nicht schon einmal gesagt, zu einem anderen Mann?

Na, das beweist ja nur, Männer sind alle gleich. Gleich dämlich statt männlich. Vielleicht lerne ich damit endlich umzugehen, bevor es mir zum dritten Mal passiert.

***

So, und das kommt davon, wenn man auf den falschen Teil seiner Intuition hört. Jetzt stolpere ich eine Straße entlang, von der ich nur hoffen kann, dass sie mich zu meinem Auto zurückführt, und sehe einem Abend entgegen, der furchtbar werden wird und überhaupt nicht erotisch.

Ob das jetzt endlich ausreicht, mich in meinem Entschluss zu bestärken, mich eine Weile lang von allen Männern fernzuhalten, und seien sie – scheinbar – noch so großartig, verlockend und anständig?

Rotblaue Spiralen aus heißer Wut drohen, aus meinem Unterbewusstsein aufzusteigen. Ich befehle ihnen zu warten, bis ich zu Hause bin und kein Verkehrsteilnehmer mehr.

Wie sagte Karl Marx so schön? Körperlicher Schmerz ist die beste Waffe gegen den seelischen. Oder so ähnlich. Und so ziehe ich abends um zehn nach neun meine lange vernachlässigten Laufschuhe an, schmeiße mich in Shorts und ein altes T-Shirt und renne los. Dass meine Kondition nicht die Beste ist, kommt mir gerade entgegen. Das wird dafür sorgen, dass mir von den Haarspitzen über die brennende Lunge und die stechenden Seiten bis hin zu den Zehen alles wehtun wird. Wenn das nicht ablenkt, dann weiß ich es auch nicht mehr.

Und die ganze Zeit habe ich den Song im Kopf, ich weiß nicht einmal, welche Frau ihn singt, von den Stiefeln, die fürs Laufen gemacht sind, und irgendwann einmal über den Typen voll drüberlatschen werden, dem sie so trotzig und so, dass man ihre Trauer noch hört, ihre Rebellion entgegen brüllt. Es ist nicht einmal ein bestimmtes Gesicht, was ich dabei vor mir sehe; es ist eher das gesamte Geschlecht Mann.

Keuchend, hochrot im Gesicht und völlig verschwitzt lande ich nach einer halben Stunde wieder vor meiner Haustür und schleppe mich die Treppen hoch. Irgendwo auf diesem Weg drängt sich ein Wort in meinem Bewusstsein nach oben, ein einziges Wort: Rache.

Ich dusche, ziehe mich um, mache eine Dose Ravioli warm, ziehe mir einen uralten Film auf Konserve rein – und kann danach erstaunlich leicht und schnell einschlafen.

Das Wort ist noch da, am nächsten Morgen, es ist sogar stärker geworden. Es hat noch keine bestimmte Form, es hat noch kein Gesicht. Aber es lebt und atmet und wächst.

Es geht zusammen mit dem festen Entschluss, mein Leben in Ordnung zu bringen. Mich erst einmal in meinen neuen Job hineinzufinden, mich dort breit zu machen, ihn auszufüllen, ihn gut zu machen. Ich weiß nicht warum, aber das ist nötig.

Und in den Zirkel, in den will ich rein. So schnell wie möglich. Am Sonntag hatte Mondheim dann doch vergessen, das Thema abzuhaken – aber das lässt sich bestimmt nachholen.

Nein, ich habe nicht beschlossen, jetzt eine Karrierefrau zu werden. Aber ich habe vor, mir nicht mehr soviel hineinregieren zu lassen in alles. Dazu gehört, dass ich im Job auf einer soliden Grundlage stehe. Dazu gehört, dass ich Verbindungen aufbaue. Und dazu wird gehören, später einmal, wenn das erreicht ist, dass ich sie spielen lasse. Zu meinem Vor- und dem Nachteil aller, die mir im Weg herumstehen und auf die Nerven gehen; die auf meinen Füßen herumtrampeln.

Möglicherweise bin ich eine weit größere Sadistin als ich dachte, und möglicherweise gar nicht einmal nur im erotischen Sinn.

Mir ist es auch völlig egal, ob meine Reaktion auf meinen zweiten gescheiterten Versuch einer Beziehung nur eine Schutz- oder Trotzreaktion ist – ich fühle mich merkwürdig klar und ruhig damit.

Der Dienstag und der Mittwoch gehen vorbei mit einer Durchsicht meines Kleiderschrankinhaltes. Im Magazin war es weitgehend egal, was ich trug, da war in der Belegschaft alles vertreten, von Schlabberhosen bis zum Seidenkleid. In Mondheims schniekem Büro allerdings sollte ich besser doch etwas präsentabler herumlaufen. Falls das Gehalt ausreichend höher ausfällt als vorgesehen, sollte ich mir demnächst ein paar neue businesslike-chice Stücke anschaffen.

Ach ja, übrigens – meine letzte Gehaltsabrechnung vom Magazin ist angekommen, und sie stimmt sogar. In einem weiteren Umschlag sind meine Sozialversicherungsunterlagen und mein Dienstzeugnis. Maibaum hat sich ersichtlich wirklich Mühe gegeben. Oder Mondheim hat ein Wörtchen mit ihm geredet. Egal – Hauptsache, das Teil sieht gut aus, und das tut es. Jedenfalls meiner Meinung nach. Auf Deinars Angebot, es zu prüfen, werde ich garantiert nicht zurückkommen, also muss das reichen.

Am Mittwoch bin ich doch noch übermütig und schaffe mir ein „Ensemble“ an. Nein, das hat nichts mit Musik zu tun – es sind einfach zwei Kleidungsstücke, die man sowohl zusammen, als auch getrennt und kombiniert mit anderen Klamotten tragen kann. Eine Art Hosenanzug, aber eben doch kein Anzug, in blau. Stoff und Farbe sind nicht identisch – sie passen nur sehr gut zusammen. Ja, leider müssen dazu auch neue Schuhe her – der Nachteil jeder Kleiderschrankausweitung: Neue Farben fordern neue Accessoires. Es geht doch nichts über einen ausbezahlten Urlaub – der macht so viel länger Freude als eine kleine Reise.

Überpünktlich um zehn vor neun bin ich dann am Donnerstag in dem Gebäude, das ich glücklich wiedergefunden habe. Ich muss zugeben, ich bin am Mittwoch noch einmal schnell vorbeigefahren, nach dem Einkaufen, damit auch wirklich nichts schief gehen kann.

Es ist seltsam, die Räume auf einmal so bevölkert und wuselig zu sehen. Immerhin erwartet man mich schon – die übliche Empfangsdame spricht mich gleich mit Namen an und führt mich in Mondheims Büro. Wo ich vor dem großen Schreibtisch Platz nehme, meine Papiere ausbreite und nur fünf Minuten warten muss, bis Jakob und Mondheim eintreffen.

„Was machen Sie denn da?“ begrüßt mich Mondheim. „Hinter dem Schreibtisch ist Ihr neuer Platz!“ Ich will protestieren, aber er lässt mich gar nicht zu Wort kommen. „Ich sagte Ihnen doch, das ist ab sofort erst einmal Ihr Büro. Also benehmen Sie sich auch so. Ich werde Sie sicher ab und zu stören müssen, aber ich werde versuchen, ganz leise und unauffällig dabei zu sein.“ Die Vorstellung, wie Mondheim ganz leise und unauffällig ein Zimmer betritt, bringt mich zum Lachen. „Ja, ja – amüsieren Sie sich nur auf meine Kosten,“ brummt er. „Notfalls setzen Sie mich einfach vor die Tür, wenn ich Sie störe. Aber zur Sache – ich sehe, Sie haben schon ein wenig vorgearbeitet?“ Er deutet auf die vielen beschriebenen Blätter.

„Ein wenig,“ erwidere ich. „Mehr gibt es erst, wenn ich den Vertrag habe.“ Genauso forsch muss man es wohl machen, denn in nullkommanichts ist der Bürokratiekram erledigt, vor dem ich ein wenig Angst hatte, und das neue Gehalt ist sehr ordentlich, sogar höher als beim Magazin. Was ich kühl und kommentarlos zur Kenntnis nehme. Die Frau von Welt macht das doch so, oder?

Mit meinen ersten Vorüberlegungen für das Internetportal gehen beide konform; aber das ist ja auch noch nicht viel. Sogar den gewünschten SM-erfahrenen Arzt hat Mondheim in der Zirkel-Hinterhand und verspricht mir, den Kontakt herzustellen. Was allerdings das Printmagazin betrifft, darüber brauche ich erst weitere Informationen, bevor ich mir etwas überlegen kann. Es soll ein kleines, ganz exklusives Teil werden. Nur für ausgesuchte Leser, sehr edel, sehr kunstvoll, sehr intim. Nun ja – damit kann ich noch nicht viel anfangen, aber mir wird schon etwas einfallen.

„Am besten fangen Sie erst einmal mit den Texten für das Portal an,“ schlägt Mondheim vor. „Um die ganze Technik, Domainbeschaffung, Programmierung, Layout und so weiter, müssen Sie sich nicht kümmern. Ich schicke Ihnen nachher noch unseren Herrn Siebert vorbei, einer unserer Programmierer, der macht das alles. Selbstverständlich in Absprache mit Ihnen. Vergessen Sie nicht, Sie haben hier den Oberbefehl, und wenn Ihnen etwas nicht gefällt, dann sagen Sie es. Siebert hilft Ihnen nur. Einen Namen für Ihr neues Kind müssen Sie sich auch selbst ausdenken. Und sobald die ersten Sachen stehen, gehen wir gemeinsam an das Printmagazin. Da wird Ihnen Deinar bei den praktischen Problemen helfen.“

Ein forschender Blick trifft mich. „Wo wir gerade beim Thema sind – was haben Sie eigentlich mit Deinar angestellt? Der Mann ist ja reineweg wie erschlagen.“

„Ich wüsste nicht, was Sie das anginge,“ entgegne ich ebenso pikiert wie genussvoll von meiner erhabenen Position in seinem Chefsessel aus, „aber wenn Sie schon fragen – wer sich nicht benehmen kann, muss damit rechnen, dass einige seiner Schläge ein Echo haben.“

Mondheim grinst. „Sie versuchen also, Deinar beizubringen, wie er sich benehmen soll? Na viel Vergnügen! Da haben Sie sich ja was vorgenommen.“ Scheint ihm ein diebisches Vergnügen zu bereiten, die Auseinandersetzung. Der soll bloß aufpassen – wenn mir das mit seinen Spielchen zu viel wird, macht meine gerade Rechte auch vor ihm nicht halt.

„Sie gehen aber sicher nicht davon aus, dass das Ihre Zusammenarbeit behindern wird, oder?“ fragt nun Jakob. Ich schüttele den Kopf. „Selbstverständlich nicht. Weit weniger in jedem Fall, als wenn wir uns zu gut verstünden.“ Kurz zucken seine Mundwinkel, während Mondheim laut loslacht. „Auch wieder wahr,“ bemerkt letzterer. „Na, Hauptsache, Sie übertreiben es nicht bei Deinar, sonst kriegen Sie ihn nie dahin, wo Sie ihn haben wollen.“

„Wer nicht da ist, wo ich ihn haben will, warum sollte ich den schon haben wollen?“ pariere ich.


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