Der SM Zirkel

1. Februar 2013

„Ja,“ räume ich ein. „Ich will für mich selbst mehr wissen – schließlich hat dieser dämliche Zirkel ja ganz schön in meinem Leben herumgerührt. Und ich bin am Überlegen, etwas darüber zu schreiben. Nur für den Fall natürlich, dass Sie Interesse an so etwas haben.“ „Durchaus,“ erwidert er. „Geheime Logen interessieren die Leser immer. Aber wie wollen Sie das anstellen, überhaupt nahe genug an eines der Mitglieder heranzukommen, um Informationen zu erhalten? Ihre eigene Geschichte beweist ja, wie geheim man agiert.“ „Geheim ja nun nicht gerade,“ widerspreche ich. „Man legt ersichtlich schon Wert darauf, den eigenen Einfluss zu kommunizieren. Lediglich mit den Details ist man sparsam. Man will sich nicht in die Karten sehen lassen – macht aber deutlich, dass man mit einem Superblatt spielt.“ „Da ist etwas Wahres dran,“ lacht Deinar. „Ihr Vorhaben macht das allerdings nicht einfacher.“

Ich werde das Gefühl nicht los, als ob er mit mir spielt. Tapsig zwar und eher gutmütig als böse, aber doch. Und genau das sage ich ihm auf den Kopf zu.

Er prostet mir zu, statt zu antworten. Erst als das Glas wieder steht, spricht er. „Sie haben Recht. Entschuldigen Sie. Ich habe mich amüsiert über Ihre Hartnäckigkeit, und ich bewundere es, wie Sie die Dinge anpacken, die eine Rolle in Ihrem Leben spielen. Ich bin mir auch sicher, es wird nicht lange dauern, bis Sie sich selbst einen Zugang zu dem Zirkel erobert haben. Wenn Sie wollen, kann ich das jedoch ein wenig verkürzen.“

Was? Der kriegt mit, worum ich mich bemühe, und sieht dann in aller Seelenruhe zu, wie ich mich dafür abstrampele, während er mit einem einzigen Satz alles beenden und mir geben könnte, was ich will? Das ist ja wohl unerhört! Und dann glaubt er noch, mit einem kleinen Kompliment könne er die Scharte wieder auswetzen.

Ich bin kurz davor, richtig sauer zu werden, da legt er mir plötzlich seine Hand über meine. „Ich wusste doch gar nicht, was Sie vorhaben,“ sagt er versöhnlich. „Hätten Sie mir erzählt, weshalb Sie diesen grässlichen Stammtisch aufsuchen wollen, ich hätte Ihnen gleich meine Hilfe angeboten. Aber vor den anderen wollte ich das nun auch nicht tun.“

Mist – da hat er nun auch wieder Recht. Riechen kann er das schließlich nicht, was ich will; da muss ich mich auch nicht aufregen, wenn er mir nicht gleich ungefragt zu Hilfe eilt. Warum habe ich ihn eigentlich nicht gleich angesprochen, ob er mich unterstützen kann? Schließlich ist er doch derjenige, von dem ich die bisherigen spärlichen Kenntnisse über den Zirkel haben; es wäre nur logisch gewesen, an eben jener Stelle nachzuhaken.

„Na, dann erzählen Sie mal ein bisschen mehr,“ sage ich.

***

Ich lehne mich mehr ge- als entspannt zurück. Deinar tut das Gleiche. Er sieht dabei allerdings aus wie die sprichwörtliche Katze, die am Sahnetopf genascht hat. Ganz schön hinterlistiges Bürschchen, das, hinter seiner harmlos-freundlichen Fassade! Da muss ich glatt aufpassen, dass er mich nicht noch schlimmer auf den Arm nimmt als andere, bei denen ich inzwischen wenigstens damit rechne. Nachdem ich vorher eher an ein In-den-Arm-Nehmen gehofft hatte.

„Natürlich kann ich Ihnen bei weitem nicht die ganze Geschichte liefern,“ beginnt er. „Ich weiß nur ein bisschen hiervon und ein bisschen davon; was man halt so mitbekommt, wenn der eigene Chef einem Verbund angehört, der sich auch die Einmischung in geschäftliche Angelegenheiten zur Aufgabe gemacht hat. Ich bin nicht einmal sicher, seit wann der Zirkel tatsächlich existiert. So etwa fünf Jahre bereits, schätze ich. Vielleicht etwas länger. Der Ursprung waren eigentlich zwei Paare, die das unheimliche Glück hatten, nicht nur privat und beruflich verbandelt zu sein, sondern sich auch noch erotisch gut zu verstehen. Wobei ihre Spiele sich keineswegs auf diese Vierergruppe beschränkt hatten; es gab eigentlich immer Kontakte auch zu anderen. Einer der beiden Gründer hatte mit 46 einen Herzinfarkt und kurz darauf den zweiten, den er nicht überlebt hat. Unter anderem zur Erinnerung an ihn suchten die anderen drei jemanden, der seinen Platz einnahm. Dadurch gab es weitere Kontakte, die jeweils immer wieder zu neuen führten, und irgendwann während dieser Phase beschloss man wohl, aus dem Viererkreis einen größeren zu machen. Nach und nach sind immer mehr neue Mitglieder dazugekommen. Momentan sind es meines Wissens 43. Sie kommen nicht allein hier aus der Stadt; manche wohnen nur in der Nähe, mehr oder weniger weit weg. Natürlich ist man wählerisch; man sollte schon eine gewisse gesellschaftliche Stellung haben, um überhaupt für die Aufnahme in Betracht zu kommen. Sie und ich, wir hätten dort keine Chance, mit offenen Armen aufgenommen zu werden. Diese Form der strengen Auswahl stärkt konstant den Einfluss der Gruppe; das läuft wie eine Art Perpetuum mobile mit eingebautem Selbsterhaltungstrieb. Selbstverständlich ist alles ziemlich geheim. Mondheim ist wohl der einzige, der aus der Gruppe selbst, ihren Aktionen und seiner eigenen Zugehörigkeit keinen Hehl macht. Alle anderen sind da eher diskret. Wobei sie dazu nicht verpflichtet sind; man darf durchaus außen etwas berichten. Sonst hätte ich Ihnen ja gar nichts sagen dürfen.“

„Also doch alles gar nicht so geheim,“ werfe ich ein.

„Nicht unbedingt, nein,“ antwortet Deinar. „Sagen wir einmal so – man wird zur Geheimhaltung nicht gezwungen, nur halten die meisten sich ganz von selbst daran. Was mich schon immer gewundert hat. Oder sagen wir lieber geärgert. Die meisten der Mitglieder haben eine Position, bei der ihnen niemand so leicht an den Karren fahren kann. Sie riskieren nicht viel, wenn sie sich offen zu SM bekennen. Trotzdem tun sie es nicht. Mir ist eine solche Denkweise suspekt. Entweder ist alles erlaubt und in Ordnung, dann kann man auch dazu stehen. Oder das ist es nicht – dann sollte man die Finger davon lassen. Aber etwas machen, dabei gleichzeitig so tun, als habe man damit nichts zu tun, was ist denn das für eine Haltung? Und sich dann noch wundern, dass andere nicht akzeptieren, was man selbst so verschämt unter dem Deckel hält!“

Da kann ich ihm nur vollen Herzens zustimmen. Das hat mich schon immer an der so genannten oder auch Szene gestört. Freiheiten haben wollen, für die man nicht einmal einzutreten bereit ist. Von anderen Menschen Toleranz erwarten, die man sich selbst nicht entgegenbringen kann. Klugheit nennen viele diese Feigheit. Alles eine Frage der Betrachtung, offensichtlich.

Jedenfalls sollen die ganzen diskretionsgeilen Anonymlinge mir nicht kommen und jammern, wenn andere ihre Neigungen ebenso pervers und schlimm finden wie ersichtlich sie selbst.

Nun ja – Mut ist ja immer der der anderen.

Aber so ganz passt das ja nun nicht zusammen, dass man auch im Zirkel auf Verschwiegenheit baut, ob nun förmlich oder nicht, und Deinar mir nun auf der anderen Seite so viele Informationen gibt. „Wird Mondheim nicht sauer sein, wenn er erfährt, wie viel Sie mir erzählt haben?“

Deinar zieht die Nase kraus. „Ich denke nicht; aber selbst wenn, interessiert mich das herzlich wenig. Man hat mit Ihnen Fußball gespielt, aus eben jenem Zirkel heraus, da haben Sie meiner Meinung nach ein Recht darauf, wenigstens zu wissen, auf welchem Hintergrund das alles vor sich gegangen ist.“ Dann grinst er. „Einen Artikel werden Sie daraus allerdings nicht machen können; den darf ich leider nicht genehmigen.“

Mist – genau das war doch der Grund für meine Fragerei! Und als ob er das nicht genau geahnt hätte! Kann es sein, dass der Typ noch immer ein bisschen mit mir spielt, hilfsbereite Freundlichkeit hin oder her? Womöglich ist er im Vergleich zu Maibaum der größere Sadist. In Ordnung – so lange es nicht weh tut … Und, ehrlich gesagt, es macht sogar Spaß. Mit Deinar kann ich einfach reden, wie mir der Schnabel gewachsen ist – und dass er dasselbe tut, ist angenehm. Immerhin sorgt es für klare Fronten. Das verbaut mir zwar den geplanten Artikel, aber dafür habe ich gewissermaßen die Erlaubnis, ihn noch ein bisschen weiter auszuhorchen.

„Haben Sie eigentlich schon einmal an einem der Treffen teilgenommen?“ frage ich neugierig. „Finden die regelmäßig statt?“

„Treffen gibt es viele,“ erwidert er. „In den verschiedensten Kategorien. Vollversammlungen, Teilversammlungen, ernsthafte Besprechungen, Seminare, Tagungen, Feste, was auch immer. Man ist da sehr aktiv. Wer an allem teilnehmen wollte, müsste mindestens einmal wöchentlich einen Abend opfern.“

„Das beantwortet nur den zweiten Teil meiner Frage,“ wende ich ein. Kann es sein, dass Deinar sich um gewisse Punkte ganz ausgesprochen herumwindet? Für jemanden, der von nichts eine Ahnung hat, was SM betrifft, weiß er eine ganze Menge, und irgendwie werde ich den Verdacht nicht los, als wisse er noch erheblich mehr und sei nur sorgfältig darauf bedacht, lediglich bestimmte Informationsausschnitte für mich zu wählen. Nur, keine Antwort ist in manchen Fällen auch eine Antwort. „Darf ich daraus schließen, Sie waren schon einmal dabei?“

Er sagt nichts, lächelt nur; also habe ich es richtig getroffen. „Und wie läuft das ab, ein solches Treffen? So richtig so mit Umhängen und Seidenmasken, Kerzen, einem Zeremonienmeister und allem?“ Aus dem Lächeln wird ein Lachen. „Ich sehe, Sie haben „Eyes wide shut“ gesehen. Nein, es ist alles ganz anders. Bei den Partys, ja, da putzen sich alle heraus, aber die normalen Treffen, die finden statt im Businessanzug und mit Aktenkoffer und Handy statt Maske. Überschätzen Sie die Rolle nicht, die SM bei dem Ganzen spielt. Das ist einfach ein privater Club, zu dem eine spezielle Neigung die Eintrittskarte ist. Anerkannt genug, nicht automatisch eine Strafverfolgung nach sich zu ziehen, ungewöhnlich genug, eine gewisse Auswahl darzustellen, und in den Augen der anderen so wenig harmlos, dass die Mitglieder sich gewissermaßen doch ein wenig in die Hand des Zirkels geben, sich also erpressbar machen. Den meisten von ihnen ist es die reinste Horrorvorstellung, würde ihre Umgebung etwas von ihren Vorlieben mitbekommen. Das gibt einen guten Ansatzpunkt für Manipulation, die nicht schwerwiegend genug ist, als Erpressung bezeichnet zu werden.“

Das enttäuscht mich ja dann doch schwer; nicht nur den Moralapostel in mir, sondern auch den Voyeur. „Und es gibt überhaupt keine geheimnisvollen, mysteriösen Rituale? Keinen Budenzauber?“

„Doch, doch – die Aufnahme eines neuen Mitglieds, das ist eine astreine Theatervorstellung. Mit Verkleidungen, Kerzen, Wein in alten Kelchen, gregorianischen Gesängen und allem Drum und Dran. Nur kommt das eben nicht allzu oft vor.“

Genau das würde mich aber interessieren; wen wundert das. Wobei ich glaube, dass Deinar mich beschwindelt. Wenn der Zirkel so viel Wert auf Diskretion legt, wie sollte dann ein Außenstehender so genau Bescheid wissen? „Zuschauer sind allerdings nicht zugelassen,“ ergänzt Deinar, als könne er Gedanken lesen. „Wenn Sie das miterleben wollen, müssen Sie sich schon selbst als neues Mitglied bewerben.“

„Hah! Jemanden wie mich werden die gerade nehmen! Sie haben doch selbst gesagt, wir beide hätten keine Chance!“

„Ich sagte, wir hätten keine Chance, mit offenen Armen aufgenommen zu werden,“ korrigiert er mich. „Das bedeutet nicht, dass man Sie nicht aufnehmen würde.“

Das fasziniert mich. Unwillkürlich lehne ich mich vor. „Soll das heißen, es wäre möglich?“ Er legt den Kopf schräg. „Die einzige Voraussetzung für die Aufnahme ist die Empfehlung und Bürgschaft von jemandem, der bereits Mitglied ist. Die meisten winden sich wie Aale über dem Feuer, wenn es um solche Empfehlungen geht. Das macht den Zirkel ja so sicher für alle – nur solche Neulinge, denen man wirklich trauen kann, werden überhaupt vorgeschlagen. Niemand riskiert es, seinen Ruf durch eine Bürgschaft zu gefährden, die ihm später um die Ohren fliegt. Also brauchen Sie nur eines der Mitglieder, das Ihnen entweder voll vertraut, oder dem sein Ruf egal ist und der notfalls den eigenen Rausschmiss in Kauf nimmt, falls Sie sich unbeliebt machen und das auf ihn zurückfällt.“

„Kleinigkeit,“ scherze ich. „Maibaum wird sich bestimmt schon durch ein einziges Wimpernklappern von mir sofort erweichen lassen.“ „An Maibaum dachte ich dabei eigentlich weniger,“ bemerkt Deinar trocken.

Was läuft hier eigentlich? Der will mich doch wohl nicht im Ernst in diesen blöden Zirkel hineinhieven? Außerdem, woher kennt er sich eigentlich so gut dort aus? Das kann ihm Mondheim unmöglich alles erzählt haben. Eine leise innere Stimme in meinem Kopf beharrt flüsternd darauf, was er mir geschildert hat, das ist nicht die weitergegebene Erzählung eines anderen – das ist eigene Erfahrung. Was aber hat jemand in einem SM-Zirkel zu suchen, der mit SM gar nichts zu tun hat? Wenn das nicht, dann wäre es schlicht eine Lüge, um mich zu beeindrucken.

Schon zum zweiten Mal erlebe ich jetzt einen Vorgesetzten, der angeblich nicht selbst schwarzledern eingefärbt ist und doch genügend Wissen, Verständnis und Toleranz an den Tag legt, um manchen echten SM’ler vor Neid erblassen zu lassen. Bei Maibaum hatte ich mich mit meiner Einschätzung gründlich getäuscht, er hätte mit SM nichts am Hut; bei Deinar wird mir ja wohl nicht dasselbe noch einmal passieren, oder?

„An wen denn?“ versuche ich meine zunehmende Unsicherheit zu überspielen. „Doch nicht etwa an Mondheim? Der kennt mich ja nicht einmal!“ „Keine Angst – ich hatte es schon einmal erwähnt: Mondheim vertraut meinem Urteil.“

Langsam wird es mir doch ein wenig zu bunt. „Sie meinen also, wenn ich jetzt sage, ja, ich will mir dieses SM-Tollhaus der High Society einmal von Nahem anschauen, dann rennen Sie zu Mondheim, und der verschafft mir prompt die Fahrkarte mitten hinein?“

Das Essen rettet ihn vor einer Antwort. Um die er sich jedoch, das muss ich ihm lassen, dennoch nicht herumdrückt. Kaum ist der Kellner wieder abgezischt, besieht er sich kurz den Dampf von seinem Teller – irgendein undefinierbares Nudelgemisch -, sieht mir dann direkt in die Augen. „Ja, genau das meine ich. Sie wissen gar nicht, wie weit Sie mit purem Mut kommen können. Einfluss, Position, Geld – klar, natürlich zählt das. Aber Sie müssen es ja nicht selbst alles haben – Sie müssen nur jemanden kennen, der es vorweisen kann. Sobald Sie bei einem solchen Menschen einen Stein im Brett haben – und der kann aus Ihrer Position ebenso stammen wie einfach nur aus Ihrer Persönlichkeit -, dann hilft der Ihnen weiter. Das verschafft Ihnen ein wenig mehr Einfluss, Sie helfen anderen, die wiederum Ihnen verbunden sind oder es dadurch werden, und so weiter. So funktioniert das Ganze. Das ist eine Maschinerie der Gegenseitigkeit, in der Sie automatisch mit drin sind. Sie müssen nur den Einstieg finden.“

Das klingt ja verlockend. Und verrückt. Ich, Anne Senreis, mitten zwischen lauter hochgestellten Herr- und Damenschaften. Einfach nur „ich will“ muss ich sagen, und dann öffnet sich für mich die Tür zum Paradies. Bloß dass dahinter gewiss eine ebensolche Hölle wartet wie in manchen Ehen, die im stellvertretenden Kirchenhimmel geschlossen, jedoch zwischen Kindergeschrei, Krümeln auf dem Tisch und Haaren im Abfluss gelebt werden.

„Sie verarschen mich,“ stelle ich fest.

„Stellen Sie mich auf die Probe,“ entgegnet er.


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