Der erste Kuss

12. Januar 2011

Als freier Mitarbeiter war ich in die Firmenorganisation nicht so richtig mit einbezogen. Trotzdem versäumte man es nicht, mich zu einer Betriebsfeier einzuladen. Abzusagen wäre unhöflich geworden, und so ging ich also hin, auch wenn ich offen gesagt wenig Lust dazu hatte.
Die meisten Mitarbeiter kannte ich nicht, Phil konnte mich wegen eines kollidierenden Termins nicht begleiten, und außerdem bin ich eh nicht so der Typ, der gerne feiert.  Von daher gab es also eigentlich nichts, was mich dorthin lockte. Ich sah es als lästige Pflichterfüllung.

Vielleicht gerade deshalb, weil ich so wenig Erwartungen daran hatte, entwickelte sich diese Feier jedoch zu einer ausnehmend schönen Angelegenheit.
Besonders angenehm fand ich es, dass James, dessen Frau ebenfalls nicht hatte kommen können, sich fast ständig an meiner Seite hielt. Nach dem Vorfall mit dem „asshole“ war unser Verhältnis irgendwie lockerer geworden. Und seit ich James energischer behandelte, teilweise schon geradezu dominant, war auch kaum noch etwas von dem „asshole“ in ihm zu erkennen. Er kam mir geradezu anschmiegsam vor.
Ungestört von den anderen, die eher auf Anekdoten und Witze bedacht waren, führten wir beide auf dieser Feier sogar ganz ernsthafte Unterhaltungen.
In einer dieser Diskussionen ging es um Politik, und uns beiden fiel der Name eines ganz bestimmten britischen Ministers partout nicht ein.
Für mich war das noch entschuldbar, denn schließlich war ich Ausländerin. Für James war es schon eher eine Blamage. Wobei ich die deutschen Minister auch meistens nicht beim Namen kannte. Jedenfalls beschlossen wir, im Internet nachzuschauen, wie der Name denn nun lautete.
Also verkrümelten wir uns von der Feier und begaben uns in James‘ Büro, wo er mir auch immer meine neuen Aufträge erklärte, sofern dies nicht per Mail erledigt wurde.
Er setzte sich nicht, sondern er stellte sich vor seinen Schreibtisch, wo der Computer noch lief, stützte sich mit den Händen auf die Platte und bediente die Maus. Weil er so groß ist, musste er sich schon ziemlich weit herab beugen.
Da ich hinter ihm stand, etwas seitlich, verschaffte mir das eine sehr schöne Gelegenheit, ihn in aller Ruhe genauer zu betrachten, ohne dass er mich dabei beobachten konnte.
Und ich stellte fest, dass mir James wirklich gut gefiel. Und dass ich Lust auf ihn hatte. Bestimmt spielte das Glas Sekt, das ich bereits geleert hatte, auch eine Rolle dabei, dass ich dem prickelnden Gefühl nachgab, das sich in mir auszubreiten begab.
Ich betrachtete mir die schöne Rundung seines Hinterns, wie üblich in teuren Stoff gehüllt , streckte die Hand aus – und machte genau das, was sonst Männer bei den Frauen machen, ich packte zu, die Hände auf einer Arschbacke ausgebreitet. Und ich packte kräftig zu.
James zuckte ganz kurz etwas zurück, dann erstarrte er. „Ich möchte dich küssen“, sagte ich. Ich riskierte viel; wenn er nicht in der Stimmung für diese Spielerei war und sauer wurde, würde das unsere berufliche Beziehung schwer beeinträchtigen können.
Tja, aber mach einmal jemand etwas dagegen, wenn die Lust in einem hoch kocht und sich ausbreitet …
Er senkte den Kopf. Sehen konnte ich es nicht, aber ich spürte es, wie er überlegte. Ganz sicher war er bei seinem guten Aussehen es zwar gewohnt, dass ihm die Frauen nachliefen; aber ebenso sicher war es nicht gewohnt, dass sie Forderungen an ihn stellten. Wobei meine Forderung ja nur eine ganz kleine war.
Meine Hand presste sich noch immer in seinen Hintern. Er kam hoch, drehte sich um. In seinen Augen stand so viel – Begehren, Widerstreben, Neugier und Angst.
Ich wartete gar nicht erst lange, bis er sich endgültig entschieden hatte, sondern ich griff mir mit einer Hand seinen Kopf und mit der anderen seinen Schwanz. Dann küsste ich ihn und knetete gleichzeitig seine deutlich fühlbare Erektion.
Sehr fest tat ich das. Und auch mein Kuss war nicht zärtlich. Ich bekam seine Unterlippe zwischen die Zähne und biss zu. Ein ersticktes Stöhnen ganz hinten in James‘ Kehle besaß die Intensität eines Schreis.
Da wusste ich, ich bin auf dem richtigen Weg.
James brauchte eine Frau, die Forderungen stellte. Er brauchte eine Frau, die ihm sagte, was er zu tun hatte. Selbst wenn das seine Ursache nur darin hatte, dass er dann keine Verantwortung dafür trug, was geschah – als ehemaliger Schüler am Priesterseminar und verheirateter Mann hatte seine Seele ja schon gegen Sex ganz allgemein, erst recht aber gegen einen Seitensprung eine Menge einzuwenden – das kümmert e mich nicht.
Die Bereitschaft war da – und ich wusste, ich würde sie ausnutzen.
„Sorg dafür, dass wir uns am Wochenende irgendwo treffen können“, flüsterte ich James ins Ohr, biss einmal sehr kräftig in sein Ohrläppchen, dass er zuckte, drehte mich um und ging hinaus. Ich verließ die Feier, ohne ihm die Gelegenheit zu geben, noch einmal mit mir zu sprechen.


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