So wird das nichts

3. November 2012

Warum habe ich bloß so lange gewartet mit dem Einkaufen? Am frühen Nachmittag hätte ich das noch ohne das Gedrängel und Geschubse erledigen können, das mir dann kurz nach vier den Aufenthalt im Supermarkt zur Tortur machte. Dabei weiß ich doch genau, wie voll es um diese Zeit meistens ist, weil ich mich oft genug genau dann ins Getümmel stürzen muss, direkt nach Feierabend, wenn es in der Mittagspause wieder einmal nicht gereicht hat oder mir das Zeug sonst in den Nachmittagsstunden vergammeln würde im Sommer. Aber jetzt hätte ich doch die freie Auswahl gehabt. Über die Rentner, die unbedingt die heftigsten Stoßzeiten nehmen müssen, um sich dann vorzudrängeln, weil sie ja so wenig Zeit haben, rege ich mich auch immer auf.

Und wenn ich schon nicht klug genug war, die freie Zeit vorher auszunutzen, hätte ich wenigstens bis halb acht warten können. Kurz vor Ladenschluss ist es oft genug angenehm leer, und wer mit seinen Wünschen nicht sehr anspruchsvoll ist, kriegt meistens auch noch fast alles, was er braucht.

Die Unsicherheit meiner Situation verführt mich seltsamerweise nicht zum Sparen, sondern zu einem geradezu wahnwitzigen Einkaufsamok. Ein paar neue Videos sind allerdings lebensnotwendig – sie müssen mir über die Stunden hinweghelfen, in denen ich sonst hohl drehen würde. Den ganzen Kram von den Regalen zur Kasse, von der Kasse ins Auto und aus dem Auto die Treppe hochzubringen ist eine grässliche Asterei.

Noch im Hausflur höre ich das Telefon klingeln. Natürlich schaffe ich es nicht rechtzeitig in die Wohnung, und dann bimmelt schon mein Handy, das ich erst einmal aus meiner Handtasche herauswühlen muss. Männer haben ihre Westen- und Hosen-, Frauen haben ihre Handtaschen, in die sie wahllos alles hineinstopfen, was sie zu brauchen glauben, und so dauert das zu lange – die Mailbox springt an, und ich bin am Fluchen über den verpassten Anruf.

Der sich bei der Mailboxabfrage zwei Minuten später, als ich schweratmend in meinem eigenen Flur stehe, die Einkaufstüten um mich herum verstreut, als einer von Philipp herausstellt. Als ob ich es nicht geahnt hätte. Er klingt ziemlich ungehalten; wo ich mich denn herumtreibe, so in dem Stil, hat er das Band besprochen. Und ich soll ihn umgehend zurückrufen, noch heute.

Aber ja doch, der Herr. Selbstverständlich.

Hatte ich nicht gesagt, ich nehme mir Urlaub? Wieso bitte soll ich trotzdem für ihn erreichbar sein, bin ich etwa seine Hampelfrau? Wenn ihm der freie Tag nicht recht war, warum hat er dann nicht gleich widersprochen?

Noch gilt mein alter Vertrag; und wenn ich danach in die Wildnis des Freiberuflerdaseins gestoßen werde, muss ich ohnehin sehen, dass ich meine angefallenen Urlaubstage alle noch in Anspruch nehme. Sonst verfallen sie schlicht und simpel. Urlaub ausbezahlen ist etwas, das in dem Schuppen nicht in Frage kommt. Man versucht zwar immer, die Mitarbeiter davon abzuhalten, ihren Urlaub zu nehmen, wann sie ihn gerne hätten – irgendetwas ist ja immer, warum es ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt nicht passt –, aber das einzige wirkliche Lockmittel, das Geld als Entschädigung, damit ist man knauserig.

Dumm, dass die meisten meiner Kollegen sich aus Angst um den Job schurigeln lassen und ihre Urlaubspläne tatsächlich nicht mit der eigenen Familie abstimmen, sondern von den Chefs aufoktroyieren lassen. Noch dümmer, dass ich zur Lemmingsmasse dazugehöre. So kommt es, dass ich seit etwas über einem Jahr bis auf ein paar einzelne Tage im Prinzip überhaupt keinen Urlaub hatte. Selbst schuld – schön blöde, für einen Arbeitgeber so aufopferungsvoll zu sein, der mich jeden Tag ohne den kleinsten Skrupel auf die Straße setzen würde und nun prompt auch setzt.

Aber es hilft ja nichts – ohne Philipp kann ich mir selbst das bittere Bonbon, das man mir als Ausgleich anzubieten wagt, in die Haare schmieren. Wenn er sich querstellt, gibt es in zwei Monaten gar nichts mehr für mich. Jedenfalls habe ich Meisig genau so verstanden, dass allein Philipps Intervention mir wenigstens diesen schleichenden Übergang zum Nichts verschafft hat und somit auch sichert. Natürlich könnte es sein, dass Meisig lügt. Nur – warum sollte er das tun, gegenüber einem so unwichtigen Nägelchen in seinem Betrieb wie mir?

Okay, okay, natürlich rufe ich sofort zurück, nachdem ich meine Windjacke und die Schuhe ausgezogen sowie meinen Kram in der kleinen Küche verstaut habe. Ich bin ja selbst viel zu neugierig, um meinen Trotz dem Erhalten von mehr Information im Wege stehen zu lassen.

„Wo warst du denn die ganze Zeit?“ begrüßt mich Philipp. „Ich habe seit Stunden versucht, dich zu erreichen!“ Die offensichtliche Lüge empört mich. „Den größten Teil des Nachmittags, Herr Chefredakteur, habe ich gearbeitet. Hier, in meiner Wohnung. Da hat niemand angerufen. Ich nehme an, du warst währenddessen zu sehr mit der Redaktionssitzung beschäftigt. Und jetzt gerade eben war ich einkaufen – leben muss der Mensch schließlich. Insgesamt war ich noch nicht einmal eine Stunde weg, und mein Handy war die ganze Zeit an, hat sich aber nicht gemeldet. Allzu oft kannst du es also gar nicht probiert haben.“

„Wir müssen uns unterhalten,“ geht er geschickt über meine berechtigte Kritik hinweg. „Das müssen wir allerdings!“ erwidere ich. „Bist du heute Abend frei?“ fragt er.

Ich hole nicht einmal Luft vor meiner Antwort, von Nachdenken ganz zu schweigen. „Nein – ich treffe mich mit meinem Freund,“ rutscht mir die Entgegnung raus, noch bevor ich meine Bosheit zügeln kann. Die pure Erfindung. Erstens bin ich derzeit solo, und zweitens könnte mich ein entsprechender Beau auch kreuzweise, wenn ich meine beruflichen Angelegenheiten in Ordnung bringen muss. Mein Trotz von vorhin hat sich einfach seinen Rückschlag erobert.

Die Erwähnung dämpft ihn sichtlich. „Morgen tagsüber kann ich nicht weg, es ist einfach zu viel, was hier anfällt. In Ordnung – dann treffen wir uns morgen Abend. Um sechs in meinem Büro. Dann können wir die beiden fertigen Artikel durchgehen, da ist noch einiges zu ändern, und ich hoffe, du kannst mir bis morgen auch schon die ersten Folgen deiner Fortsetzungsgeschichte vorlegen, damit wir das in trockene Tücher kriegen.“

Aha, jetzt kehrt er den Chef raus, nur weil er beleidigt ist, dass er in meinem Sexualleben nicht die erste Geige spielt. Ich habe mich ja selbst in diese Ecke hineinmanövriert, aber seine Reaktion ist trotzdem eine Unverschämtheit. Diesen knarzblöden Ausdruck von den trockenen Tüchern hasse ich sowieso wie die Pest; als Teil einer Geheimsprache der Manager, die glauben, Worthülsen würden Wissen ersetzen. Außerdem übersieht er etwas. „Es geht ja wohl nicht nur um die Artikel – es ist noch einiges andere zu regeln! Vor allem die Einzelheiten der geplanten Umstrukturierung, was meine Position betrifft. Ihr könnt mich nicht einfach zappeln und schon einmal arbeiten lassen – ich will das alles vorher ganz genau geregelt haben!“

„Darüber sprechen wir dann,“ sagt er, verabschiedet sich – und legt auf.

Was für miserable Umgangsformen!

Ich gebe zu, mir ist etwas oder vielmehr ziemlich besorgt zumute. Um genauer zu sein: Jetzt habe ich langsam richtig Muffe. Und ich ärgere mich über mich selbst, dass ich ihm, nur um ihn zu triezen, so einen blöden Mist von meinem nichtexistierenden Freund erzählt habe. Hätte ich den Mund gehalten, wüsste ich vor dem Schlafengehen schon, was mir bevorsteht. So habe ich weitere nervenzerfetzende mehr als 24 Stunden vor mir. Durch eigene Schuld. Bloß, verdammt – was geht ihn denn das genaugenommen an, ob ich einen Freund habe oder nicht? Das dürfte ja wohl eigentlich sein berufliches Verhalten mir gegenüber nicht beeinflussen.

Oh, Himmel, wie konnte nur soviel schief gehen in der kurzen Zeit seit Freitag Abend? Als ich ihn vor meiner Tür mit der Cindy-Leine in der Hand gesehen habe, da war mein Leben noch in Ordnung, und ich hatte allenfalls eine rein private Enttäuschung zu verkraften. Mittlerweile ist fast meine gesamte Welt in Scherben, und ich stehe vor dem Porzellanhaufen wie ein Ochse vor dem Berg. Als ob ein Stier schlauer wäre.

Was lernen wir daraus? Man sollte sich nie in jemanden verlieben, mit dem man den Arbeitgeber teilt. Es heißt zwar, die meisten Beziehungen würden am Arbeitsplatz beginnen (und enden …), aber das Bewusstsein für diese Zahl kann nur deshalb so scharf sein, weil eigentlich keine dieser Beziehungen, ob sie nun im Werden oder nur im Wünschen begriffen sind, und ob sie halten oder wieder auseinandergehen, in jedem Fall die ganze komplizierte Sache mit der Liebe noch um ein Mehrfaches verschlimmern und durchweg nichts als Probleme machen.

Das wusste ich vorher auch. Es hat mich nicht davon abgehalten, mich in Philipp zu verkucken; nun ja, vielleicht bin ich in Zukunft etwas schlauer. Freiberufler sein hat ja mit Freiheit auch nur insofern etwas zu tun, als man frei in der Luft hängt. Das eröffnet keinen Weg, unbeschwert einen Kontakt zum Intimen auszubauen – ganz im Gegenteil.

Ich sollte mir den Typen einfach abschminken.

Einfach; hm. Was ist daran einfach?

Vielleicht hilft es, wenn ich das erst einmal per Geschichte erledige? Andererseits, um Gotteswillen, wenn ich die männliche Hauptfigur nach der ersten Session gleich wieder entferne, sieht es schlecht aus mit den Fortsetzungen. Man duldet zwar SM in der Redaktion (eine der wenigen positiven Dinge, die ich über den Schuppen sagen kann), aber Promiskuität noch obendrauf, das ist eine Perversion zuviel.

Nein, ich werde schön brav sein und eine Liebesbeziehung zwischen den beiden entstehen lassen, die sich gewaschen hat. Wer weiß, vielleicht bekommt Philipp dann sogar Sehnsucht nach etwas mehr als seinem militärhaften Herumkommandieren.

Halt, nein – ich wollte mir ihn ja abschminken. Ein echter Mist, dass das nicht leichter geht! Eine Pinzette nehmen, und die Verliebtheit entfernen wie ein lästiges Augenbrauenhaar. Das tut zwar auch weh, aber man ist das Teil erst einmal los.

Vorübergehend.

Andererseits, je öfter man es auszupft, desto länger dauert es, bis es wieder da ist. Hartnäckigkeit ist die Devise.

Oh, wenn Philipp wüsste, wie sehr mich sein dämliches Verhalten an den Kragen stößt! Oder weiß er es und benimmt sich deshalb so widersprüchlich und daneben?

Wer auch immer ihn erzogen hat – er/sie hat dabei einiges versäumt. Da besteht dringender Nachholbedarf. Womit wir gleich beim Thema wären …

„Ein raunendes Lachen geht durch den Saal.“

Da ich sicher bin, dass Philipp keine chicen Retros in Satin trägt, sondern eher praktische weiße baumwollene Unterhosen, ist diese Antwort gar nicht so verkehrt. Obwohl, vielleicht überrascht er mit seiner Wahnsinnskorrektheit in der Kleidung ja alle und ist zumindest auf Partys festlich angezogen, auch untendrunter?

Egal. Weiter im Text.

„Das brauchst du nicht mehr,“ sagt sie und deutet auf den glänzend-schwarzen Slip. Philipp …“ oh, Mist, der hieß doch Peter! Ich muss unbedingt daran denken, den Namen am Schluss per Suchen und Ersetzen zu korrigiere, bevor Philipp etwas davon in die Hand bekommt. „Peter wird sichtbar rot.“

Ach, Gott, Scheiße – was soll denn der Mist? Was interessiert mich momentan die verfluchte Erotik? Ich will mein Leben wieder in Ordnung gebracht haben!

***

Nach einem ziemlich trübsinnigen Abend wirft mich eine grässliche Nacht schon vor sechs Uhr – morgens natürlich – wieder aus dem Bett. Dabei habe ich sonst richtige Mühe, immer pünktlich um sieben aufzustehen, damit ich zwischen acht und neun im Büro eintrudeln kann. Aber das ist ja immer so – könnte man schlafen, dann kann man nicht; und wenn man zum Umfallen müde ist, steht kein gnädiges Bett nebst entsprechender Atempause zur Verfügung.

Ich beschließe, doch noch ein wenig weiterzuschreiben. Meine einzige Chance jetzt ist, Philipp ausreichend zu beeindrucken mit dem, was ich ihm bereits liefern kann. Natürlich hatte ich eigentlich beschlossen, damit ganz langsam zu machen. Aber noch werde ich ja nicht nach Stunden bezahlt. Man kann doch wohl meinen Vertrag nicht einfach so einseitig ohne meine Zustimmung und Unterschrift und ohne Detailregelung ändern, oder? Also müsste der noch so lange gelten, bis ich einen neuen in der Hand habe. Außer dass ich zu Hause arbeite, ist momentan, wenn ich das recht überblicke, noch gar nichts anders als sonst. Ganz im Gegenteil – Philipp erwähnte doch sogar ausdrücklich sogar die zwei anderen Artikel für die aktuelle Ausgabe. Alles wie gehabt; nichts von wegen nur Fortsetzungsgeschichte. Lediglich mein Arbeitsort hat sich geändert, bei gleichbleibenden Anforderungen. Und wo die identisch sind, muss es ja wohl auch die Bezahlung bleiben und der ganze andere Kram.

Vielleicht darf ich aus Philipps Erwähnung der üblichen Sachartikel sogar schließen, die Kolumnen laufen ganz normal weiter wie gehabt, bloß kommt die Geschichte dazu; und dann wäre der einzige Unterschied in der Zukunft die soziale Absicherung im Status. Schlimm genug – andererseits, es gibt immer Schlimmeres. Das heißt nicht, man muss jeden Mist akzeptieren, aber es ist schon erlaubt, sich etwas einmal ein bisschen schönzureden.

Dem Himmel sei dank für meinen PC, der ähnlich ausgerüstet ist wie der im Büro. Hochlaufen lassen, Textverarbeitung aufrufen, Datei öffnen. Wie in der Redaktion, nur ganz ohne Störung durch Telefonate oder Kollegen.

Ich weiß ja auch nicht, ob es ein passender Tagesanfang ist, Philipp vollständig auszuziehen – aber ein besserer ist heute eben nicht drin. Das ist nun einmal die Stelle, an der ich gestern aufgehört habe.

„Widerstrebend streift Peter das satinschimmernde Kleidungsstück über seinen Hintern – ordentlich knackig, das Teil; hätte ich ihm gar nicht zugetraut! -, und die Beine entlang, bis er es schließlich in der Hand hat und ganz nackt ist. Die Scham, die er bestimmt empfindet, ist ganz eindeutig nicht die beherrschende Empfindung – jedenfalls hat er trotz der überraschenden und keineswegs nur angenehmen Situationen einen halben Ständer. Sie probiert kurz ihre kleine Peitsche daran aus. Ein unterdrückter Schrei, und schon hat der Schock die Erregung überwunden. „Setz dich,“ sagt sie. Peter setzt sich auf den bereitgestellten Stuhl. „So doch nicht! Rittlings!“ Er gehorcht, mit den Armen über der Stuhllehne und seinen langen Beinen darunter. Sie reicht eines der Seilknäuel an ihren Sklaven weiter, der es aufrollt und geschickt zuerst Peters Hände mit Achterschlingen fesselt, dann die Füße. Zwischen beidem bleibt ein kurzer Strang Seil; so kurz, dass er Peter zwingt, sich weit nach unten zu beugen und seinen Rücken krumm zu machen. Genau das scheint die Absicht dabei gewesen zu sein. Beinahe spielerisch versetzt sie ihm ein paar Hiebe auf die Schultern. Er versucht auszuweichen, zuckt in den Seilen. Aber das war wohl nur der Anfang ihrer Vorführung. Sie wendet sich von ihm ab, als sei er nicht wichtig genug für eine ordentliche Auspeitschung, und ihrem Sklaven zu. „Jetzt du.“ Er weiß ersichtlich bereits, was von ihm erwartet wird, zieht sich bereitwillig aus – wieder bis auf die nackte Haut; allerdings ist er anders als Peter rasiert: Man sieht also mehr – und beugt sich im Stehen nach vorne, die Hände an die Fußgelenke gelegt. Ganz schön gelenkig, das Kerlchen. Ob das die viele Übung macht? Er nimmt diese Haltung so selbstverständlich und ohne jede weitere Erklärung ein, sichtlich ist er sie gewohnt. Ob nun Zufall oder Absicht, jedenfalls steht der Sklave mit etwa zwei Schritten Entfernung genau in Peters Blickfeld. Er wird nicht gefesselt. Na, er hat ja auch mehr Übung und bestimmt nicht mit dem schauernden Widerstreben zu kämpfen wie dieser. Sie streicht ihm einige Male sanft über den Hintern – der mir fast noch besser gefällt als der von Peter -, zieht dann mit ihren langen Fingernägeln eine Spur quer über seinen Rücken, die sich schnell rötet. Er bewegt sich nicht einen Millimeter. Als nächstes schlägt ihre Peitsche zu. Fest; sie zischt richtig. Wieder geschieht nichts; kein Laut, kein Zucken.“

So, jetzt wird es aber Zeit, die erzählende Hauptperson wieder ins Geschehen hineinzunehmen; mich nämlich. Ich habe lange genug dumm auf der Bühne herumgestanden.

„Völlig überraschend dreht sie sich zu mir um. „Jetzt bist du dran,“ lächelt sie. „Du siehst, mein kleiner Sklave ist wirklich einiges gewohnt. Du kannst gar nichts falsch machen. Tob dich einfach an ihm aus. Und wenn du das hinter dir hast, nehmen wir uns gemeinsam deinen Begleiter vor.“ Mir rutscht das Herz in die Hose. Aber was soll ich machen – mich zurückziehen und mich dem Spott aller Besucher aussetzen? Der eine oder andere kennt mich bestimmt – oder wird mich wiedererkennen. Ich müsste mich in Grund und Boden schämen, so sehr versagt zu haben. Nein, es hilft nichts – ich muss es wagen. Sehr zögerlich lasse ich die Enden der kleinen lila Peitsche den Rücken vor mir streifen. Sie lacht; gutmütig. „So geht das nicht. Ein bisschen fester musst du es schon machen. Trau dich doch einfach!“ Ohne dass ich mich versehe, steht sie plötzlich hinter mir, so dicht, dass ich ihr Ledermieder gegen das weiche Gummi meines Latexoveralls spüre und ihre gut verpackten, sichtlich vollen Brüste sich gegen meine Schulterblätter drücken.“

Hatte ich vorher schon etwas dazu gesagt, wie die Damen gekleidet nicht? Das muss ich dringend noch einflicken. So etwas lesen die Männer doch immer gern, und die Damen holen sich Anregungen daraus.

„Sie legt ihren rechten Arm gegen meinen, umfasst meine Hand – und schon saust ein erster Hieb auf die glatte helle Haut vor mir nieder, bei dem ich die Augen schließen muss. Ich sagte ja schon, eine echte Domina bin ich noch lange nicht. Der Schlag war fest genug, nun doch eine kleine Bewegung auszulösen und einen unterdrückten Laut – wenn das arme Opfer nicht schauspielert. Wie auch immer – diese Konsequenzen verwandeln sich blitzschnell in einen Pfeil, der mich mitten in mein Zentrum trifft. Hm! Gleich noch einmal, diesmal ohne ihre Hilfe. Es ist schon beinahe ein Stöhnen, das ich ihm entlocke; dabei ist außer ihrer Kratzspur noch immer nichts auf seinem Rücken zu sehen. Ich spiele noch ein wenig mit diesen Reaktionen, die mich seltsam berühren, dann fahre ich mit den Händen seinen Rücken entlang, hinterlasse Abzeichen auch meiner Fingernägel. Er drückt sich regelrecht gegen meine Handflächen. Noch bevor ich überlegen kann, ob ein solches Schauspiel nicht relativ langweilig ist für die Zuschauer, drückt sie mir ein neues Werkzeug in die Hand; eine lange, glatte, schlanke Reitgerte aus schwarzem Leder. Ich wippe damit ein paar Male gegen meine so glatt und eng und glänzend umschlossenen Oberschenkel. Ja, das fühlt sich gut an. Aber nur Schlagen, das ist doch einfach langweilig! Andererseits, intim berühren möchte ich diesen Fremden nun auch wieder nicht. Schade, dass nicht Peter an seiner Stelle ist. Es wäre mir ein solches Vergnügen, ihn mit Fingerspitzen und Fingernägeln mitten in seinem unrasierten Urwald ein wenig vor Wonne tanzen zu lassen, bevor ich das nächste Mal zuschlage und eine Weile lang ständig härter werde.“

Gott, ist das langweilig! Da hatte ja meine eine Ohrfeige ganz ungeplant mehr Kraft als dieser dilettantische Eiertanz! Nicht dass eine professionelle Session mit links-zwo-drei-vier reizvoller wäre. Aber irgendwie muss da mehr Pepp rein. Mehr Leben. Echtes Leben – nicht bloß mehr Schläge. Da müssen Gefühle kommen, da muss die Umgebung wahrgenommen werden, da muss alles eingebettet sein in Realität.

Und vor allem: Wer will schon nur lesen – oder entsprechend auch schreiben – über solche Situationen? Erleben will man die! Und das muss nicht einmal halb so weit gehen. Menschenskinder, wenn mit Philipp alles klar und er hier wäre, dann müsste gar kein Mordsding von einer Session passieren, und ich wäre trotzdem glücklich. Einfach nur die Nähe eines anderen Menschen spüren. Die ja ohnehin Voraussetzung ist für alles, was an SM stattfinden kann – und trotzdem reduzieren so viele Geschichten, die kursieren, das Ganze auf einen technischen Wichsablauf. Sex, Sex, Sex. Jeder liest drüber, aber wichtig ist es doch nur so lange, wie die Hormone toben. Gut, ich gebe zu, bei Männern ist das ziemlich häufig der Fall; weit häufiger anscheinend als bei uns Frauen. Trotzdem vergessen die doch über dem nächsten Meeting, Fußballtor oder Bier auch ganz schnell alles, was das betrifft.

Ich möchte nicht bloß Sex. Ich möchte ein Kissen haben, das meine Seele schützt. Wenn es dann noch ab und zu richtig geil wird, umso besser. Aber lieber das erste ohne das zweite als umgekehrt.

Wobei – ich glaube nicht, dass Philipp das ähnlich sieht. Wenn er überhaupt an einer Beziehung interessiert ist, ganz unabhängig davon, ob mit mir oder mit wem auch immer, dann ist Sex ihm bestimmt wichtiger als Kuscheln. Noch wichtiger ist dann das restliche Leben.

Und an allererster Stelle kommt in jedem Fall – richtig, die Arbeit. Eben das, womit ich mich jetzt eigentlich intensivst herumschlagen sollte, statt die Zeit mit philosophischen Überlegungen verfließen zu lassen.

Und mit Arbeit meine ich Arbeit. Schreiben, das ist ja ganz nett. Aber der Kerl will bestimmt keine einzelnen Episoden lesen, sondern ein Konzept vorgelegt bekommen. Eine Art Gliederung, von Anfang bis Ende, auch wenn das bestimmt erst in vielen Wochen kommt. Klasse; als ob man vorher immer so genau wüsste, was in einer Geschichte alles passiert! Die bekommt doch ganz schnell eine prickelnde Eigendynamik, die sich zwar nicht der eigenen Schreibfähigkeit entzieht, sehr wohl aber der offensichtlichen Beeinflussung. Wer lebendige Menschen auf Papier erschafft, der erschafft damit geradezu selbständig agierende Charaktere, die immer mindestens soviel mitzureden haben beim Fortgang einer Entwicklung wie der Autor selbst.

Nein, ich brauche keine Klapsmühleneinweisung; ich schreibe einfach auf diese Weise. Andere schreiben anders, viele mit strikten Vorgaben an Charakter, Geschehnisse und Umgebung. Das ist bestimmt viel überlegter als meine Schreiberei. Aber ich kann nun einmal nicht aus meiner Haut und muss so schreiben, wie mir die Tippfinger gewachsen sind.

Ein Konzept also. Worum geht es? Um eine Beziehung. Was macht die Beziehung interessant? Sex und Missverständnisse. Packen wir also eine kräftige Dosis von beidem hinein, runden alles mit einem Happy-End ab, und fertig ist die Superstory.

Soweit das Grobkonzept. Nun zu den Details. Um das Ganze noch reizvoll-verbotener zu machen, bewegt unser Pärchen sich auf dem Boden nicht der simplen Erotik, sondern der Sinnlichen Magie. Raum genug für Dutzende an spannenden Sexszenen, eine wilder als die andere. Wobei die erste, die öffentliche, eigentlich nur die Unsicherheit der Protagonistin zeigen soll. Dass sie dominant ist und er devot, versteht sich von selbst. Da liegen die ersten Komplikationen, dass sie zwar dominant ist, aber ungeübt; und er ist dann bestimmt devot, so ein bisschen, aber total erfahren und nimmt deshalb das Heft in die Hand. Die zweite Problemebene ist natürlich das Büro; schließlich haben sich in meinen Hauptpersonen nicht umsonst Chefredakteur und Journalistin verliebt.

Gut ausgehen müssen natürlich sämtliche Konflikte. Da es aber politisch nicht opportun ist, die glückliche Liebe am Arbeitsplatz als Credo zu verkünden, ist es dazu erforderlich, dass mindestens einer von beiden einen Wechsel im Arbeitsleben hinter sich bringt. Am besten wäre es, wenn beide sich am Schluss als freie Journalisten selbständig machen und so glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende zusammenarbeiten können. Aber erstens ist soviel Glück viel zu kitschig, und zweitens würde ein Chefredakteur sich nie freiwillig so viele Stufen hinunter begeben.

Moment mal – aber da könnte man doch ein wenig nachhelfen, bei diesem Fall? Das Verhältnis wird entdeckt, und in der Geschäftsleitung schiebt man ausnahmsweise einmal dem Mann und Vorgesetzten die Schuld in die Schuhe. Sie darf bleiben, während er rausfliegt, mit beschissenem Zeugnis. Monatelang findet er keine neue Stelle, weil ihm sein schlechter Ruf vorauseilt. Daraufhin opfert sie sich irgendwann auf und begibt sich mit ihm zusammen in die Unsicherheit einer Informationsagentur.

Hach, mir kommen die Tränen! Viel realistischer wäre es, wenn sie die Kündigung kriegt und er ungerührt mit ihrer Nachfolgerin herumvögelt, bis auch die den Hut nehmen muss.

Dummerweise ist das eine wie das andere kitschig; kitschig im Sinne von unglaubwürdig überzogen. Obwohl das Leben sich um solche Adjektive nicht schert. Da wäre im Zweifel sie sogar noch schwanger oder so etwas. Aber ich bin nicht die Realität, ich bin nur ein Schreiberling. Ein neues Ende muss her.

Vielleicht fällt mir unterwegs noch etwas ein. Ich habe soviel herumgekramt und überlegt, dass ich mich nun sputen muss, wenn ich rechtzeitig gewaschen, obwohl unrasiert bei ihm eintreffen will. Und los geht’s – die Kandidatin hat noch 25 Minuten und ist eine Frau; das wird eng!

***


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