Seltsame Begegnung

17. Dezember 2009

Nun wirkt es im Deutschen ja schon sehr herablassend, einen Fremden einfach zu duzen; das tut man einfach nicht.
Man muss sich hier aber immer vor Augen halten, dass ich in London bin und Englisch – noch immer mit einem leichten deutschen Akzent – spreche; das heißt, es gibt keine Unterscheidung zwischen Sie und du; und meine Verachtung, die im Deutschen alleine schon die Wortwahl ausgedrückt hätte, musste ich in dieser Situation voll in den Tonfall legen, mit dem ich sprach. Das allerdings tat ich mit aller Inbrunst, denn ich hasse es, angestarrt zu werden!

Sofort wurde sein Blick, bis zu diesem Zeitpunkt ruhig und sicher, flackernd und zutiefst verlegen. So, als ob er bei etwas ertappt worden wäre, was ihm vielleicht nicht einmal selbst bewusst gewesen war.
Oder bei etwas, dessen er sich massiv schämte.
Er sprang auf, entschuldigte sich stammelnd bei mir. Was ich mir so ruhig anhörte, wie er noch vorhin gewesen war.
Es war, als hätten wir die Rollen getauscht. Sein Blick hatte mich verlegen und unsicher gemacht; zumindest anfänglich, das hatte ich ja gesagt. Auch wenn ich das natürlich nicht so deutlich und unverkennbar gezeigt hatte, meine ursprüngliche Unsicherheit, wie er jetzt die seine zeigte.
Aber jetzt wuchs meine Sicherheit wieder, mit jedem Anzeichen, wie sehr seine dahingeschwunden war.
Wir standen uns gegenüber, er peinlich berührt, ich inzwischen eher amüsiert. Es war schon seltsam, wie sich dieser Kontakt ergeben hatte. Nachdem er sich entschuldigt hatte, sagte er nichts mehr, richtete seine Augen zu Boden, wobei allerdings sein Blick immer wieder zu mir zurückkehrte.
Ich hatte das ganz sichere Gefühl, dieser Mann wollte mir etwas sagen, aber er machte keine Anstalten, damit herauszurücken. Und ich würde ihm ganz bestimmt nicht dabei helfen, es auszusprechen.
Erst als ich mich zum Gehen wandte, hielt er mich dann doch zurück. Und zwar nicht nur mit seiner Stimme, mit der er mich zu bleiben bat – einer übrigens sehr angenehmen, dunklen Stimme, wenn auch mit dem üblichen näselnden, arroganten Anklang der englischen Oberschicht, oder der Leute, die sich dafür halten … -, sondern auch mit einer Hand auf meinem Arm.
Von einem Fremden berührt zu werden, das ist in England noch ungewöhnlicher als in Deutschland.
Ich gebe zu, es ist ein Vorurteil, dass die Engländer, besonders die englischen Männer, ihre Gefühle alle in ihren Internaten abtrainiert bekommen. Die meisten kommen ja gar nicht in Internate …
Aber die Atmosphäre von im besten Fall freundlicher, im schlimmsten Fall ablehnender Distanziertheit ist schon recht stark. Nicht in London auf den Straßen; dazu laufen dort zu viele Ausländer herum. Aber bei den geborenen Briten. Ich hatte schon oft das Gefühl, die haben keine Gefühle.
Und sollten sie doch mal welche haben, ist es ihnen bei Todesstrafe verboten, sie irgendwie zu zeigen.
Phil war da schon ein etwas ungewöhnliches Exemplar Engländer, das erstaunlich gut mit seinen Gefühlen umgehen und sie auch äußern konnte; und selbst er hatte große Schwierigkeiten damit.
Ich blieb stehen; berührt von dieser Geste, für einen Briten von geradezu ungeheuerlicher Direktheit.
„Wollen – wollen Sie sich nicht einen Augenblick zu mir setzen? Bitte?“, bat der Mann mich. Ich zögerte kurz. Hätte ich etwas anderes gehabt, was mich nach Hause zog, als diese seltsam abgekühlte und irgendwie Alltag gewordene Stimmung zwischen Phil und mir, die seit der Begegnung mit Sheila den Glanz verloren hatte, ich hätte freundlich abgelehnt und wäre gegangen.
Aber so setzte ich mich einfach; und wartete. Zugegeben jetzt schon extrem gespannt und neugierig.
Man muss sich den ungewöhnlichen Situationen im Leben nicht immer verschließen; auch wenn sie Schlimmes ebenso wie Gutes bringen können, sie sorgen doch immerhin für Abwechslung und verhindern, dass man irgendwann in einen eingefahrenen, gelangweilten Trott verfällt.
Und es war, als ob meine Entscheidung, in einem Domina Studio zu arbeiten, die die bisherigen Strukturen aufgebrochen hatte, mich auch bereit für andere neue Dinge gemacht hätte.
Was stand mir da jetzt bevor?
Ich hatte gedacht, dieser mittlerweile so total verlegene und durcheinander geratene Mensch, der sich mir dann übrigens sehr schnell als Robin M. vorstellte, würde so seine Schwierigkeiten damit haben, zur Sache zu kommen. Es war ja nun ersichtlich, er wollte mir etwas sagen.
Aber nie hätte ich damit gerechnet, dass er so rasch seine Unsicherheit überwinden und seine Gedanken so direkt und offen aussprechen könnte.
„Wissen Sie“, sagte er, „ich habe da einen Traum. Ich habe ihn schon sehr lange. Ich habe ihn immer wieder verdrängt, ich habe mich deswegen geschämt, ich habe es nie richtig wahrhaben wollen. Aber dieser Traum ist immer geblieben. Vor meiner Ehe, während meiner Ehe, und nach meiner Scheidung. Mal war er stärker, mal war er schwächer, doch er hat mich nie verlassen. Und vorhin, als ich Sie sah, da hatte ich auf einmal das Gefühl, Sie sind die Frau aus meinem Traum.“
Oho – so etwas hört natürlich jede Frau gerne, dass sie für einen Mann die Frau seiner Träume ist! Eigentlich …
Aber nach dem, was er über seinen Traum angedeutet hatte, dass er sich dessen schämte, dass er ihn nicht wahrhaben wollte, dass er ihn verdrängt hatte, behielt ich mir mein Urteil darüber noch vor, ob dies nun ein Kompliment oder eine Beleidigung war. Es konnte ja auch ein Albtraum sein …
Ich hatte allerdings schon einen Verdacht, in welche Richtung dieser Traum ging, der ihn solange umgetrieben hatte. Aber das konnte doch gar nicht sein, dass dieser Mann meine Dominanz erkannt hatte, die ich ja nun wirklich nicht mit wehenden Fahnen vor mir her trage, und dass sie etwas in ihm angesprochen hatte, was schon so lange Zeit in ihm geschlafen hatte.
Wie ein geheimer Schatz; oder aber auch wie ein schmerzhaftes Geschwür; je nachdem, wie man es sieht …


Weitere Einträge


Comments are closed.

Telefonsex Erziehung mit Herrin