Schwarzmalerei und Wut

21. September 2013

Das stimmt; ja, so war es. Bisher. „Ja – immer in der sicheren Überzeugung, und wenn er sich noch so beschissen benimmt, es gibt immer genug andere, die draußen herumlaufen und nur darauf warten, von uns getestet zu werden.“ „Und du hast dich jetzt festgelegt,“ konstatiert sie. „Wann gedenkst du eigentlich, mir das Wundertier einmal persönlich vorzustellen?“

Sie legt mit dieser Bemerkung den Finger auf eine Wunde. Ich kann Mondheim bei Geschäftsessen begleiten, kann mit dabei sein bei seinen Feiern, bei den Versammlungen im Zirkel. Ich gehöre dort nicht hin, aber ich kann mich einfügen, zumindest äußerlich. Nur, wie soll ich Mondheim mit meinen Freunden zusammenbringen, in meine Kreise mit hineinziehen?

Evelyn versteht mein Zögern richtig. „Du hast gar nicht vor, ihn mir vorzustellen; oder Martina, oder Katrin.“ „Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht, Evelyn. Momentan kann ich es mir nicht vorstellen, wie eine solche Begegnung aussehen sollte.“

„Das ist doch ganz einfach. Ich bin heute Abend in einer Vernissage. Mein Freund ist Hobbyfotograf, und er stellt in einem kleinen Laden aus. Komm hin – komm hin, und bring ihn mit.“

Mir ist übel. Was sie da vorschlägt, es ist ein kleiner Test. Sie fordert mich heraus. Ich will nicht mitmachen, aber ich will auch nicht kneifen. Ich muss mich nicht für Mondheim verstecken. Aber ich möchte ihn auch nicht den scharfen Zähnen ihrer Missbilligung aussetzen.

„Aha,“ stellt sie fest. „Du willst nicht. Er ist ja der Dom, nicht wahr? Und er bestimmt, wie ihr eure Zeit verbringt. Du enttäuschst mich, Anne. Wie kannst du dir von jemandem, den du kaum kennst, so in dein Leben hineinregieren lassen?“

Ich versuche, mich zu verteidigen. „Bloß weil ich nicht sofort auf deinen Vorschlag anspringe, heißt das noch lange nicht, dass etwas mit unserer Beziehung nicht stimmt!“ Ich merke selbst, wie lahm das klingt. Wenn ich heute Abend nicht mit Mondheim zusammen auf dieser Veranstaltung auftauche, wird sie ihn immer für ein Arschloch halten, und mich für eine dumme, schwache Kuh, die sich von einem Arschloch Vorschriften machen lässt.

Nun gut, meinetwegen. Man muss nicht erwarten, dass sie sich verstehen, die alten Freunde, und die neuen, mit denen man das Leben teilt. Das ist immer so, in jeder Beziehung. Notfalls muss ich das Thema Mondheim bei unseren Gesprächen künftig ausklammern. Das heißt jedoch nicht, dass ich mich für einen von beiden entscheiden muss; Daniel oder Evelyn. Und müsste ich das, ich denke, Evelyn würde sich über meine Wahl ganz schön wundern.

„Wir werden sehen,“ bemerkt sie. „Du wirst noch an mich denken, Anne.“

Irgendwie ist die Stimmung hin. Ich stochere in meinem Salat. Ich mag ohnehin keinen Salat, aber es ist noch das Brauchbarste, das ich auf der Speisekarte hier finden konnte. Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht; und ich bin nun einmal kein Vegetarier. Evelyn auch nicht – aber das ist eine andere Geschichte.

Überraschend pünktlich bin ich zurück im Büro, in der Handtasche einen leicht angeknitterten Zettel mit der Ankündigung der Vernissage heute Abend. The dark sides of love – erotische Bilder von Raimund Sahm.

Ich könnte die ganze Einladung ja schlicht vergessen. Aber irgendetwas bohrt da.

Entschlossen wähle ich Mondheims Handynummer. „Daniel, hast du zwei Minuten für mich?“ „Ich komme nachher sowieso noch in dein Büro, um drei. Reicht das? Sonst reden wir gleich.“ „Nein, das ist in Ordnung. Es ist nicht eilig,“ versichere ich.

Er ist tatsächlich um drei da, packt sich vor mich auf den Schreibtisch. „Was kann ich für dich tun?“ „Was hast du für Pläne für heute Abend?“ frage ich, und winde mich innerlich dabei. „Ich habe wahrscheinlich bis acht zu tun; tut mir Leid, heute wird es spät. Aber danach stehe ich dir vollständig zur Verfügung. Und falls du wissen willst, ob ich den Abend lieber allein verbringe, wo Teermann so zufrieden mit deinem Rücken ist – nein, tue ich nicht. Ich hoffe, wir werden so viele Abende miteinander verbringen, wie es nur möglich ist. Du weißt, ich kann nicht viel versprechen, was die Zeit angeht, wenn meine Frau zurück ist. Es gibt da – gewisse andere Verpflichtungen, die ich ihretwegen übernommen habe und weiter übernehmen muss.“

Mir wird ganz kalt und schwer. Ja, ich weiß es. Ich habe es die ganze Zeit gewusst. Es ausgesprochen zu hören, macht es allerdings nicht besser.

Er streicht mir über die Wange. „Bitte, schau nicht so traurig. Wir werden Wege finden.“ Ja – wir werden Wege finden. Heimlich gestohlene Stunden, immer mit einem Blick auf die Uhr. Treffen in meiner Wohnung, bei denen keine Entspannung aufkommen kann, weil wir beide ständig daran denken, er muss zurück zu ihr.

Evelyns Schwarzmalerei hat mich weit mehr getroffen, als ich zugeben mag.

Er lehnt sich zurück. „Ich werde mit Silvia sprechen; so schnell wie möglich. Ich muss geschickt jonglieren; sie ist sehr aktiv und hat einiges an Terminen, bei denen sie mich bisher immer gerne an ihrer Seite hatte. Ich werde mich entziehen, wo ich kann. Dennoch wird es einige Abend geben, an denen wir uns erst sehr spät sehen können.“

Mein Herzschlag stolpert. Wie darf ich das verstehen?

Er beobachtet mich scharf. „Was denkst du?“

„Ich …“ Hilflos hebe ich die Hände. „Ich weiß es nicht.“

Sein Gesicht verschließt sich. Er ist enttäuscht von meiner Begeisterungslosigkeit, von meinem fehlendem Verständnis.

„Anne, bist du bereit, deine Wohnung aufzugeben?“ fragt er mich. Fordernd, hart.

Ich stoße die Luft aus. „Es gibt kaum etwas, Daniel, was ich deinetwegen nicht aufgeben würde. Auch einiges von dem, was ich bisher für unumstößliche Grundsätze gehalten habe. Warum fragst du?“

„Warum ich frage? Was glaubst du wohl? Weil ich mit dir ein paar Räume haben möchte, in denen wir ungestört sind, und zwar bei allem, was wir noch miteinander anstellen wollen. Hast du dir schon einmal überlegt, was deine Nachbarn und dein Vermieter sagen, wenn wir in deiner Wohnung das tun, was auf meinem Dachboden ohne weiteres möglich ist?“

Nein; nein, das habe ich nicht. Und ich mag es mir auch lieber nicht vorstellen.

Mein Schweigen ist ihm Antwort genug. „Siehst du? Ich werde mich mit dir nicht irgendwo aufhalten, wo ich auf jeden Schritt aufpassen muss. Ich weigere mich schlichtweg. Ich habe mir in diesem großen leeren Haus, das ich übrigens hasse, für den Fall, dass du das noch nicht bemerkt haben solltest, ich kann es nicht leiden, es ist kalt, es ist unpersönlich, es ist steif, und es ist leblos, jedenfalls, ich habe mir dort meinen eigenen kleinen Bereich geschaffen. Allerdings wird es nur begrenzt möglich sein, dass wir uns beide dort hineinflüchten. Das geht jetzt, und es wird einzelne Abende geben, an denen wir es wieder einrichten können. Aber ich will dich dort nicht haben, wenn Silvia im Haus ist. Der Gedanke bereitet mir Übelkeit. Es ist taktlos ihr gegenüber – aber noch wichtiger, es ist unfair dir gegenüber. Deine Wohnung kommt nicht in Frage. Also liegt es doch auf der Hand, warum ich frage, ob du bereit bist, sie aufzugeben.“

Ich wage noch nicht aufzunehmen, was die notwendige Konsequenz dessen ist, was ich höre.

„Ich möchte etwas haben, wo wir beide leben können. Wo uns niemand hineinredet. Also brauchen wir etwas Neues.“

Eine Mätressenwohnung ist es, die er uns besorgen will. Ein kleines Liebesnest, in dem ich alle Nächte, die ganzen Nächte verbringen werde, und er vielleicht alle paar Abende ein paar Stunden.

Und wissen Sie was – auch dazu bin ich bereit. Wenn es auch nur wenige Stunden sind, wenn es auch bedeutet, ich muss meine gesamte Umgebung aufgeben für diese wenigen Stunden – ich werde es tun.

Er zieht mich hoch vom Stuhl. „Was ist los, Anne? Ich möchte, dass du mir sagst, was es ist, was du gerade denkst. Ich kann sie regelrecht sehen, die Gewitterwolken in deinem Kopf. Habe ich etwas getan, das dich verletzt hat?“

Hilflos schüttele ich den Kopf. „Es ist – es sind nur … Ich denke an die vielen Stunden, die ich allein sein werde, sobald deine Frau wieder aus dem Urlaub kommt.“ Sanft drückt er mich an sich. „Anne, ich weiß ja. Jede einzelne wird furchtbar sein. Aber es geht nun einmal nicht anders.“

Als ob ich das nicht wüsste. Die Selbstverständlichkeit tut weh, mit der er es akzeptiert.

Ich weiß, ich bin unfair. Ich habe es ihm versprochen, ich werde die Situation so akzeptieren, wie sie nun einmal ist; selbst Evelyn gegenüber habe ich das noch behauptet.

Mein Zorn über meine eigene Inkonsequenz bricht sich Bahn und täuscht Zorn auf ihn vor.

„Aber wie soll ich denn damit leben können, wenn du immer nur kurz da bist, und wir die ganze Zeit unter dem Druck zusammen sind, dass du auch ja pünktlich zurück bist? Wie soll ich die Nächte überstehen, ohne dich?“

Oh Gott, ich schäme mich, ihm eine solche Szene zu machen.

„Anne, ich weiß doch,“ sagt er. „Es wird diese Nächte geben, in denen ich nicht da sein kann. Meinst du, mir werden die leicht fallen? Aber es ist doch …“

Plötzlich bricht er ab, hält mich auf Distanz, und seine Finger graben sich in die Muskeln meiner Oberarme ein. „Ich glaube, ich verstehe langsam. Du gehst davon aus, ich kaufe dir eine kleine Wohnung, in der ich dich ab und zu für ein paar Stunden besuchen komme. Ist es das?“

Ich schließe die Augen. Er schüttelt mich. „Ist es das? Sieh mich an!“

Ich sehe ihn an. „Ja,“ sage ich.

Ich habe keine Chance, die schnelle Bewegung wahrzunehmen oder gar abzuwehren. Seine Hand schlägt zu, und meine Wange reagiert mit einem schneidenden Brennen.

***

Er hat mich geschlagen. Er hat mich ins Gesicht geschlagen.

Noch schlimmer aber ist die Kälte in seiner Stimme. „Interessant zu sehen, was für eine Meinung du von mir hast. Brauchst du das, den Mann in deinem Leben für einen gefühllosen Bastard zu halten? Hast du soviel Angst vor dir selbst, dass du so rasch alles vergessen kannst, was ich dir gesagt und versprochen habe? Es ist ja auch viel einfacher, wenn ich ein Mistkerl bin – das gibt dir das Recht, dich zu entziehen, wo das einfacher ist. Wenn ich mich nicht an meine Versprechen halte, binden deine dich ja ebenfalls nicht.“

Es klopft an der Tür. „Jetzt nicht!“ brüllt Mondheim.

Wer auch immer es ist, er verzieht sich wieder.

Wie auch ich mich am liebsten verziehen möchte. Nein – nein, ich will dableiben. Ich will ihm standhalten. Oder auch schluchzend vor ihm auf die Knie fallen und ihn um Verzeihung bitten.

Seine Wut ist wie eine Sturmflut. Ich werde darin ertrinken, wenn ich nicht weglaufe.

Anschreien möchte ich dagegen, gegen diese erbarmungslosen, kalten, nassen, hohen Wellen.

„Verdammt, du kannst doch auch nicht aus deiner Haut, so wie ich nicht aus meiner. Deine Frau existiert nun einmal, und du wirst die Nächte bei ihr verbringen müssen, ob ihr nun im selben Zimmer schlaft oder nicht. Das ist so, und das will ich gar nicht ändern. Ich wusste es vorher, und ich stehe zu meinem Wort – ich werde nicht versuchen, dich ihr wegzunehmen, dich herauszulösen. Aber kannst du nicht verstehen, dass mir das schwer fällt? Ich bin doch auch nur – oh, Daniel, ich liebe dich, und mir wird schlecht, wenn ich daran denke, aber ich nehme, was du mir geben kannst, wie wenig es auch ist. Mach mich doch zu deiner Mätresse in einem kleinen Liebesnest, in dem du ab und zu ein paar Stunden verbringst, es ist mir egal, vollkommen egal! Ich werde selbst darauf achten, dich immer rechtzeitig wieder wegzuschicken, zurück zu ihr und wenn ich dann die ganze Nacht heule statt zu schlafen, kümmere dich einfach nicht darum. Hör einfach nicht darauf, wenn ich ab und zu zänkisch werde, weil es so weh tut. Vergiss einfach, was ich gesagt habe, vergiss es, bitte!“

Der blaue Stahl seiner Augen verwandelt sich, wird weich. „Du hast ja gar nichts gesagt, Anne. Du hast es nur gedacht.“

Die bislang mühsam zurückgehaltene Tränenflut bricht aus. Und nun sinke ich doch zu Boden, vor ihm, stoße mir dabei die Hüfte am Stuhl, und es ist mir völlig gleichgültig. „Bitte verzeihen Sie mir. Bitte!“

Ich bin ganz klein, und ganz unten; meine Stirn berührt das kalte Linoleum.

Ginge es, ich würde mich noch kleiner machen, vor seinen Füßen zu Staub werden. Wenn er mir nur mein ungeheures Aufbegehren vergibt. Wenn nur seine Wut aufhört.

Die ich verdient habe. So sicher, so entschlossen habe ich ihm zugesagt, nicht an sein Leben zu rühren. Geduldig zu sein, nicht mehr zu fordern, als er geben kann. Und schon bei der ersten Prüfung versage ich. Er täte recht daran, mich fallen zu lassen.

Wenn ich schon jetzt so kindisch auf das reagiere, was er nicht aus der Welt schaffen kann, wie viele sinnlose, kleinliche Streitereien stehen ihm dann bevor, wenn er später zu mir kommt in den seltenen Augenblicken, in denen ihm das möglich sein wird?

Er riskiert den allgemeinen Klatsch über unser Verhältnis, er riskiert die Entrüstung seiner Frau – und nichts davon ist mir genug.

So schnell habe ich mein Versprechen vergessen. Vergessen und gebrochen.

Ich schäme mich unendlich.

Undeutlich spüre ich eine Bewegung über mir, und auf einmal ist er da, hält mich fest, wiegt mich in seinen Armen wie ein kleines Kind, streicht mir über meine Schultern, die ein haltloses Schluchzen schüttelt. „Es tut mir Leid, es tut mir so Leid!“ „Sch! Nicht, Anne, nicht. Ich bin ja selbst schuld. Ich wollte dich heute Abend fragen, wenn wir allein sind und Ruhe haben. Nun ist es im Büro passiert, wo wir beide ganz anders sind und uns zusammenreißen müssen. Ich habe mich völlig ungeschickt ausgedrückt, und ich gebe zu, als ich gemerkt habe, dass du alles falsch verstehst, da habe ich dich bewusst provoziert, ich war so wütend. Dabei hätte ich nur bessere Worte wählen müssen, und es wäre alles klar gewesen.“

Ich hebe den Kopf, sehe ihn an, voller Angst. „Was meinst du?“

„Anne, ich will dich nicht als Mätresse in ein Liebesnest stecken, wie du dich auszudrücken beliebtest. Wie kommst du nur darauf, ich könnte dir das antun, dich derart herabsetzen? Ich will, dass wir zusammenziehen.“

Es ist nur ein Wort, aber wie ein Pfeil landet es mitten in meinem Herzen. „Zusammenziehen?“ wiederhole ich.

„Drücken wir es einmal militärisch aus,“ lächelt er, und es tut so gut, so gut, dass seine Wut weg ist, dass ich ihn spüren kann, dass seine Hände mich halten. „Ich möchte, dass wir uns eine Wohnung suchen. Unsere Wohnung. Eine, wo wir tun und lassen können, was wir wollen, und wo niemand an die Wand oder an die Tür klopft, wenn du schreist, oder gar die Polizei holt. Und diese Wohnung wird mein Hauptquartier. Ich werde einiges an Erkundungen und klar abgesteckten Aufträgen übernehmen müssen, die mich eine Zeitlang wegführen. Aber diese Wohnung ist es, in die ich immer wieder zurückkommen werde. Und damit es auch in deinem Unterbewusstsein ankommt – mein Schlafanzug wird auf dem Kissen in dieser Wohnung liegen. Wobei ich allerdings hoffe, weitgehend ohne ihn auszukommen.“

Ich kann es nicht glauben, ich kann es einfach noch nicht glauben. „Das meinst du nicht ernst!“

Er zieht die Augenbrauen hoch. „Bei solch wichtigen Dingen pflege ich eigentlich keine Scherze zu machen. Aber was bitte darf ich aus deiner Verständnislosigkeit schließen? Gibst du mir einen Korb?“

„Ich – ach, Daniel, nein, natürlich nicht. Daniel …“ Meine Stimme versagt. Etwas drückt mir die Kehle zu.

Wieder klopft es. „Verdammt, kann man nicht einmal in seinem eigenen Laden Ruhe haben?“ brummt er. Wir helfen uns gegenseitig hoch. „Herein,“ ruft er.

Es ist seine Assistentin. „Herr Mondheim, die Herren warten alle schon im Konferenzraum.“

Völlig ungerührt reagiert sie auf mein verheultes Gesicht, auf die Tatsache, dass unsere Hände sich umfassen. „Ich komme gleich,“ sagt er. „Die Herren sollen warten; schließlich gibt es wichtigere Dinge als diesen Termin.“

„Das sehe ich,“ bemerkt sie trocken – und flüchtet.

***

Jetzt haben wir über die Vernissage gar nicht gesprochen, aber das macht nichts. Zwei Minuten, hatte ich gesagt – und weil ich ausgeflippt bin, ist Mondheim jetzt zu spät für seine Besprechung, und die muss doch pünktlich beendet werden, weil er um halb fünf bei Erhard sein muss.

Ich bin ein selbstsüchtiges, egoistisches Biest.

Und ich bin so glücklich, ich könnte schreien. Dieser Mann steckt voller Überraschungen, die alles über den Haufen werfen, was ich bisher erlebt habe. Ist es da ein Wunder, wenn einige meiner festen Überzeugungen gleich mit über Bord gehen?

Erst einmal repariere ich im Damenklo die Verwüstung durch die Tränen. Meine Hände zittern, mit dem Mascara wird es schwierig, aber irgendwie geht es schon. Mit dem Strahlen in meinen Augen kann ohnehin keine Wimperntusche konkurrieren.

Anfangs fühle ich mich zu fahrig für weitere Arbeit, doch dann geht es, und sogar sehr gut.

Ich vergesse ganz die Zeit, bis mich sein typisches Klopfen mit einem warmen Erschrecken zurückholt. Es ist schon kurz vor acht.

„Was wolltest du mich eigentlich vorhin fragen?“ grinst er breit, kaum dass er im Zimmer steht. „Erzähl erst – was sagt Erhard?“ wehre ich ab. Als hätte ich nichts gesagt, holt er mich vom Stuhl und presst mich an sich, dass mir Hören und Sehen vergeht. „Alles in Ordnung,“ sagt er zwischen Küssen auf meinen Hals, die so kitzeln, ich muss an mich halten, nicht aufzustöhnen. „Er hat wieder einmal sämtliche Belege in Kopie eingesammelt, und er wird ein sehr ernsthaftes Gespräch mit Deinar führen.“

„Wie oft ist das schon vorgekommen?“ will ich wissen. „Dass einer meiner Angestellten mich angezeigt hat?“ Er zuckt die Achseln. „Dreimal insgesamt, mit Deinar.“

„Und was ist aus den beiden anderen geworden?“

Seine Gesichtszüge verhärten sich. „Der eine hat sich über staatliche Subventionen mit einer eigenen Firma selbständig gemacht, die nach acht Monaten pleite war. Er hat noch immer keinen neuen Job, dafür aber kräftig mit den Steuerbehörden und noch einigem anderem zu tun. Und die andere hat sich gleich an ihren nächsten Chef rangemacht. Jetzt ist sie mit ihm verheiratet, und er betrügt sie mit seiner neuen Sekretärin.“

Oh, oh; der Schuss ist zu nahe an meinem Herzen gelandet. Unwillkürlich zucke ich zusammen. Seine Arme holen mich noch näher heran. „Ich kann dir versichern, mit letzterer Entwicklung hatte ich nicht das geringste zu tun. Ich vergreife mich nicht an Frauen – ich schaffe sie mir nur vom Hals, wenn sie mir auf die Nerven gehen. Und ich betrüge nicht, ich spiele mit offenen Karten. Vergiss den alten Spruch, was ich meiner Frau antue, das tue ich irgendwann auch dir an. Darum geht es gar nicht. Es ist kein großer Trost zu wissen, sollte irgendwann einmal die Liebe aufhören, bleibt immer noch die Aufrichtigkeit. Aber das ist doch das einzige, woran man sich halten kann.“

Seine Hände fassen mein Gesicht, zwingen mich, ihn anzusehen. „Und jetzt Schluss mit diesen ganzen trübsinnigen Betrachtungen. Meine Güte, Anne, ich bin bis über beide Ohren verliebt in dich – warum sollen wir uns das Leben schwer machen mit Überlegungen, was sein wird, falls das vielleicht irgendwann in ein paar Jahren einmal aufhören sollte?“

„Du hast recht,“ lächele ich. „Irgendwie bin ich heute – etwas durcheinander. Es liegt an einer Begegnung mit meinem früheren Leben, dem vor dir. Ich war mittags mit Evelyn essen.“

„Und damit hängt auch die Frage zusammen, die du mir stellen wolltest?“ Ich nicke. „Es geht um eine Veranstaltung. Sie glaubt mir alles nicht, was ich sage, und ich kann ihr auch nur so wenig erzählen, weil mir die entscheidenden Worte fehlen.“

„Diese Veranstaltung, du möchtest, dass ich mit dir dorthin gehe, damit sie mich kennen lernen kann?“

Schön, wie einfach es ist mit ihm. Manche Dinge muss ich gar nicht erklären, er versteht sie auch so.

„Ich weiß nicht, ob ich das will. Einerseits ja – aber andererseits habe ich ihr nichts zu beweisen. Sie kann denken, was sie will. Obwohl es mich stört.“

„Wann hätte sie mich denn gerne vorgeführt? Es ist doch nur fair, wenn ich dich ebenso begleite wie du mich gestern zu Lahning und Donath.“

Mein Brustkorb weitet sich. „Du bist großartig,“ murmele ich. Er schüttelt den Kopf. „Nein, ich bin ganz normal und manchmal auch ein bisschen seltsam. Wenn du es willst, komme ich natürlich mit. Gerne sogar. Oder fürchtest du, ich könnte dich arg blamieren?“

Das bringt mich zum Lachen. „Quatsch! Nur, es kommt mir ein bisschen lächerlich vor, dieses Trophäen vorzeigen.“

Seine Handflächen streichen über meine Schultern, meine Taille, meine Hüften. „Also, wann?“

„Heute Abend schon, um halb neun,“ erwidere ich. „Es ist eine Vernissage, bei der ihr momentaner Freund erotische Fotografien zeigt. Ich habe es selbst erst heute erfahren, sonst hätte ich dir mehr Vorwarnzeit gegeben.“

„Müssen wir uns umziehen?“ Kritisch sehe ich an mir herunter. Sieht ein bisschen sehr nach Tagesarbeit aus, was ich trage. „Du sicher nicht; aber ich sollte vielleicht etwas abendlicher gekleidet sein.“

„Na dann los,“ fordert er mich auf.

Wir treffen nur wenige Minuten nach Beginn ein, ich in einem blauschimmernden knielangen Kleid, das ganz eng anliegt. Ich war unsicher, aber Mondheim hat mich doch überredet, es anzuziehen.

Es ist noch nicht viel los, und so entdecke ich Evelyn sofort.

Die Überraschung in ihrem Gesicht ist groß. Sie zieht ihren Begleiter mit sich und stürzt über uns her.


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