Rache ist süß – aber schwierig

26. Oktober 2012

Was sagt man in einer solchen Situation? Was tut man, wenn der, in den man verknallt ist, verknallt war, wie auch immer – das wird sich später weisen – sich als solches Arschloch entpuppt und dort zuschlägt, wo es kein erotisches Spiel mehr ist, sondern wirklich weh tut? Droht man mit dem Anwalt? Hält man sich vornehm zurück? Schlägt man ihn k.o., wickelt ihm dann seine hässliche Krawatte um die entblößten Eier und hängt ihn am Kronleuchter auf?

Ja, ich weiß – das ist alles überhaupt nicht lustig. Aber irgendetwas muss man doch denken, um in einer solchen Lage nicht durchzudrehen und ein Schauspiel zu geben, für das anwesende und zuhörende Männer ohnehin nur ein Adjektiv haben, hysterisch.

Ich weiß, dass ich ihm diese Schuftigkeit heimzahlen will. Und ich weiß, dass ich genau das auch tun werde. Momentan fällt mir zwar noch nicht ein wie, und wahrscheinlich sollte ich vorher erst einmal ein paar Tage meine Wunden lecken, aber ich werde es tun.

„Das einzige, was mir einfällt,“ erkläre ich knapp, fast abgehackt, und zu meinem eigenen Erstaunen ohne jede Spur unterdrückter Tränen, für die ich viel zu zornig bin, „ist dass ich noch etliche Tage Urlaub habe. Die werde ich mir jetzt nehmen, und es gibt nichts, was du Mistkerl dagegen tun kannst. Ich werde jetzt verschwinden – die beiden fertigen Artikel lasse ich da zur Endkorrektur, und für den dritten müsst ihr euch einfach etwas einfallen lassen. Dann werde ich in aller Ruhe überlegen, was ich mache.“

Langsam stehe ich auf, bewege mich in Richtung Tür. Er sagt nichts. Die Klinke schon in der Hand, die Tür einen Spalt offen, drehe ich mich noch einmal um. „Und Gnade dir Gott, du impotenter Hampelmann, wenn ich einen anderen Ausweg finde als den, auf deine Erpressung einzugehen!“

Jetzt schnell raus, und zum Abschied die Tür nicht unbedingt leise geschlossen. Man könnte auch sagen, ordentlich ins Schloss gepfeffert, dass ringsherum lauter Köpfe mit neugierigen runden Voyeursaugen aufblicken.

Bei Philipp scheine ich mich auf effektive Abgänge als Spezialität versteift zu haben. Apropos – egal ob er devot oder dominant ist – von dem Auftritt jetzt schwillt ihm allenfalls der Kamm, und nicht der Pimmel. Was ja auch schon ein gewisser Fortschritt ist.

***

Bevor mich der dunkle Umhang an Selbstmitleid und Terror einfängt und so erstarren lässt, dass ich nur noch passiv leiden kann, muss mir etwas einfallen, was ich gegen diese fiese Tour unternehme. In einer Stunde bin ich vielleicht nicht mehr handlungsfähig – aber jetzt bin ich es noch. Die Redaktionssitzung wird in einer Viertelstunde fortgesetzt – komisch, ich bin doch gar nicht pünktlich um zwei da gewesen. Hat es wirklich nur so kurz gedauert, mir nach ein wenig Geplänkel, bei dem ich mich zuerst noch als Sieger fühlte, einen solchen Schlag zu verpassen, sind es nur wenige Minuten gewesen? Egal. Das ist jetzt alles egal; auch die Sitzung selbst. Ich muss etwas tun, muss irgendwie versuchen, diesen Schlag abzuwehren, der mich die monatliche Miete kosten wird, die nächste Autoreparatur, die dringend fälligen neuen Schuhe und mehr.

Sehr viel fällt mir nicht ein als Gegenwehr. Aber gerade weil Philipp so nonchalant den Eindruck erweckt hat, es sei alles mit weiter oben schon vollständig abgeklärt, bin ich misstrauisch. Es stimmt, meistens lässt man ihn alles regeln, auch was die Verträge angeht, kleine juristische Streiterein. Aber die grundlegenden Dinge, da ist doch meistens wenigstens einer der beiden Geschäftsführer dabei, wenn man die freudige oder traurige Nachricht dem Betroffenen übermittelt. Und ist das etwa nicht grundlegend, was man mit mir vorhat? Ich kann es einfach nicht glauben, dass alles schon definitiv beschlossene Sache ist. Ich will es auch nicht glauben, denn sonst gibt es gar nichts, was ich noch tun kann; außer alles akzeptieren. Und das kommt mir schlicht nicht in die Tüte.

Die obere Etage hält sich weitgehend von denen fern, die das Magazin selbst am Leben erhalten. Weiß der Teufel, was die so den ganzen Tag arbeiten. Natürlich kennt man sich, jeder hat die Herren oben oft genug gesehen; nur längst nicht oft gut genug, um einfach unangemeldet bei ihnen aufzutauchen. Einen Termin muss man haben; und den kriegt man im Zweifel nur, wenn die Herren einen einbestellen. Also dann, wenn man ihn eigentlich gar nicht will. Für eigene Termine wird von den beiden Sekretärinnen konstant auf Philipp verwiesen, der ja notfalls mit ihnen Rücksprache nehmen könnte, wie es heißt. Mit anderen Worten: Die Spitze findet es schlimm genug, sich mit Philipp abgeben zu müssen. Mit den niederen Rängen zu reden, halten sie für völlig unter ihrer Würde.

Na, wir werden sehen.

Ich werde jedenfalls gar nicht erst anrufen, sondern livehaftig auftauchen. Eine 6-Fuß-Atrappe wie mich schiebt man wesentlich weniger leicht beiseite als meine Piepsstimme im Hörer.

Anscheinend habe ich mehr Glück als Verstand; und von dem habe ich schon ziemlich viel. Die Tür zum Vorzimmer von Meisig steht offen; das ist einer der beiden Obermuftis. Und wenn die Chefsekretärin gar nicht da ist für eine Voranmeldung, kann ich mich ja auch nicht anmelden, oder? Leise schleiche ich an ihrem Schreibtisch vorbei, auf dem Familienbilder, kitschiger Krimskrams und Kosmetikprodukte mit Papieren um die Vorherrschaft streiten, und klopfe an die Tür dahinter. Man kommt zwar auch über den Flur unmittelbar in die heiligen Gemächer; aber wenn ich dort klopfe, weiß der Bewohner ja gleich, die vorschriftsmäßige Bürokratie soll umgangen werden, und lässt mich womöglich gar nicht erst rein.

So höre ich nach dem bewusst selbstbewussten Anklopfen (er muss ja nicht gleich merken, dass mein Herzschlag, per Jeans gedämpft, in die das Teil längst gerutscht ist, ebenso stolperig ist wie leise) ein forsches „Herein!“ und befolge selbstverständlich umgehend diese Dienstanweisung – auch wenn sie gewiss in der falschen Erwartung erfolgte, es werde gleich statt meiner die hochtoupierte Empfangsschnepfe eintreten.

Eine gerunzelte Stirn macht mir schnell deutlich, der direkte war nicht der Weg zu seinem Herzen; aber da ist es schon zu spät und ich bin in seinem Zimmer. Rasch überquere ich die Weiten des Raums bis zu seinem Schreibtisch. „Ich muss Sie dringend sprechen, Herr Meisig.“ Suchend schaut er sich um, als könne jemand anderes ihm eine passende Antwort darauf soufflieren. „Lassen Sie sich doch von Frau Müller einen Termin geben.“ „Das wollte ich ja,“ erwidere ich. „Aber sie ist gerade nicht da, und die Angelegenheit ist eilig. Ich werde Ihre Zeit nicht lange in Anspruch nehmen.“

Er scheint sich ins Unvermeidliche zu fügen. „Das hoffe ich – ich bin sehr beschäftigt. Aber was kann ich für Sie tun?“ Mir einen anständigen Vertrag geben, du aufgeblasenes Arschloch, denke ich, aber so etwas verkündet man ja nicht laut. „Es geht um die Verlängerung meines Vertrags,“ sage ich stattdessen.

Er lehnt sich zurück, faltet die kurzen Stummelfinger zum Minidom. Kirche; nicht SM. „Ich dachte, das sei alles klar? Hat Herr Maibaum Ihnen unsere neuen Pläne mit Ihnen nicht übermittelt?“

Scheiße – es ist tatsächlich schon alles abgesprochen. Dahin meine Hoffnung, ich könne Philipps Bluff mit meinem Schachzug aufdecken.

Jetzt nur nicht schwach werden. Ich muss kämpfen, für ein wenig mehr Sicherheit im Job. Für das also, was andere auf dem Silbertablett serviert bekommen haben, und von dem sie sich nicht einmal vorstellen können oder wollen, wie es sich lebt ohne. Ohne das verstaubte Ding im Schrank, das nur alle paar Monate einmal hervorgeholt und mit Silberputzmittel wieder blank poliert werden muss, und schon hält das wieder für das nächste halbe Jahr.

„Doch, doch, Herr Maibaum hat mir einen Vorschlag übermittelt. Den ich allerdings in dieser Form nicht akzeptieren kann.“

Ein Stummelfinger schiebt die Brille zur Nasenspitze, ein erstauntes braunes Auge schaut mich darüber hinweg strafend an. „Ja, aber wieso denn nicht? Das wird Herrn Maibaum aber sehr enttäuschen. Er hat ganz besonderen Wert darauf gelegt, Ihnen diese Chance einzuräumen.“

Das glaube ich gerne! Bitterkeit in Backsteinform steigt in meiner Speiseröhre auf. Nach dem Freitag Abend hatte es Philipp so eilig, mich loszuwerden, dass er nicht einmal einen einzigen Arbeitstag damit warten konnte, mich mit dem fertigen Ergebnis seiner intriganten Verhandlung mit der oberen Etage zu überfallen. „Das kann ich mir denken! Aber ich lege keinen Wert darauf, einfach abgeschoben zu werden!“

„Ja, aber wer sagt denn das!“ Ein weiterer Kuhaugenblick. „Niemand will Sie hier abschieben, und ganz besonders nicht Herr Maibaum. Im Meeting heute Morgen kam Ihr Vertrag zur Sprache. Sie wissen doch selbst, dass wir den nicht einfach bis in alle Ewigkeit verlängern können. Wir haben jetzt schon sehr viel riskiert, indem wir Sie so lange gehalten haben, obwohl es eigentlich nicht ganz korrekt ist. Sie können allerdings nicht von uns erwarten, dass wir weiter für Sie den Kopf hinhalten.“

Ich – für sie den Kopf hinhalten? In welchem Jahrhundert lebt der Kerl eigentlich? Die Feudalherrschaft ist lange genug vorbei, dass diese Tatsache inzwischen auch in seinem Spatzenhirn angekommen sein könnte. „Deshalb hatte ich ja gehofft, nun endlich einen normalen Angestelltenvertrag zu erhalten,“ stoße ich hervor und versuche dabei, meine Stimme nicht ganz so gequetscht klingen zu lassen, wie ich mich fühle. Es misslingt mir schmählich.

„Meine Güte, Frau Senreis, wo denken Sie hin? Wir sind so schon überbesetzt. Das Boot ist übervoll, und die Zeiten sind schlecht, das wissen Sie ebenso gut wie ich. Wir können es nicht riskieren, noch eine weitere Dauerbelastung aufzunehmen. Das würde das ganze Boot gefährden; und Sie erwarten doch wohl nicht, dass wir alle hier nur Ihretwegen unseren Job riskieren? Das müssen Sie doch einsehen. Seien Sie froh, dass Maibaum sich für Sie eingesetzt hat; mein Geschäftsführerkollege und ich, wir waren dafür, Ihren Vertrag einfach auslaufen zu lassen und dann ihren ganzen Bereich einzustampfen. Wir sind ohnehin der Meinung, dass erotische Kolumnen, wenn man sie denn so nennen will, überhaupt nicht mehr zu unserem Image passen. Wir haben sie bisher geduldet, weil erstaunlicherweise so viele Leser daran Interesse haben, aber das wird nicht immer so weiter gehen. Es trifft mich tief, dass Sie dieses Entgegenkommen lediglich zum Anlass nehmen, mehr zu fordern, statt dankbar zu sein für das, was wir Ihnen so lange gewährt haben.“

Mit jedem Wort werde ich kleiner. Langsam könnte ich auf dem Rückweg unter der Tür durchschlüpfen, die ich hinter mir geschlossen habe.

Meisig merkt sofort, er hat Oberwasser. Nach dem Zurücklehnen kommt nun das Vorbeugen – und Achtung, gleich kommen bestimmt ein paar väterliche Worte, die mir den Messerstich mitten ins Herz versüßen sollen, so lange ich davon noch nicht abgekratzt bin.

„Frau Senreis, sehen Sie es doch ein – Sie haben hier bei uns keine Zukunft. Und wir wollen Ihnen auf keinen Fall dabei im Wege stehen, sich etwas Eigenes aufzubauen. Wir unterstützen Sie sogar noch dabei. Wenn Sie diese Fortsetzungsgeschichte machen, von der Maibaum mir erzählt hat, dann können Sie doch endlich einmal etwas Richtiges tun, was Ihnen auch noch viel besser liegt als die ganzen Sachartikel. Und Sie kriegen noch Geld dafür, gutes Geld von uns. Damit sind Sie völlig frei, sich nach einem neuen Betätigungsfeld umzusehen. Auf unsere Kosten – aber nun, eine gewisse Verantwortung trägt man nun einmal für seine Mitarbeiter.“

In meinem Kopf wirbeln Satzfetzen, Gefühle und Tränen umeinander.

„Einen Moment bitte,“ sage ich, und ich flüstere schon beinahe, spüre meine Beherrschung davon rinnen wie Sand in einer Sanduhr, „nur dass ich das richtig verstehe. Sie hatten heute Morgen eigentlich schon beschlossen, mich vor die Tür zu setzen; und dann ist Maibaum nach der Redaktionssitzung unten die Idee gekommen, wie man mir den Abgang zumindest ein wenig leichter machen kann?“

„Sie müssen das nicht so negativ sehen. Wie ich schon sagte, Maibaum hat sich sehr für Sie eingesetzt. Ohne ihn hätten Sie bald gar nichts mehr – und so haben Sie eine ganz großartige Chance, um die Sie manch einer heftig beneiden wird.“

Ich habe genug gehört. Viel zu viel, ehrlich gesagt. Und ich Riesenrindvieh habe gedacht, Philipp wollte mich aus persönlichen Gründen abschieben! Von wegen – da liefen einfach nur die Räder der unbarmherzigen Unternehmenswindmühle, die alles klein mahlen, was nicht ohnehin schon ein winziges Staubkorn ist.

Im Gegenteil – Philipp hat dafür gesorgt, dass mein Sturz weit weniger schlimm ausfällt, als von oben geplant. Wie man sich täuschen kann in der eigenen Situationsanalyse.

Nicht dass ich eine Verpflichtung sehe, ihm dafür dankbar zu sein. Schließlich ist er Teil der gnadenlosen Maschinerie, die überhaupt erst den Anlass für das Bonbon gesetzt hat, das mir den Rausschmiss erleichtern soll.

Im Nachhinein, was für eine glänzende Idee von mir, das mit der Fortsetzungsgeschichte. Es hat ihm ermöglicht, ein Bonbon zu konstruieren, das er sich gleich darauf von oben hat absegnen lassen. Er hat mich nicht abgesägt, er hat sogar noch versucht, meinen Stamm wenigstens teilweise zu schützen.

Es ist der einzig positive Gedanke in dem erstickenden Treibsand, in dem ich langsam versinke, und deshalb klammere ich mich daran wie an einen rettenden Ast.

Nachdem ich ihm das ja bereits angekündigt hatte, packe ich unten schnell noch meine Sachen zusammen und mache mich auf den Heimweg. Um endlich in aller Ruhe untergehen zu können.

***

Von wegen untergehen – je weiter ich mich vom Ort meiner gründlichen Niederlage entferne, desto glühender und drängender wird nicht etwa meine Verzweiflung, sondern meine Wut. Ich weiß genau, ich müsste eigentlich geschockt sein, ängstlich, mutlos.

Von wegen. Anscheinend gehöre ich nun einmal nicht zu den Kleinen, die sich treten lassen und das widerspruchs- und tatenlos hinnehmen. Nicht dass ich das für eine positive Charaktereigenschaft halte; im Endeffekt führt es meistens nur dazu, dass diejenigen, die mir absichtlich etwas tun, gleich noch einmal zuschlagen. Und da, wo ich nicht Opfer menschlicher Machenschaften bin, sondern zufälliger Entwicklungen, hilft es mir nicht das Geringste. Aber was ändert das schon? Dass ich mich wehren, der Gegenseite schaden, etwas kaputtschlagen will, das geht ja nicht weg, wenn mein Verstand mir die Sinnlosigkeit entsprechender Aktionen herbetet. Wichtig ist nur, dass ich selbigen nicht ganz ausschalte. Mit Wut allein findet man kaum einen guten Ausweg.

Seltsam; heute morgen habe ich mich so unbekümmert aufgemacht zur Arbeit, mit keinen anderen Sorgen als dem üblichen Horror vor dem langatmigen Sitzungsgeschwätz und der Peinlichkeit, Philipp sehen zu müssen. Jetzt habe ich ganz andere Probleme. Und das mit Philipp verliert rapide an Wichtigkeit. Fast kommt es mir so vor, als sei es nur ein flüchtiger Traum gewesen, meine Gefühle für ihn, die erste private Verabredung und das Unding, was daraus geworden ist. Es spielt fast keine Rolle mehr, nach dem, was heute Morgen, besser gesagt über Mittag geschehen ist.

Sollte es mir nicht Kraft geben, Stärke, Zuversicht, wenn ich verliebt bin? Aber außerhalb von Märchen kann ein solcher Status ebenso wenig durch wirkliche Katastrophen helfen wie auch nur die Kleinigkeit einer Autoreparatur durch Zauberhand vom Tisch fegen. Ich muss mich doch um alles weiterhin selbst kümmern. Es ändert schlicht nichts, ob ich verknallt bin oder nicht.

Oder vielleicht ist das anders, wenn es kein Strohfeuer ist, sondern echte Liebe?

Dann wäre die Tatsache, dass Philipp so schnell in den Hintergrund tritt, als Beweis zu werten, eben das ist es nicht, echte Liebe.

Auch gut. Nach der Komplizierung meiner juristischen Position in diesem Saftladen von einem Magazin kann ich weitere verdrehte Fäden in meinem Leben ohnehin nicht brauchen.

Himmel, wie bringe ich jetzt nur Ordnung in all das? Sobald ich mich einmal daran gewöhnt habe, wird auch dieser Reinfall viel von seiner Schärfe verlieren. Irgendwie arrangiert man sich ja meistens doch mit den Härten des Lebens, und manchmal sogar recht schnell. Aber diese ersten Augenblicke, nachdem der Blitz eingeschlagen hat, die sind so furchtbar unwirklich und schmerzhaft. Spirituell schmerzhaft. Der Alltagsschmerz kommt dann später, wenn mich die Kollegen bei meinen seltenen Besuchen hämisch ansehen, wenn mein Vermieter fragt, warum ich nun immer zu Hause hocke, wenn ich meinen Freunden und Bekannten alles gestehen muss, wenn die endlosen Stunden totzuschlagen sind, die ich sonst im Büro verbracht habe, wenn das eigene Zimmer nicht mehr das ersehnte Freiheitsziel ist, sondern das Arbeitsgefängnis, und wenn, ja, wenn feststeht, wie viel weniger Geld ab jetzt in meiner Lohntüte sein wird.

Apropos Lohntüte – die haben ja wohl ersichtlich vor, mich ab sofort als Freiberufler einzusetzen und nach Stunden zu bezahlen. Danke für den Tipp, Herr Chefredakteur – ich werde umgehend damit beginnen, mir meine berüchtigte und geradezu sprichwörtliche Geschwindigkeit beim Schreiben gründlich abzugewöhnen. Man kann an jedem Artikel auch mindestens zehnmal so lange sitzen, wie ich das bisher getan habe, ohne ihn wesentlich zu verschlechtern. Viel besser wird er dadurch zwar auch in der Regel nicht. Auf keinen Fall zeitproportional besser. Aber um eine solche Logik kann sich nur eine Angestellte kümmern, die alle Aufgaben so rasch wie möglich erledigt haben will, nicht jemand, der nach Stundenaufwand Geld bekommt.

Wie geht das eigentlich, als Freiberufler? Dann muss ich doch alles selbst machen, was jetzt die Buchhaltung übernimmt. Mich überall anmelden, haufenweise bürokratische Papierberge mit Kuli verschönern. Immer ein Auge auf alles haben. Und vor allem, wenn ich krank bin, wenn ich Urlaub mache, gibt es keinen Cent. Na toll.

Nein, ich will das nicht. Ich bin vielleicht ein freier, aber kein Freiberufler-Geist. Ich will Sicherheit, mir nicht konstant Gedanken machen müssen um Geld und Verwaltungstechnik. Ich will angestellt bleiben!

Aber wen interessiert das schon.

Den Meisig gewiss nicht; und Philipp auch nicht, sonst hätte er sich bemüht, mir das alles ein wenig schonender beizubringen oder mehr für mich herauszuholen als dieses Almosen; wenn er sich denn schon für mich „verwendet“. Wo wir schon bei Verwenden sind – eine ganz bestimmte Verwendung, darauf hätte ich richtig Lust.

Bei Philipp klappt das nicht, der ist mir im Moment zu egal – aber bei Meisig stelle ich mir gerade genüsslich vor, wie sein weißer, fetter Hintern unter einer Reitgerte tanzt. Eine mit kleinem Lederbändchen vorne. Dann eine kleine Nachbehandlung mit Tigerbalsam – oh, sorry, dorthin wollte ich eigentlich gar nicht … Und danach darf er wichsen; allerdings nicht ehe seine Fingerspitzen auch etwas abbekommen haben von dem orangefarbenen Zeug. Bis kurz vor dem Erguss. Erste Pause: Ein paar Büroklammern an die Brustwarzen, einen Hefter mit Tesaband als Eiergewicht eingesetzt, und damit dann im Zimmer herumhüpfen. Zweite Wichserlaubnis. Zweite Pause: Damit er endlich auch einmal ein großer Mann ist, darf er sich auf die Zehenspitzen stellen und seine Hände nach oben recken. In dieser Haltung wird er per Flaschenzug fixiert, und danach gibt es ein wenig Brennnesseleinsatz an diversen Stellen. Wenn er seinen danach noch hochkriegt und abspritzen kann, kriegt er zur Belohnung die Büroklammern wieder abgenommen. Ach, ich vergaß zu erwähnen, dass deren Einsatz ebenso wie der des Hefters nicht auf die erste Pause beschränkt war?

Das alles natürlich in seinem Büro, mit zusätzlicher Schalldämmung; sonst schreit der Weichling bestimmt laut genug, um nicht nur die gesamte Redaktion zu alarmieren, sondern auch die Polizei.

Aber wenn ich mir das so recht überlege – nein. Den will ich lieber gar nicht anfassen; das ist mir zu eklig. Allenfalls zusehen würde ich, wie eine andere Tussi ihn entsprechend rannimmt. Ja, und am Schluss darf er auch noch dafür bezahlen. Klasse. Die Szenen werden natürlich aufgenommen und ins Netz gestellt; zumindest seine Belegschaft wird garantiert ordentlich dafür zahlen, sich das Schauspiel anzusehen. So lässt sich auch Geld machen.

Rädern und vierteilen wäre aber auch nicht schlecht.

Wobei – nein. Nein, wirklich nicht.

Vielleicht doch lieber Philipp? Lassen Sie mich einmal genau überlegen; es ihm physisch heimzuzahlen, würde mich das wirklich nicht reizen? Nicht einmal ein klein wenig?

Aber SM hat ja mit echter Strafe nichts zu tun; gestraft wird hier allenfalls so, dass der Sub dabei im siebten Himmel schweben kann und exakt das kriegt, was er sich wünscht – und nicht, was er verdient hat.

Man muss sich dann nur vorstellen, wie es wäre, wenn man nun bei genau denselben Handlungen jemanden unter der Knute hätte, der das alles nicht will, und schon wird aus SM Rache. Ich halte beides für erlaubt; miteinander verwechseln sollte man es allerdings nicht.

Nur – wenn ich eine Geschichte schreibe, weiß ja keiner, was ich mir dabei denke, sondern denkt sich seinen Hintergrund selbst. Das ist der rettende Ausweg für die Nicht-Einvernehmlichkeit. Ich lasse die Rachesau raus und verkaufe sie als Zustimmungslämmchen. Wer das liest und dabei wichst, wird auf jeden Fall die Klappe halten und nicht den Oberlehrer spielen, der auf das schriftliche Ja in dreifacher Ausfertigung pocht. Und wer es rein künstlerisch betracht, der nimmt die Worte eben als Worte und glaubt sie.

Nicht zuletzt wäre es auch eine gute Ablenkung, wenn ich etwas schreibe; seit fast einer Stunde brumme ich hier schon sinnlos in meinem Wohn-/Schlafzimmer herum wie eine eingesperrte Wespe, der es erst dann wieder besser geht, wenn sie ihren Stachel in irgendein weiches Fleisch stecken kann, das dann lauthals aufschreit.

Mal sehen – wo war ich stehen geblieben in der Erzählung? Die Domina vom Nachbartisch lädt mich ein, meinen Begleiter ein bisschen zu verkloppen. Dessen korsettgekrönte weitere Begleiterin verschweige ich lieber schamhaft; das wäre ihm bestimmt ebenso unangenehm wie mir, wenn er in Gegenwart eines Schoßhündchens Prügel bezieht. Und die Leser könnten sich vielleicht gestört fühlen.

Nun denn – auf zur Abstrafung. Normalerweise müsste ich ja jetzt ein paar Worte darüber verlieren, wie die drei zusammen auf die kleine Bühne gelangen. Bloß interessieren solche praktischen Nebensächlichkeiten normalerweise keinen Menschen. Da kann ich das auch in einem Satz erledigen. Na gut, in zwei Sätzen.

„Der Sitzsklave ist zurück. Er beantwortet ihren fragenden Blick mit einem Nicken, und schon sind wir drei auf dem Weg nach vorne.“

Hurra! Zwei Sätze – sage ich doch.

„Mir klopft das Herz bis zum Hals.“

Eine etwas weniger abgegriffene Metapher wäre mir zwar lieber, aber wenn das nachher jemand nicht versteht und darüber ins Grübeln kommt, lenkt ihn das nur von der kommenden Hauptsache ab. Also immer schön stereotyp bleiben.

„Ich überlege, ob das wirklich eine so gute Idee war, mich auf dieses Spiel einzulassen. Aber sie und die Zuschauer geben mir keine Gelegenheit, mich anders zu besinnen. Kaum betreten wir im Gänsemarsch über das kleine Treppchen an der Seite die Bühne, gibt es ein wenig Anstandsapplaus, und allgemeine Stille tritt ein. Etliche Schritte hinter uns folgt der Sitzsklave, der irgendwoher ein kleines Köfferchen gezaubert hat. Er kniet nieder, breitet es vor seiner Herrin auf dem Boden aus und öffnet es. Sie begutachtet den Inhalt. „Wo sind die Handschellen?“ ruft sie plötzlich empört, und schon hat der Sitzsklave eine sitzen. „Ich habe dir extra gesagt, dass ich sie heute Abend bestimmt noch brauche!“ Die zweite Ohrfeige. Die linke Wange des Herrn rötet sich. Er senkt den Kopf, stammelt etwas Unverständliches. Neben mir spüre ich, wie mein Begleiter …“

Hatte ich für den Kerl eigentlich schon einen Namen? Verdammt, muss ich gleich einmal nachschlagen; ach so, hier, ja – Peter. Also:

„Neben mir spüre ich Peter erschauern. Sie greift sich aus dem kleinen Koffer drei Rollen rotes, festes, dickes Seil. Dann schaut sie sich suchend um. Ein Andreaskreuz wäre jetzt nicht schlecht, aber davon ist weit und breit nichts zu sehen. Statt dessen gibt sie eine kurze, herrische Anweisung – der vorhin Getadelte huscht davon und ist kurz darauf mit einem ganz stinknormalen Stuhl von unten zurück. „Na mach schon – zieh dich aus!“ herrscht sie Peter an. Ich komme mir ein wenig überflüssig vor, aber es ist doch interessant zu sehen, wie Peter zusammenzuckt. „Na wird’s bald? Ich habe nicht ewig Zeit!“ Hätte man mich vorher gefragt, ich hätte Stein und Bein geschworen, er dreht auf dem Absatz um und macht kehrt. Und was tut er stattdessen? Er greift gehorsam nach dem Bund seines schwarzen Muscle-Shirts und zieht es über den Kopf. Dann will er nach dem Reißverschluss seiner Lederhose greifen, doch da kommt sie ihm zuvor und schlägt leicht mit ihrer kleinen Peitsche auf seine Hand. „Das,“ sagt sie süffisant,“ gehört mir!“ Mit einer Kopfbewegung winkt sie ihren Sklaven heran, der eilfertig herumnestelt, bis Peters Hose zu Boden rutscht und den Blick auf die schwarzen Retro-Shorts in irgendeinem satinähnlichen Material freigibt. Ein raunendes Lachen geht durch den Saal.“

Uff! Es kann mir doch niemand erzählen, dass irgendjemand diesen Schwachsinn gerne lesen wird? Obwohl – schlechter als „Fremdgehen ohne Reue“ ist das Zeug auch nicht. Aber ich darf mich wirklich nicht länger mit den Präliminarien aufhalten, sonst brauche ich fünf Folgen, bevor die Leser das erste Mal einen nackten Schwanz sehen oder dessen Ziel. Fünf Folgen, das wäre mehr als ein Monat. Nein, soviel Geduld hat niemand. Außerdem hätte ich Lust, Philipp wirklich zu schockieren mit meinem Text. Bloß schade, dass ich auf jeden Fall nicht dabei sein kann, wenn er diese Direkt-Erotik Meisig verkaufen muss.

Aber jetzt gehe ich erst einmal etwas einkaufen. Selbst wenn ich derzeit noch nicht den geringsten Hunger habe, ich bin sicher, mein Appetit kommt wieder, bevor ich meine heute eingeheimsten Probleme gelöst oder es Philipp heimgezahlt habe; was auch immer zuerst kommt.

Bis gleich, Peter …


Weitere Einträge


Schreibe einen Kommentar

Telefonsex Erziehung mit Herrin