Das erste Mal im SM Zirkel

30. Mai 2013

Wir beide, Deinar und ich, machen einen großen Fehler, und der des einen ist der Komplementärfehler zu dem des anderen. Er will etwas als Dauereinrichtung, das ich in gewissen Momenten nur zu gerne von ihm nehme. Er verlangt die Konstantheit meiner Schwäche, und ich verlange von ihm, in der Lage zu sein, nur in bestimmten Augenblick stärker zu sein. Wir sind nicht gleichberechtigt starke Partner, die einander über die schwächeren Tage und Stunden hinweghelfen. So, wie er für mich Pflaster und Krückstock ist, bin ich für ihn die Highmach-Droge, die ihn sich besser fühlen lässt.

Das kann ja nicht funktionieren.

Ich bin so aufgeregt, am liebsten würde ich ihn gleich anrufen und ihm mitteilen, was ich herausgefunden habe. Aber solche Einsichten kann nur jeder für sich gewinnen. Die Ursache eines Problems kennen heißt eben nicht immer, sie beseitigen zu können. Wir haben keinen wissenschaftlichen Streit miteinander, den Fakten ausräumen könnten, sondern wir haben es mit unseligen Gefühlsdingen zu tun.

Mit wem, zum Teufel, kann ich bloß darüber sprechen, damit ich lerne, es noch besser zu verstehen? Nicht mit Martina, nicht mit Evelyn, nicht mit meinen Eltern.

Mit Deinar – ja, wären wir nur Freunde, mit ihm könnte ich am allerbesten über all das reden. Aber wir sind längst beides, mehr und weniger, Verliebte und Feinde; wie auch immer es dazu gekommen ist.

Auch wenn dadurch nichts gelöst ist, verschafft es mir Energie, soviel weitergekommen zu sein in der Erforschung dessen, was bislang nur eine wirre, unverständliche schwere Masse war.

Das nutze ich gleich aus, um mit dem Anwalt zu telefonieren. Erstaunlicherweise ist er nicht bei Gericht, sondern anwesend, und er geht sogar ans Telefon. Vielleicht sollte ich diplomatisch sein – aber irgendwie ist mir nicht danach. „Seien Sie mir nicht böse – Sie sind ein fantastischer Jurist; aber ein Autor ist an Ihnen nicht verloren gegangen. Es tut mir Leid, ich habe schon verstanden, dass meine Überarbeitung Ihnen keine große Freude bereitet, aber ich werde auch Ihren zweiten Artikel überarbeiten müssen.“ Dann hole ich tief Luft für den zweiten Teil meiner kurzen Rede. „Aber ich bin Ihnen so dankbar für Ihre unglaubliche Mühe und Arbeit. Ich könnte nie auch nur ansatzweise die Fakten sammeln, geschweige denn verstehen, die eine Rolle spielen. Darf ich Sie als kleine Entschädigung irgendwann einmal zum Essen einladen?“

Ich bin gespannt, ob die Mischung aus Deutlichkeit und Schmeichelei Erfolg hat. Es geht doch nichts über ein dickes Spesenkonto. Er zögert hörbar, bis er endlich antwortet. „Ich weiß ja, Sie haben recht. Juristen sind nicht unbedingt die besten Schreiber, die es gibt. Es ist schon in Ordnung, dass Sie noch das eine oder andere korrigieren. Und natürlich freue ich mich sehr über Ihre Einladung. Wann passt es Ihnen denn?“ Wie höflich der Mensch auf einmal ist! „Ihr Terminkalender ist mit Sicherheit weit voller als meiner,“ gebe ich mich großzügig. „Suchen Sie einfach einen Tag aus. Nur morgen Abend kann ich nicht.“ „Wie wäre es mit Freitag?“ schlägt er vor. „Abgemacht,“ stimme ich zu.

Wenn das so weitergeht, bin ich am Ende noch jeden Abend geschäftlich unterwegs. Aber wer weiß, wozu es gut ist.

Der Fotograf ist schnell abgehandelt; es geht doch nichts über ein Programm, das mir innerhalb von Sekunden eine Seite samt Links aus einem Internetauftritt entfernt. Den Autoren beschließe ich, links liegen zu lassen, bis der Erfolg von SM-salabim ihn seine Schroffheit bedauern lässt.

An Sieberts Krankheit kann ich nichts ändern; nur muss ich Mondheim über die Verzögerung informieren. Hoffentlich kriegt Siebert keinen Ärger deswegen – so schrecklich ist er gar nicht. Oder doch?

Wie in der letzten Woche auch verfliegen die Arbeitsstunden, obwohl ich sie gewaltig auszudehnen versuche. Aber länger als bis neun kann ich mich unmöglich konzentrieren, und schlafen muss ich auch irgendwann einmal.

Am Dienstagmorgen liegt ein verschlossener Umschlag auf meinem Schreibtisch. Mir rutscht das Herz in den Schuhabsatz. Was habe ich falsch gemacht? Ist das meine Kündigung?

Mit flatternden Nerven und Fingern arbeite ich mich an den Inhalt heran. Nein, es ist nur eine kleine Wegbeschreibung und die Bestätigung, dass Lange mich abends gegen halb acht abholen wird. Handschriftlich hat Mondheim auf das gedruckte Blatt noch gekritzelt: „Am besten direkt aus dem Büro. Umziehen nicht erforderlich.“

Es geht doch nichts über einen fürsorglichen Chef. Kritisch betrachte ich meine Kleidung. Ein helles Sommerkleid. Nach SM sieht das nun ganz und gar nicht aus. Aber gut, wenn er meint – komme ich eben so. Und bis halb acht arbeiten ist für mich kein Problem; das müsste er eigentlich wissen. Er hat doch bestimmt seine Methoden, meine Arbeitszeiten zu überwachen.

Meine gerade erst abgeflaute Aufregung baut sich den Tag über konstant wieder auf, und abends bin ich beinahe ein Nervenbündel. Wenn ich bloß wüsste, was die von mir wollen? Ich kann mich überhaupt nicht vorbereiten, und deshalb kann ich ja eigentlich nur alles falsch machen.

Kurz nach sieben klopft es an meiner Tür. Wiederum befürchte ich das Schlimmste, aber es ist nur Lange. Der mich, als ich ihm die Hand hinstrecke, gleich in einer brüderlichen Umarmung halb erstickt. Die ich mir gerne gefallen lasse; es tut gut, einem Menschen gegenüberzustehen, von dem ich nichts zu befürchten habe. Der mich nicht anders haben will, als ich bin, mit dem ich nicht um einen Knochen beruflichen oder privaten Erfolgs streiten muss.

Danach ist an Arbeiten natürlich nicht mehr zu denken, nur schnell auf dem Damenklo frisch machen kann ich mich noch und uns beiden etwas aus dem Automaten zu trinken holen.

Kaum hat er den ersten Schluck Cola getrunken, legt er schon los. Was denn eigentlich zwischen Deinar und mir passiert sei, will er wissen. Wusste ich’s doch, dass er seine Gründe hatte, so früh zu sein. Schade; und ich hatte gehofft, es sei einfach, weil wir uns mögen.

Nun, da er schon einmal gefragt hat, hat er es sich allein selbst zuzuschreiben, dass er mein erstes Opfer für die Ausbreitung meiner gerade gewonnen Weisheiten von heute ist. Er ist ein guter Zuhörer; er unterbricht mich nicht und sieht die ganze Zeit aus, als gäbe es für ihn nichts Interessanteres auf der Welt als meinen Vortrag.

Danach ist erst einmal Pause. „Es ist viel Wahres daran an dem, was Sie sagen,“ bemerkt er endlich. „Aber das ist nicht alles. Ich muss Deinar doch in Schutz nehmen. Natürlich hat er Probleme mit sich selbst und mit seinen Gefühlen. Wer hat das nicht? Aber ich bin der Meinung, Sie irren sich, wenn Sie denken, er lege Wert auf jemanden, der schwächer ist als er selbst. Er denkt es, manchmal, und er verhält sich auch so. Deshalb sind Sie ja auch zu diesem Schluss gekommen. Wir Männer werden ja auch noch immer so erzogen. Aber glauben Sie nicht, dass er seine schwachen Momente hat? Wir haben fast jeden Tag miteinander telefoniert, in den letzten Wochen, und ein bisschen war ich deshalb schon auf dem Laufenden. Er hat einfach Angst, verletzt zu werden, und deshalb blockt er ab. Und nicht, weil Sie ihm zu selbständig und zu stark sind.“

Na toll – jetzt soll ich mich mit der alten Leier herumschlagen! Wenn Männer sich wie die Trampel benehmen, tun sie das nur vorbeugend, damit niemand auf ihren Emotionen herumtrampelt. Glauben Sie das etwa? Wenn überhaupt, steckt dahinter allenfalls der Trieb, immer der Alpha-Elefant zu sein.

„Ach – und deshalb versucht er, mich bei Mondheim in die Pfanne zu hauen?“

„Das war ganz gewiss nicht richtig,“ räumt Lange ein, „und ich bin sicher, es tut ihm inzwischen ganz gewaltig Leid.“ „Schön,“ erwidere ich. „Dann soll er sich dafür bei mir entschuldigen!“

Wie konnte ich nur auf die Idee kommen, mit einem Mann über einen anderen Mann reden zu können, mit dem er noch dazu lange und fest befreundet ist, während ich für ihn eine Fremde bin? Eine sympathische Fremde vielleicht, aber doch eine Fremde. Da ist es doch völlig klar, wo seine Loyalitäten liegen.

„Wenn Sie ihm die Gelegenheit dazu geben, wird er das auch ganz sicher tun,“ verspricht Lange. „Super – also wenn ich bei ihm angekrochen komme, dann ist er bereit, auch einmal kurz auf die Knie zu fallen?“ Inzwischen bin ich richtig wütend. „So dürfen Sie das nicht sehen,“ versucht Lange mich zu beschwichtigen. „Aber er kann halt einfach nicht aus seiner Haut.“ „Ach – und deshalb soll ich meine verlassen, ja?“ konstatiere ich bissig.

Nein, so geht das nicht. Ich habe genug am Hals, auch ohne diese überflüssige Konfrontation.

„Hören Sie, ich bin Ihnen ausgesprochen dankbar, dass Sie mich abholen, und ich finde es hochanständig von Ihnen, sich so für Deinar zu verwenden. Aber Sie können ihm einen schönen Gruß ausrichten – wenn er mit mir etwas in Ordnung bringen will, dann muss er sich schon selbst bemühen. Und jetzt sollten wir lieber aufbrechen.“

Kurz setzt er an, noch etwas zu sagen, doch dann nickt er nur. Meinetwegen soll er jetzt beleidigt sein; aber ein Vermittler, der zwar so tut, als verstehe er die Situation des einen, während er letztlich doch nur dem anderen das Wort redet, das ist schlicht keiner.

Wortlos greife ich mir meine Tasche. Für Mantel oder Jacke ist es seit einigen Tagen zu warm Das fast leere Gebäude allein zu verlassen, ist seltsam genug. Mit jemandem als Begleiter, mit dem man kein Wort wechselt, ist es fast noch unheimlicher.

Immerhin gibt mir das Schweigen während der Fahrt die Gelegenheit, mich doch noch ein wenig auf das zu konzentrieren, was vor mir liegt.

***

Es ist ein ganz normales Haus, vor dem wir schließlich anhalten. Das heißt, normal ist relativ. Es ist eher schon ein halber Palast, wie der von Mondheim, mit unendlichen Weiten zwischen Tor und Haus. Ich meine nur, es sieht irgendwie ganz normal aus; überhaupt nicht SM-mäßig. Ich weiß nicht genau, was ich erwartet hatte; bestimmt keine Lederfassade, aber auch nicht etwas, das so schlicht und geradlinig ist von der Bauweise her.

Ich zähle zwölf andere Autos und gebe dann auf, weil ich mich verzählt habe. Es sind noch jede Menge mehr da, wie viele auch immer exakt. Meine Aufregung steigt.

Wir steigen aus, gehen zur Haustür. Und nun kommt kein geheimnisvolles Klopfzeichen, das einen skurrilen Butler auf den Plan ruft oder was auch immer. Nein, wir sind nicht bei Rocky Horror – Lange zieht einfach einen Schlüssel aus der Tasche und schließt auf. In einem erstaunlich schmalen Flur lässt er mich warten und verschwindet hinter einer Tür. Ameisenwellen an Nervosität laufen durch meinen Bauch. Lange braucht, wie um seinem Namen Ehre zu machen, verdammt lange, aber wahrscheinlich kommt mir das nur so vor. In Wirklichkeit können es nicht mehr als fünf, höchstens zehn Minuten sein, bis er zurück ist. In vollem Dress. Eine Art Gladiatorencape aus Leder und entsprechende Riemensandalen. Oh Gott – Mondheim hat mir doch extra dazugeschrieben, ich soll mich nicht umziehen! Habe ich doch etwas falsch gemacht? Hätte ich wissen müssen, diese Anweisung ist nur ein Test?

Lange sagt nichts, nimmt nur meinen Arm, führt mich eine Treppe hoch, durch einen weiteren Flur. Ich höre die ersten Stimmen vom Ende des Korridors, hinter einer geschlossenen Tür, vor der ein Mann wartet, der noch weniger trägt als Lange. Sein Kostüm besteht nur aus schmalen Kettengliedern, zusammengefasst und strategisch über den Körper verteilt.

Als wir herangekommen sind, klopft er dreimal gegen das Holz und öffnet dann beide Türflügel. (Aha – also doch geheime Klopfzeichen!)

Wir treten ein, Lange ein wenig hinter mir. Mich trifft beinahe der Schlag. Soviel Licht, und so viele Menschen, und alle sind sie gekleidet, genauso, wie man sich das von der Versammlung eines SM-Zirkels vorstellt. Viel Schwarz, viel Leder, und dazwischen, besonders bei den wenigen Damen, auch glänzendes, enganliegendes Bunt. Manche tragen sogar Masken.

Meine Nerven führen einen Veitstanz auf. Ich kann kein einziges Gesicht unter den Anwesenden wiedererkennen, auch nicht bei denen ohne Maske, und nur mit äußerster Konzentration gelingt es mir, wenigstens den Raum selbst in mich aufzunehmen. Er ist sehr groß, und in ihm stehen auf nacktem Parkettfußboden Tische mit Stühlen, in Hufeisenform aufgestellt. Fast wie ein Konferenzraum sieht es aus, es fehlen nur die Business-Anzüge. In der Mitte des Hufeisens steht ein einzelner Stuhl. Niemand muss mir erklären, dies wird mein Platz sein.

Ich bin hier die Außenseiterin, die geprüft und getestet wird. Plötzlich verstehe ich auch, warum ich, als einzige, in Straßenkleidung bleiben sollte. Ich bin diejenige, die nicht dazugehört. Und dass ich mich extrem unwohl fühle, mich so offensichtlich von den anderen zu unterscheiden, die trotz der Unterschiede in ihrer Kleidung ein einheitliches Bild ergeben, das ist damit vermutlich ebenfalls beabsichtigt worden.

Die Gespräche sind verstummt, alle sehen zu uns hin. Könnte ich mich durch einen Zauberspruch ganz klein oder wahlweise unsichtbar machen, ich würde es tun. So schlimm habe ich mich nicht einmal bei den mündlichen Prüfungen an der Uni gefühlt.

Nur wenige Schritte sind es, bis wir beinahe in Höhe der Tische sind, und doch kommt es mir vor wie eine Marathonstrecke.

Aus der Gruppe am Kopfende löst sich eine einzelne Gestalt. Ich verfolge ihren Fortschritt, an den Seitenschenkeln des Hufeisens vorbei bis zu uns, doch erst, als er direkt vor uns steht, erkenne ich Mondheim. Mondheim mit Stiefeln, Lederhose, und einem pluderigen schwarzen Piratenhemd, am Hals mit einem Band geschlossen, darüber eine rote Weste mit schwarzer Stickerei. Ohne Maske.

Lange tritt vor mich. Die beiden begrüßen sich mit einem Kopfbeugen, dann verschwindet Lange irgendwo auf der linken Seite. Schnell verliere ich ihn aus meinen Augen, denn die sehen nur Mondheim. Der beide Hände ausstreckt. „Willkommen, Anne.“ Etwas Geschickteres hätte er nicht sagen können, um meine Angst zu besänftigen. Fast schießen mir Tränen in die Augen. Kurz berühren sich unsere Hände, dann legt er mir einen Arm um die Schultern und führt mich zu dem Platz, den ich sofort als meinen erkannt habe. Ich setze mich, er bleibt hinter mir stehen.

Himmel, ich fürchte, ich war die ganze Zeit ein bisschen sehr leichtsinnig, wenn ich so locker-leicht über den Zirkel geredet habe. Wodurch auch immer das erreicht wird, die Szenerie hier ist viel zu beeindruckend für mein loses Mundwerk, das sich prompt ins Mauseloch verkriecht. Mein Mund ist papiertrocken.

Es klingt wie in einer Kirche nach dem Gebet, als sich nacheinander alle an ihren Platz begeben und sich setzen.

Mondheim beugt sich zu mir herab. „Ein Glas Wasser, Anne?“ Ich kann nur den Kopf schütteln; meine Lippen versagen ihren Dienst und bringen kein Wort heraus. Umgehend bereue ich meine Ablehnung.

Nach ein paar Sekunden der Stille steht einer der Anwesenden wieder auf. Es ist einer der Maskierten, aber schon bei den ersten Worten erkenne ich zum Glück seine Stimme; es ist Jakob, der unauffällige, ruhige Finanzbeamte, den ich mir nie in einem solchen Outfit hätte vorstellen können, wie er es trägt. Ob das Gummi ist? Egal – ich muss mich auf das konzentrieren, was er sagt. „Meine Freunde, ich begrüße euch und danke euch, dass so viele gekommen sind. Wir sind heute hier, um über die Aufnahme eines neuen Mitglieds zu entscheiden.“

Aller Blicke wandern zu mir. Er quittiert das mit einer kurzen Pause, bevor er fortfährt. „Daniel, nachdem es dein Wunsch ist, Anne Senreis in unseren Kreis aufzunehmen – vielleicht stellst du sie uns erst einmal vor?“

Erst als Mondheim antwortet, wird mir klar, dass mit Daniel er gemeint ist. Seltsam, dass ich seinen Vornamen bislang gar nicht kannte.

„Auch ich danke euch allen, dass ihr gekommen seid. Es ist in der Tat mein Wunsch, Anne Senreis zu einer der Unsrigen zu machen. Ich kenne sie noch nicht lange, aber ich kenne sie sehr gut, und ich halte eine Menge von ihr.“ Warme Schauer laufen meinen Rücken hinunter, und ich weiß nicht, ist es durch die merkwürdig irreale Situation, oder durch seine Worte. „Anne weiß ihren Mann zu stehen; sowohl im Beruf, als auch privat. Sie ist zuverlässig, und sie kann schweigen, wo es nötig ist. Sie besitzt Fähigkeiten, die uns allen zum Vorteil gereichen können. Ich möchte uns diese Vorteile sichern. Sie steht erst am Anfang, aber sie hat einen guten Weg vor sich, und sie wird ihn gehen. Wie ich hoffe, gemeinsam mit uns allen, gemeinsam vor allem auch mit mir. Ich bitte die Anwesenden darum, meinen Antrag zu befürworten.“

Jakob nickt. „Bist du bereit, dich vollumfänglich für sie zu verwenden? Bist du bereit, für sie mit deiner Person und mit deinem Ansehen zu bürgen?“

„Ich bin dazu bereit,“ antwortet Mondheim. Die Schauer verstärken sich zu einem kleinen Wolkenbruch aus Spannungsblitzen.

„Anne, bist du bereit, uns ein paar Fragen zu beantworten?“ wendet Jakob sich dann an mich. Ich bin nicht sicher, ob ich reden kann, aber mein „Ja“ klingt erstaunlich ruhig.

„Erzähle uns ein wenig von dir,“ bittet Jakob mich. Verdammt, kann er mir nicht konkrete Fragen stellen? Was soll ich denn jetzt berichten? Unvermittelt spüre ich zwei warme Hände auf meinen Schultern.

Die Wärme durchdringt meine Nervosität.

„Mein Name ist Anne Senreis. Ich bin 33, und ich wurde ganz in der Nähe geboren. Studiert habe ich Germanistik und Anglistik in Heidelberg. Nach dem Studium habe ich im PR-Bereich und als Journalistin gearbeitet. Texte sind mein Leben. Wobei Journalistin mir zu großartig klingt für das, was ich mache. Lange Zeit war Erotik das Thema meiner Texte, und in diesem Bereich bin ich geblieben. Herr Mondheim, mein Arbeitgeber, hat mir eine große Chance gegeben, etwas Neues auf die Beine zu stellen, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Mit SM hatte ich das erste Mal mit 24 Berührung, in einer Beziehung, die leider nicht sehr lange gehalten hat, und danach noch einigen anderen. Die Träume allerdings waren längst vorher schon da – etwa seit meinem 13ten Lebensjahr. Meine Erfahrungen sind nicht sehr groß; eigentlich würde ich mich noch immer als Anfängerin auf dem Gebiet der Sinnlichen Magie betrachten. Umso mehr, als ich seit geraumer Zeit solo bin – also nur meine Träume habe und SM nicht auslebe.“

„Damit hast du einige Fragen bereits beantwortet, die ich dir stellen wollte,“ bemerkt Jakob. „Und jetzt sage mir, Anne, warum willst du Mitglied unseres Zirkels werden?“

Oh Gott, was soll ich darauf antworten? Ich will es, weil Mondheim es mir vorgeschlagen hat und ich die Möglichkeiten eines solchen Kreises erforschen will, Einfluss auszuüben? Das wäre aufrichtig – aber gewiss nicht sehr geschickt. Ob ich irgendwie beides verknüpfen kann?

„Es ist schwer, dazu etwas zu sagen. Natürlich reizt mich der Zirkel. Es war schon immer so, dass geschlossene Gruppen auf alle eine große Faszination ausüben. Dazu kommt, dass man sich als SM’ler immer irgendwie allein fühlt, so viele Menschen man auch kennen lernt, die diese spezielle Neigung teilen. Es ist eine tiefe Sehnsucht, irgendwo dazuzugehören, wo man nicht Außenseiter ist, sondern – einfach Teil eines Ganzen.“

Hoffentlich war es das Richtige, was ich gesagt habe. Die nächste Frage ist noch schwieriger. „Bist du der Meinung, Anne, dass du es wert bist, bei uns aufgenommen zu werden?“

Nein, das bin ich nicht, nein. Ich fühle mich viel zu klein, zu unbedeutend und zu unwichtig, um diese Ehre zu verdienen. Das sind meine Gedanken dazu, und noch bevor ich mich zügeln kann, habe ich sie laut ausgesprochen. Scheiße! Scheiße, wie konnte das nur passieren? Alle geben sich soviel Mühe, und ich sage dazu einfach nur, nein, danke – denn das und nichts anderes ist es ja, was ich erklärt habe.

Der Druck von Mondheims Fingern verstärkt sich, an einigen Stellen klingt unterdrücktes Gelächter auf, und Jakob lächelt. Dieses Lächeln kenne ich. Es heißt, da ist jemand in die Falle hineingetappt, die man für ihn aufgestellt hat. Jesus, wie kann ich das bloß wiedergutmachen? Mondheim wird toben. Oder einfach enttäuscht sein, was das Schlimmere wäre.

„Ich sehe, Daniel, du hast gut gewählt,“ bemerkt Jakob. Ein leises Donnergrollen hinter mir zeigt mir, Mondheim lacht in sich hinein. Ich verstehe das nicht. Wieso amüsieren die sich alle so schrecklich darüber, dass ich es versaut habe?

„Wir werden uns natürlich noch beraten müssen,“ sagt Jakob. „Aber ich glaube, Anne, ich verrate nicht zu viel, wenn ich dir Hoffnung mache, große Hoffnung sogar. Ich denke, wir werden dich noch in diesem Monat aufnehmen.“

Was soll das denn? War die falsche Antwort etwa die richtige? Es sieht ganz danach aus.

Ein allgemeines Raunen bricht an. War es das schon?

Jakob hebt die Hand. „Anne, Daniel, bitte kommt noch einmal mit ins Nebenzimmer. Daniel, du kennst ja den Ablauf. Anne, wir werden dir jetzt noch ein paar Dinge offen legen, die du vor der Initialisierung wissen musst.“

Meine puddingweichen Knie scheinen zu meinem Erstaunen mein Gewicht doch tragen zu können. Trotzdem würde ich, glaube ich, den Weg zu dem Nebenraum, dessen Tür ich erst jetzt wahrnehme, kaum schaffen, wäre Mondheim nicht direkt neben mir. Nahe genug, dass ich das Leder seiner Hose gegen meine Beine spüren kann, kaum behindert durch mein dünnes Sommerkleid, und der Stoff seines Piratenhemdes gegen meine nackten Unterarme streift.

***

Das Nebenzimmer wirkt wie ein ganz normales Wohnzimmer, mit Schränken, einem Teppich und einer Sitzgarnitur. Ein großes Sofa, zwei kleine, und ein einzelner Sessel. Das wird mein Platz werden, vermute ich, und so ist es auch. Mondheim drapiert sich neben mir auf die Lehne. Das erste Mal, seit ich ihn kenne, nehme ich sein Aftershave wahr. Es ist nur ein herber Hauch, von Orange, und er mischt sich mit dem Geruch des Leders seiner Hose.

Ich bin ein Nervenbündel.

Außer uns sind noch vier andere im Raum; Jakob, Lange und zwei, die ich nicht kenne. Das heißt, an das Gesicht des einen erinnere ich mich von Mondheims Feier her. Vielleicht ist es Donath; keine Ahnung.

„Haben Sie ihr verraten, wie sie antworten muss, wenn sie gefragt wird, ob sie sich für wert hält, aufgenommen zu werden?“ fragt Lange Mondheim. Ich wende mich halb zu Mondheim um, und schon wieder liegt seine Hand auf meiner Schulter mit einer Wirkung wie eine große, brennende Zigarettenspitze. „Natürlich nicht,“ erwidert er. „Erstens wäre das gegen die Regeln, und zweitens war das völlig unnötig.“ „Sie halten sich doch sonst auch nicht an die Regeln,“ bemerkt Lange.

Es ärgert mich, wie er Mondheims Integrität in Frage stellt. Es ist richtig, ich traue Mondheim ohne weiteres zu, sich an keine anderen Regeln als seine eigenen zu halten. Das macht ja einen Teil seiner Stärke aus. Aber er schummelt nicht so primitiv, wie Lange ihm das unterstellt; das hat er gar nicht nötig.

„Es stimmt,“ sage ich. „Ich wusste es vorher nicht. Und einen Augenblick lang habe ich gedacht, ich hätte alles vermasselt.“

Lange zieht die Augenbrauen hoch. „Und das soll ich dir glauben?“


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